Im Gespräch mit Ilse Aigner:
“Ich bin voll ‘elektrisch’ aufgewachsen”

Ilse Aigner, Landtagspräsidentin und oberbayerische Bezirksvorsitzende der CSU, hat uns vor einer Woche in der Redaktion besucht. Ein Gespräch über Termindruck, die Popularität der AFD und Schraubenzieher.

Sie sind ja wirklich viel unterwegs, bösartige Zunge sagen, dass sie bei jeder Mini-Einweihung vor Ort sind, und ich habe mich gefragt, wie schaffen Sie das, all diese Termine wahrzunehmen?

Also ich weiß gar nicht, ob ich so viel unterwegs bin. Tatsächlich kann ich leider gar nicht überall hingehen. Das schaffe ich einfach zeitlich nicht mehr, weil ich bayernweit unterwegs bin und das einfach nicht mehr auf die Reihe kriege. Ich bin ja seit fast 30 Jahren Abgeordnete und ich weiß, wie viel ich den Stimmkreis früher beackern konnte. Das war noch deutlich mehr, und das werden die Mitarbeiterinnen wahrscheinlich bestätigen, die mich auch sehr selten sehen.

Jetzt haben Sie sicher ein schönes Büro und sitzen da und arbeiten. Haben sie bestimmte Zeiten, wo Sie sich dann ihren Themen widmen?

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(Aigner lacht). Im Stimmkreis ganz selten ­­­­– muss ich sagen –, weil ich entweder im Auto sitze oder zu Sitzungen und Veranstaltungen irgendwo in Bayern unterwegs bin. Also mache ich, ehrlich gesagt, das meiste aus dem Auto raus. Telefonieren, schreiben, E-Mails abarbeiten.

Und es wird ihnen nicht schlecht?

Naa, ich kann das. Gott sei Dank. (Pause) Also, wenn die anständig fahren schon, was meine tun. Es gibt schon Fahrer, die nicht so geübt sind. Da merkt man den Unterschied schon. Oder, wenn es mal sehr kurvig wird, dann wird es auch anstrengend.

Jetzt springen wir mal in aktuelle Debatten, weil wir es wieder mit sehr viel Stimmenzuwachs bei der AfD zu tun haben. Franz Josef Strauß hat ja einst gesagt, “rechts von der CDU / CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben”. Jetzt haben wir eine demokratisch legitimierte Partei, die aber eigentlich nicht demokratisch in ihren Inhalten ist. Wie gehen wir, wie gehen Sie damit um?

Da würde ich gerne ein bisschen differenzieren. Sie haben es schon gesagt; sie sind zwar demokratisch gewählt, aber sie werden eben auch in Teilen – wenn sie die AFD meinen – vom Verfassungsschutz beobachtet. Also insofern würde ich sagen, da gibts schon eine deutliche Veränderung. Wir haben aber auch natürlich die Freien Wähler bei uns, die sich auch aus dem Reservoir der CSU versuchen zu bedienen, und wenn man das Ganze jetzt zusammenzählen würde, dann ist das konservative Potenzial natürlich schon viel größer, jetzt auch, und wir arbeiten daran, wieder Wählerinnen und Wähler zurückholen und dass wir die auch wieder überzeugen. Bei einigen von der AFD glaube ich aber nicht, dass das noch gelingt, muss ich ganz ehrlich sagen. 

Sie haben uns zu Beginn des Interviews ein Zitat des Allensbacher Meinungsforschungsinstituts vorgelesen, das – verkürzt – die These vertritt, dass die Diskussionen in den Medien an der Lebensrealität vieler Menschen vorbeigehen; dass sie sich schlicht abgehängt fühlen. Ein Beispiel?

Landwirtschaft zum Beispiel: Es wird ein Bild von der Landwirtschaft erzeugt, das hier in der Region einfach vollkommen kontraproduktiv ist. Also, ich nehme jetzt mal die Frage der Kombihaltung. Da treffen dann Realität und Ideologie sehr stark aufeinander. Viele können gar keinen neuen Stall bauen, weil es bei uns in den Dörfern teilweise gar nicht die Möglichkeit gibt oder sich das manchmal auch nicht rentiert. Aber die Weidehaltung wird gewährleistet. Und darum geht es ja, dass die Kühe im Winter im Stall stehen, im Sommer dafür auf der Weide.

Sie haben eine riesige Karriere in einer Partei gemacht, die konservativ ist. Sie passen nicht ganz in dieses Bild; finde ich – Sie sind eine sehr technisch versierte Frau, die sich dann in einer konservativen Partei nach oben gekämpft hat. Wie geht es ihnen, wenn Sie zurückblicken?

An sich geht es mir sehr gut, weil ich das Riesenglück hatte, immer wieder neue Herausforderungen annehmen zu können. Ich habe meistens vier, fünf, maximal sechs Jahre dasselbe gemacht und somit auch immer wieder neue Themen. Das an sich hat mich schon mal wahnsinnig fasziniert. Dass ich diese Chance bekommen habe, habe ich jetzt gar nicht so abwegig gefunden in dieser Partei, weil das eine sehr technologieoffene Partei, eine sehr wirtschaftsnahe Partei ist. Ich komme ja eigentlich aus dem Wirtschaftsbereich. Und deswegen habe ich mich von den Grundsätzen her immer sehr gut aufgehoben gefühlt. Konservativ heißt eben nicht rückwärtsgewandt, sondern heißt, Sicherheit geben, Stabilität geben. Das war für mich auch immer sehr wichtig. In der Hinsicht bin ich konservativ – aber eben auch sehr weltoffen. 

Waren Sie immer schon so selbstbewusst? Oder haben Sie sich das in ihrer Ausbildung und beruflichen Werdegang zugelegt? Heute würde man – sehr nerdig – dazu sagen … (Aigner hat eine Ausbildung zur Radio und Fernsehtechnikerin, später noch eine Aufstiegsfortbildung zur staatlich geprüften Technikerin drauf gesetzt.)

Ich wollte immer wissen, wie die Dinge funktionieren. Ich will wissen, wie was funktioniert –also Sachen auseinandernehmen. Das habe ich früher wirklich gemacht. Ich habe das von meinen beiden Opas. Beide waren Elektriker, zwei Onkel waren Elektriker, der Vater sowieso. Ich bin also voll „elektrisch“ aufgewachsen – quasi mit dem Schraubenzieher. Das hat mir immer Spaß gemacht. Das war aber eigentlich nicht der wirkliche Einstieg. Ich bin in den Wirtschaftszweig gegangen in der Realschule, habe dann aber festgestellt, was mich wirklich interessiert:  Mathematik, Physik, Chemie. Was ich schrecklich fand, war eine Erörterung zu schreiben.

Jetzt haben Sie sich genau den Job ausgesucht … wo sie viel erörtern müssen.

Ja. Mündlich – das kann ich!

Wo bleibt die Liebe zu diesen Fächern … oder programmieren sie heimlich?

Nein. Das mache ich jetzt nicht mehr. Aber wo mein Herz immer aufgegangen ist, das ist bei der Energietechnik, wo ich versucht habe zu erklären, wie es wirklich funktioniert. Da bin ich auch mal an Grenzen gestoßen, weil das nicht alle sofort verstanden haben. Deswegen habe ich immer wieder versucht, alles zu erklären – auch innerhalb des Kabinetts.

Was hinsichtlich der Klimapolitik nicht so schlecht ist ...

Ja, also ich behaupte, dass ich das Energiesystem wirklich auch verstehe – wahrscheinlich als eine von einigen Wenigen. 

Themenwechsel: Uns haben viele Eltern geschrieben, dass sie keinen Krippenplatz bekommen haben und dass junge Mütter eher zu Hause bleiben, zumindest ist das eine Tendenz, die ich wahrnehme. Das liegt vermutlich auch an der Corona-Pandemie, an der fehlenden Infrastruktur …

Es hat verschiedenste Ursachen, muss man ganz ehrlich sagen. Das eine ist, dass wir insgesamt einen Fachkräftemangel haben. Da können sie hinschauen, wo sie wollen. Ich beschreibe das immer ganz gerne mit folgendem Beispiel: Mein Jahrgang – also alle, die heuer 59 sind oder werden – ist doppelt so groß wie der Jahrgang, der heuer 19 ist oder wird. Da brauche ich jetzt nicht viel rechnen – das ist das eine. Das zweite ist, dass die Menschen, die arbeiten, zwar mehr werden, aber die Stunden, die geleistet werden, weniger. Um auch hier eine Zahl zu nennen: wir haben so viel Beschäftigte, wie noch nie: 45,5 Millionen. Die geleisteten Stunden pro Jahr sind aber nicht höher als 1991, als sieben Millionen weniger Menschen gearbeitet haben.

Jetzt müssten wir eine Diskussion darüber führen, ob Quantität gleich Effizienz bedeutet?

Das liegt auch am Trend zur Teilzeit – aus unterschiedlichen Gründen. Und dann haben wir natürlich auch eine Sondersituation mit Geflüchteten; insbesondere aus der Ukraine. Die müssen natürlich auch untergebracht und beschult werden. Das ist jetzt einfach nur eine Zustandsbeschreibung. In der Summe also zu wenig insgesamt, die weniger Stunden arbeiten und dann noch zusätzlich zu betreuende Kinder. Das ist einfach eine wirklich schwierige Situation. Das bedauere ich, weil genau die Frauen brauchen wir ja auch auf dem Arbeitsmarkt – das sind nämlich auch Fachkräfte.

Und die werden dann auch keine Bürgermeisterinnen …

Bürgermeisterinnen, die gehen uns natürlich ab. Nur zehn Prozent der Bürgermeister sind Frauen – also Bürgermeisterinnen. Das hat aber auch was mit den Arbeitszeiten zu tun. Das muss man auch ganz ehrlich benennen. Oft sind es eben Frauen mit Familie. Meine frühere Mitarbeiterin habe ich übrigens motivieren können. Sie ist jetzt Bürgermeisterin und sie macht das jetzt auch brillant – aber sie kann sich auch mit ihrem Mann arrangieren. Und es ist immer wieder dasselbe: Eine Frau wird gefragt, wie macht sie es mit den Kindern? 

Jetzt würde ich gerne nochmal zu den Fachkräften springen, weil das natürlich ein Riesenthema ist. Wir haben gerade weniger Busfahrer, weil viele krank sind, sich das Wohnen hier nicht mehr leisten können, weil die Mieten hier so hoch sind.

Ja, das ist ein leidiges Thema. Da sieht man, wie attraktiv unsere Region ist. Sie können natürlich keinem verbieten, hier die Häuser zu verkaufen. Das Einzige, was die Gemeinden wirklich machen können, ist mit der Zweitwohnungssteuer zu versuchen, die Zweitwohnungen etwas einzudämmen. Wohnraum ist ja nicht unendlich vermehrbar.  Wenn sie als Zweitwohnung genutzt werden, sind sie nicht mehr auf dem normalen Wohnungsmarkt vorhanden.

Ja, also, glauben Sie, dass das einer der Hebel ist? 

Es muss einer der Hebel sein. Natürlich versuchen immer wieder die Gemeinden, etwas für Einheimische auszuweisen, was in begrenztem Maß auch noch möglich ist. Wir werden auch dichter bauen müssen. Das ist wirklich ein Mega Problem, gerade für diejenigen, die halt eben nicht die Großverdiener, aber hier aufgewachsen sind. Wenn sie nicht die Möglichkeit haben, irgendwo unterzukommen, bei den Eltern oder Häusern, die halt schon stehen, wird es echt schwierig. Da kommen wir schnell zum Thema Erbschaftsteuer – darum klagen wir hier.

Ich möchte noch einmal kurz zurückgehen in unseren Landkreis. Wir haben hier den Eindruck, dass wir besonders viele Menschen haben, die – entweder sind sie besonders laut – oder es sind wirklich viele … Stichwort: Querdenker, Reichsbürger, Impfgegnerinnen, teilen sie den Eindruck; oder ist das eine Verzerrung?

Das erleben wir nicht nur hier. Das hat vielleicht was mit dem Alpengürtel zu tun, mit diesem Streben nach Freiheit. Die Gebirgsschützen sind übrigens so entstanden – weil sie für die Freiheit gekämpft haben. Und es scheint wohl in diesem Landstrich sehr stark ausgeprägt zu sein.  Sie mögen es einfach nicht, wenn man ihnen irgendwas vorschreibt. Und da ist es jetzt wurscht, ob es das Impfen ist oder das Essen oder was auch immer. 

Es ist einfach eine Mentalitätsfrage, und die scheint mir ein bisserl was mit dem Alpengürtel zu tun zu haben. 

Ok, warum ist ihnen das Thema Erbschaftssteuer so wichtig?

Wir haben ja vom Verfassungsgericht aufgetragen bekommen, dass man Geldwerte und Immobilien vom Wert her gleich bewerten muss.

Dadurch sind die Bodenrichtwerte gestiegen. Bayernweit sind sie dramatisch gestiegen – ob das jetzt in Tegernsee oder Hof ist. Allerdings deutlich mehr als in anderen Teilen Deutschlands. Aber die Freibeträge sind überall gleich. Aktuell liegen die Freibeträge bei 400.000 Euro pro erbender Person. Das ist bei unseren Preisen lächerlich. Da haben viele Leute Angst um ihr Lebenswerk. Deswegen wollen wir, dass die Freibeträge regionalisiert werden.

Wie schauen sie mit dem, was wir hier gerade diskutieren, auf die Landtagswahlen?

Ich bin immer hoffnungsfroh, weil ich von Grund auf eine Optimistin bin. Wir haben noch Potenzial, man weiß nicht, was die nächsten 91 Tage bringen. Entscheidend ist, dass wir geschlossen sind – uns nicht gegenseitig auch noch Schwierigkeiten machen. Und dass wir die Themen adressieren, die die Menschen wirklich interessieren. 

Und jetzt nochmal kurz ein Blick die Glaskugel: Wie sieht es aus, werden sie wieder mit den freien Wählern zusammengehen?

Ich gehe davon aus, dass das auch in der Zukunft wieder die Koalition sein wird. Nach den jetzigen Umfragen ergibt sich das auch wunderbar. Da gibt’s auch immer wieder mal das Eine oder Andere, was ruckelt. Aber vom Grundsatz her geht man in dieselbe Richtung – und deswegen passt das auch.      

Herzlichen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch!    


Das ist ein redaktionell bearbeitetes und gekürztes Interview. Ilse Aigner hat uns am 30. Juni in der Redaktion besucht.

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