„Jodel-Architektur“ oder Tradition?

Der Tegernsee hat es der in München aufgewachsenen Autorin Nana Brink angetan. In etlichen Reportagen nahm sie sich für den Berliner Sender “Deutschlandfunk Kultur” das Tal und seine Bewohner vor. Jüngst war es der Streit um Neubauten. Brinks Gesprächspartner: ortsbekannte Zeitzeugen.

Mundartdichter Martin Köck spricht im Interview über die “toten Häuser” im Tegernseer Tal.

Etliche Einblicke in die Befindlichkeiten von Talbewohnern gewährte Nana Brink (55) schon in ihrer Sendereihe Länderreport. Allein in diesem Jahr vernahmen ihre Hörer Beiträge über „die Gentrifizierung am Tegernsee“ – Wie Anwohner unter dem Immobilienboom leiden und „eine russisch – bayerische Romanze“ im Tegernseer Tal. Anfang Oktober ging nun Brinks „Jodel-Architektur“ über den Äther. Darin setzt sie sich mit den Baustilen und den Verschandelungen der Heimat von Alteingessenen auseinander. Zugezogene würden über alpenländischen Kitsch spotten, beschreibt Brink die Ausgangslage.

Als einer ihrer Zeugen tritt Mundartdichter Martin Köck aus Rottach-Egern auf. Er ist der Vater von Rottachs Bürgermeister Christian Köck. Köck sen. lebt in einem über 300 Jahre alten Bauernhaus, das er 1984 selbst abgetragen, neu unterkellert und das alte wieder draufgestellt hat. Mit Blick auf den Wallberg. Aber schaut er nach links, sieht er, wie gerade Luxuswohnungen hochgezogen werden. „Es ist alles eine Einheit, es ist Altholz, soll bisserl verbavarisiert werden, und es wohnt ja niemand darin. Das ist das nächste und dann schauen Sie sich das an. Graue Rollos, wo Sie hinschauen“, so der 72-Jährige „grantig“, wie Brink Köcks Gemütszustand beschreibt.

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Tote Häuser

Nicht weit von Köcks Haus entfernt entsteht ein neuer Gebäudekomplex mit 20 Wohnungen, im und am ehemaligen Traditionsgasthof „Glasl“. Nur die Frontfassade erinnere noch an seine alte Gestalt. Daneben stehen auf engstem Raum drei neue Häuser. Eines gleiche dem anderen. Oder anders ausgedrückt: „Die neue Natürlichkeit“ wie das Bauschild verrät. Viel Holz. Große Fenster. Geneigte Dächer. Was also macht den Köck Martin so grantig, fragt ihn Brink. „Was seit Jahren gebaut wird, das sind tote Häuser, so nenne ich das. Die Leute kaufen sich hier ein, kommen einmal, richten das sündteuer ein und das war‘s dann. Und wenn wir Glück haben, dann kommen sie zweimal im Jahr oder dreimal. Viele kommen gar nicht.“

Was für die einen „tote Häuser“ sind, berichtet Brink weiter, würde für andere der lang ersehnte Zweitwohnsitz auf dem Land sein. Seit gut einem Jahrzehnt boomt der Immobilienmarkt rund um den See. Für den österreichischen Investor Thomas Hofer, der in Bad Wiessee die „Tegernsee Villen“ gebaut hat, ist das ein lukrativer Ort, weil „… das Tegernsee Tal eines der schönsten Orte in Deutschland ist, und die Kombination aus Bergen, See, guter Infrastruktur und guter Erreichbarkeit von München aus, einen sehr hohen Wert darstellt. Wir haben da ganz gut investiert. In der Region zu leben, ist für viele ein Wunschtraum. Wirtschaftstreibende, Unternehmer, leitende Angestellte, das ist unser Klientel, die sich diesen Traum auch leisten können.“

Tegernsee Villen als Sündenfall

Eine Wohnanlage wie ein Sündenfall, beschreibt Brink die Tegernsee Villen. Als „Luxus-Hütten“ seien sie verspottet worden. „Auch sie stammen – bei näherem Hinsehen – aus dem Katalog ,neue Natürlichkeit‘. Man nehme: dunkles Altholz für Fassaden und Balkone – Fenster mit blassgrünen Läden – und – wichtig! – ein alpenländisches Dach. Weniger der Baustil irritiert als die Dichte inmitten des alten Ortskerns: neun gleichförmige Häuser auf einem Fleck, mit Tiefgaragen, Fitnessstudio und Empfangshäuschen“.

Die ,neue Natürlichkeit‘ im Tal: Luxus-Häuser wie hier die Tegernsee Villen. / Foto: K. Wiendl

Für Angela Brogsitter-Finck von der Schutzgemeinschaft Tegernseer Tal (SGT) sei die Wohnanlage ein Sündenfall. Seit Jahrzehnten kämpft die Bürgerinitiative gegen die „Verschandelung der Landschaft“. Weiter die SGT-Vorsitzende: „Wissen Sie, diese Häuser, eines sieht aus wie das andere, das ist – wie soll ich das sagen – das ist nicht ein individueller Stil mehr, sondern da werden vier dieselben hin geklatscht auf ein Grundstück, das früher ein wunderschönes Parkgrundstück war, alle Bäumen kommen weg, die machen nur Arbeit, also es geht wirklich nur noch den meisten Investoren um Gewinnmaximierung. Und ich sage immer, das Tegernseer Tal wird langsam zur Beute dieser geldgierigen Investoren“, die nur nach größtem Profit aus seien.

Wie soll das Tegernseer Tal aussehen?

Aussagen wie diese würden Investor Thomas Hofer zwar nicht kalt lassen, früher hätte ihn so etwas getroffen, „heute muss man damit umgehen und leben. Wir hatten Stadtratsbeschlüsse, und wir hatten einstimmige Stadtratsbeschlüsse.“ Richtig ist wohl, wie die Tegernseer Stimme im Gemeinderat einst beobachten konnte, dass die Beschlüsse keineswegs einstimmig fielen. Vor allem die CSU im Ratssaal stemmte sich gegen das überbordende Bauvorhaben. Vergebens. Hofer dürfte sich ins Fäustchen lachen, „der Erfolg scheint ihm recht zu geben: Die Wohnungen sind bis auf eine Handvoll alle verkauft. Fast die Hälfte an Zweitwohnbesitzer“, schreibt Brink über die Tegernsee Villen.

Weiter kommen in Brinks Reportage noch Christian Köck, Architekt Florian Erhardt, Trachtenschneiderin Alexandra Kreil und Josef Bogner jun. vom Voitlhof zu Wort. Ihre interessanten Einlassungen lohnen allemal zum Nachhören oder Nachlesen. Wie also soll Heimat im Tegernseer Tal aussehen?

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