Thomas S. entgeht Gefängnisstrafe

Zum vermutlich letzten Mal betrat der Gerichtsmediziner, Thomas S., heute den Gerichtssaal. Nach den vergangenen Verhandlungssitzungen sollte sich heute seine Zukunft entscheiden. Gefasst und dennoch angespannt stellte sich der Wiesseer am Nachmittag dem Urteil des Richters.

Thomas S. muss nicht ins Gefängnis. Das Urteil lautete heute zehn Monate auf Bewährung.
Thomas S. muss nicht ins Gefängnis. Das Urteil lautete heute zehn Monate auf Bewährung.

Das bange Warten auf ein Urteil hat für den 60-jährigen Mediziner Thomas S. endlich ein Ende. Am 24. Juni wurde der Fall bereits zum zweiten Mal aufgenommen. Die ihm vorgeworfenen Beschuldigungen liegen nun schon fünf Jahre zurück. Anstelle der ursprünglich angedachten acht Verhandlungstage fiel heute endlich das Urteil.

Im Sommer 2010 hatte der Wiesseer Mediziner der tablettensüchtigen Staatsanwältin Stephanie S. Medikamente verschrieben und Blankorezepte verschafft. Den Vorwurf, als Gegenleistung sexuelle Handlungen entgegengenommen zu haben, wies der Arzt von sich. Er sprach von einer Liebesbeziehung, habe sich Kinder und Familie mit der Geschädigten erhofft.

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Staatsanwaltschaft hält Stephanie S. für glaubwürdig

Heute Morgen führte Staatsanwalt Florian Gliwitzky zum wiederholten Mal die Anklage auf: „Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses“. Durch die vergangenen, lang andauernden Zeugenbefragungen der Geschädigten und die genaue Prüfung von Urkunden und Rezepten konnten sich die betroffenen Anwälte in der zweiten Verhandlungsauflage nun ein genaues Bild von der Situation machen.

Die Staatsanwaltschaft war von der Glaubwürdigkeit der ehemaligen Juristin überzeugt. Gliwitzky betont: „In mehreren Prozessphasen stimmten wesentliche Aussagen der Geschädigten und des Angeklagten überein.“ Die Zeugenaussagen konnten auch anhand prüfbarer Dokumente, wie beispielsweise Rezeptverschreibungen, belegt werden.

Thomas S. wusste um die Tablettensucht

Der Staatsanwalt stützte sich jedoch auf einen besonders schwerwiegenden Fehler. Thomas S. hatte Einblicke in die Arztberichte der Geschädigten. Somit wusste er seit Anbeginn von der medikamentösen Abhängigkeit und der Suchtproblematik von Stephanie S. Dennoch hatte er ihr am 5. Juni 2010 Tabletten verschrieben. Thomas S. verschaffte der Geschädigten Blankorezepte, die davon Kopien anfertigte und dadurch die doppelte Menge an Tabletten zu sich nahm.

Der gesundheitliche Zustand von Stephanie S. verschlechterte sich seit der Tabletteneinnahme Anfang Juni erheblich. Zum Jahresende 2010 wurde die 44-Jährige ins Münchner Klinikum Rechts der Isar eingewiesen. Obwohl Thomas S. von dem labilen gesundheitlichen Suchtzustand der Klägerin wusste, stellte er weitere Rezepte aus, die Stephanie S. weiter in die Sucht stürzten. Gliwitzky erklärte:

Dafür fehlt mir jedes Verständnis.

Aus dem vorgegebenen Strafrahmen von mindestens drei Monaten bis fünf Jahren Freiheitsstrafe schlug die Staatsanwaltschaft dem Richter eine Haftstrafe von zwei Jahren und acht Monaten vor. Betrachtet man den Verlauf des gesamten Prozesses und berücksichtigt die daraus resultierenden, strafmildernden Aspekte, dann sei dieses Strafmaß „absolut nicht nachvollziehbar“, fand Verteidiger Stephan Lucas.

Thomas S.: „Es tut mir leid“

Thomas S. zeigte sich vor allem gegen Ende des Prozesses reumütig. Er sei sich seiner moralischen und menschlichen Fehlhandlungen durchaus bewusst, so die Verteidigung. Als strafmildernd rechnete das Gericht auch den Täter-Opfer-Ausgleich an. Zu Beginn der Verhandlung überreichte Thomas S. dem Nebenklägervertreter 1.000 Euro. Eine Teilzahlung der insgesamt 20.000 Euro, die der Angeklagte der Geschädigten als eine Art „Schmerzensgeld“ bezahlt.

Rechtsanwalt und Verteidiger Alexander Betz erklärt, dass man hier nicht von einem sexuellen Missbrauch sprechen könne. Die Betroffenen befanden sich in einer engen Beziehung, die weit über „sexuelle Handlungen“ – wie es in der Anklageschrift lautet – hinausging. Zudem sind die Verteidiger überzeugt, Thomas S. habe das Arzt-Patienten-Verhältnis nicht für sexuelle Handlungen ausgenutzt.

Einen unterwürfigen Eindruck konnte Stephanie S. bei ihrer Zeugenvernehmung dem Gericht nicht vermitteln. Im Gegenteil. In der Zeugenvernehmung sagte sie aus: „Ich möchte klarstellen, dass ich Herrn Dr. S. nicht als meinen behandelnden Arzt sehe.“ Daraus schlossen die Verteidiger, dass Thomas S. seine Rolle als Arzt in keinster Weise missbräuchlich gegenüber der Geschädigten ausspielte. Bevor sich das Gericht zur Urteilsberatung zurückzog, brachte Thomas S. noch zwei letzte Sätze hervor:

Ich habe einen großen Fehler gemacht. Es tut mir leid.

Nicht zuletzt wegen des reumütigen Verhaltens des Angeklagten sah das Gericht von einem Haftbefehl ab. Dennoch: „Der Angeklagte wird schuldig gesprochen.“ Die Strafe lautet zehn Monate auf Bewährung. Gefasst und auch erleichtert nahm Thomas S. das Urteil auf.

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