Eine Lösung des Verkehrsproblems in Holzkirchen kommt – nach Jahrzehnten des Stückwerks – fast schon einer Quadratur des Kreises gleich. So war die Präsentation des vor zwei Monaten fertiggestellten Orts- und Mobilitätskonzeptes am gestrigen Abend von vielen Bürgern mit großer Spannung erwartet worden.
“Es liest sich gar nicht so schlecht”, witzelte Bürgermeister Olaf von Löwis bereits bei der Gemeinderatssitzung vor zwei Monaten, als das umfangreiche Gutachten nach gut zwei Jahren Arbeit übergeben wurde. Im Zusammenspiel zwischen Gemeinderat, Bürgern und vielen weiteren Akteuren hatten die beiden Planungsbüros Skorka und Kaulen alle gesammelten Ideen, wie der Markt Holzkirchen verschönert und vor allem “verkehrsfrei” gemacht werden kann, festgehalten.
Und so betonte von Löwis bei der gestrigen Präsentation erneut:
Die Konzepte sind als Leitfaden zu betrachten. Sie geben Anhaltspunkte zur strategischen Entwicklung des Ortes, die auch den künftigen Entscheidungsträgern helfen sollen. Denn Holzkirchen wird wachsen, ob wir das wollen, oder nicht.
Man wolle noch heuer in die Umsetzungsphase starten und Sofortmaßnahmen einleiten. Eine der Sofortmaßnahmen heißt Kommunikation. So nutzte die Gemeinde samt der zwei Planer den gestrigen Abend im Kultur im Oberbräu, um die Holzkirchner im Rahmen eines Informationsabends auf die geplanten Schritte einzustellen und die Bürger so “mitzunehmen”.
Doch zuerst ging es in einer rund zweistündigen Tour durch das umfangreiche Konzept. Eine der Schwerpunkte dabei – neben dem Verkehr – die Ortsentwicklung. Deren Planung wurde in sechs Bereiche aufgegliedert. Darunter das Wohnraumangebot, Grünflächen, Sport, Einzelhandel, Siedlungsbereiche und die diversen Ortsteile.
Mehr Wohnungen für alle
Eine Auswertung der Bevölkerungsstruktur im Ort ergab, dass in Holzkirchen die Zahl der Senioren über 80 Jahren deutlich zunehmen wird. Von heute rund 660 Personen, wird sich die Zahl in den nächsten 15 Jahren fast verdoppeln. Bereits jetzt gibt es in Holzkirchen mit 63 Prozent überwiegend Ein- und Zweipersonenhaushalte. Familien und Haushalte mit drei und mehr Personen sind der kleinere Teil in der Bevölkerungsstruktur (37 Prozent). Das fordert ein Umdenken in der Schaffung von Wohnraum, wie Stadtplanerin Manuela Skorka erklärte:
Holzkirchen braucht mehr kleinere Wohnungen, die barrierefrei sind. Die Bevölkerungsstruktur verändert sich, deshalb besteht Anpassungsbedarf.
Durch die Entwicklung der Immobilienpreise bestehe aber ebenso ein erhöhter Bedarf an günstigem Wohnraum. In erster Linie für Alleinerziehende, Personen mit niedrigem Einkommen, wie beispielsweise Auszubildende und für anerkannte Flüchtlinge. Daher wird die Gemeinde sich in der Zukunft stärker auf kommunalen Wohnungsbau konzentrieren müssen.
Ortskern: Von der Linie zur Fläche
Ein weiterer wichtiger Punkt für die Verbesserung der Lebensqualität in Holzkirchen, ist die Verschönerung des Ortskerns. Dabei handelt es sich vor allem um den Bereich rund um den Marktplatz bis hin zum Bahnhof. Hier sind die meisten Geschäfte angesiedelt und deswegen seien diese wichtig für die Bewohner. Nun hat Holzkirchen im Zentrum ein Problem. So liegt das Ortszentrum, nicht wie bei den meisten anderen Gemeinden kompakt und nah aneinander, sondern zieht sich in die Länge.
Zudem wird dieser Bereich durch den Verkehr und die bestehenden, historischen Straßenzügen dominiert und bietet somit wenig Aufenthaltsqualität, wie die Ortsplaner analysieren. So wurde der Ortskern in drei Bereiche gegliedert, die es zu stärken gilt: den Marktplatz, die Münchner Straße und den Bahnhof.
Markthalle am Marktplatz?
Schon im Bürgergutachten nahm der Marktplatz mit dem Herdergarten eine besonders wichtige Rolle ein. Gerade der Markt im klassischen Sinne wird hier als Baustein für eine Belebung gesehen. So raten die Planer, den beliebten Holzkirchner Wochenmarkt auszubauen. Unter anderem gab es die Idee, eine Markthalle zu etablieren, in der regionale Anbieter ihre Waren verkaufen. Ein Pluspunkt wäre die Überdachung. Doch der Nachteil ist, dass sich das Leben dann im Inneren abspielen würde.
Auch die Möglichkeiten des Bahnhofs-Areals sind derzeit nicht völlig ausgeschöpft. Das Areal sei wenig einladend und unübersichtlich. Zudem gibt es keinen Wartebereich, was für Fahrgäste besonders im Winter ein Problem darstellt. Hier soll eine sogenannte Mobilitätsscheibe entstehen. Dazu gehört eine andere Anordnung der Parkplätze und vor allem ein attraktiver Vorplatz. Auch Angebote für Jugendliche, wie ein Kinocenter oder ein Club, als auch Hotels biete sich hier durch die optimale Anbindung gut an.
Holzkirchens Verkehrsprobleme sind hausgemacht
In Sachen Kfz-Verkehr erklärte Dr. Ralf Kaulen, für den ein oder anderen etwas überraschend, dass nach den aufwändigen Verkehrszählungen, Befragungen und Gutachten eines ganz deutlich geworden sei: Der Holzkirchner Verkehr ist größtenteils selbstgemacht. Demnach gibt es nur 20 Prozent Durchgangsverkehr. 80 Prozent sind auf Quellverkehr zurückzuführen. “Wir sind also unseres eigenen Glückes Schmied”, davon ist Kaulen überzeugt.
Vor allem den am stärksten befahrenen Knotenpunkt an der Ecke Tölzer Straße / Münchner Straße wolle man beruhigen. In Zukunft sollen im Optimalfall alle nicht notwendigen Fahrten der Einheimischen vermieden werden. Das kann durch eine veränderte Gemeindestruktur erfolgen, indem die Grundversorgung im Nahbereich angesiedelt wird oder diese durch mobile Angebote sichergestellt wird. Des Weiteren gilt es, den Verkehr “verträglicher” zu gestalten, heißt in reduzierter Geschwindigkeit und nicht direkt durch die Ortsmitte.
Ortsdurchfahrt entlasten
Das knüpft an das nächste Ziel, die Münchner Straße in eine gemeindeeigene Straße umzuwidmen. Wie Kaulen betont, seien verkehrsberuhigende Maßnahmen an der Stelle allerdings nicht abhängig davon, wem die Straße gehöre. Auch eine Staatsstraße könne kurzfristig mit Sofortmaßnahmen, wie Verkehrsinseln oder Straßenmarkierungen beruhigt werden. Außerdem soll die Nordumfahrung beim McDonalds stärker genutzt werden, um so die Ortsdurchfahrt zu entlasten.
Attraktive Angebote des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) wie der BOB oder des RVO sowie beispielsweise Leihautos und -fahrräder könnten ebenfalls zu mehr Mobilität im Ortszentrum führen. Um die Einwohner dazu zu bringen, öfter mal auf das Fahrrad zu steigen oder auch mal zu Fuß zu laufen, sehen die Planungen die Umgestaltung und Ergänzung von Rad- und Fußgängerwegen vor. Das gesamte Mobilitätskonzept habe man, so Kaulen, mit einer möglichen Südumfahrung ausgearbeitet – und auch ohne eine solche.
Dabei fasste er die Ziele für Holzkirchen zusammen und erklärte: Der Markt soll zukünftig eine Gemeinde der kurzen Wege werden. Der gesamte KFZ-Verkehr kann auf eine verträgliche Menge reduziert werden. Man setze dabei auf Multimobilität. Daher habe auch die Verlagerung vom Auto auf andere Verkehrsmittel große Bedeutung.
Was kommt als nächstes?
Auf das Gesamtkonzept sollen jetzt Einzelmaßnahmen folgen, die in kurzfristige, mittelfristige und langfristige Maßnahmen eingeteilt sind. Insgesamt sind das 300 Aufgaben, die die Planer in diverse Tabellen gegossen haben. Doch die Gemeinde will diese Schritt für Schritt und vor allem priorisiert angehen. Laut von Löwis gehe es dabei um die folgenden Punkte:
- Wohnraum für alle: “Hier müssen wir massiv ran.” Beispiele dafür seien die Projekte am Sommerfeld sowie in der Baumgartenstraße.
- Der Bauhof im Zentrum soll endgültig ausgesiedelt werden.
- Der Ortskern soll städtebaulich entwickelt werden: “Wir wollen ein neues Zentrum gestalten und das Rathaus erweitern.”
- Die Mittelschule muss dringend saniert werden.
- Zu guter Letzt wolle man die Mobilität der Holzkirchner verbessern. Dabei treibt die Verantwortlichen zum Start in erster Linie die Belastungen in Großhartpenning, in der Münchner Straße sowie die Verbesserung des ÖPNV um.
Ob diese Sofortmaßnahmen tatsächlich eine Verbesserung bringen, ist dabei gestern nicht allen klar geworden. Zwar wollte keiner der Anwesenden als Nörgler oder Bremser dastehen. Aber kritische Fragen gab es nach der Präsentation einige. So betonte Iris Fischer aus Holzkirchen, dass Sie sich “mehr konkretes” wünschen würde. “Auch fassbare Ziele wären gut. Das fehlt mir noch.”
Ein Holzkirchner erklärte, dass er das Gefühl habe, die Südumfahrung schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Mobilitätskonzept und blockiert alles. Laut von Löwis eine unbegründete Sorge: “Es ist – entschuldigen Sie die Worte – scheißegal, ob die Südumfahrung kommt, oder nicht,” betonte der Bürgermeister. Ein anderer Anwohner kritisierte wiederum die Umsetzung des HEP-Kreisels: “Wir haben dort ein städtebauliches Fiasko, das nicht wenig Geld gekostet hat. Wer garantiert uns, dass das am Bahnhof und anderswo nicht auch so wird?!”
Diverse Wortmeldungen drehten sich gegen Ende um die Belastung durch Verkehr und rowdiehaftes Fahren in der Tölzer Straße, so dass von Löwis am Ende erklären musste, dass das Konzept nicht alle Probleme Holzkirchens lösen kann und wird. Dabei wurden die Verantwortlichen nicht müde zu betonen, wie wichtig die Bürger selber bei der Umsetzung sind.
Jetzt müssen Sie das Konzept annehmen, vorangehen und Holzkirchen aktiv gestalten, wenn Sie nur wollen. Denn Mobilitätsveränderung beginnt im Kopf.
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