Das neue Schuljahr startete bereits mit Unmut. In der ersten Schulwoche hatte sich ein Vater aus Rottach-Egern an den Merkur gewandt, nachdem seine Tochter zusammen mit zwanzig weiteren Schülern an der Bushaltestelle nach Schulschluss einfach stehen gelassen wurden. Sein neunjähriges Kind reagierte panisch, er hatte glücklicherweise Urlaub und konnte es abholen.
Der RVO Tegernsee wandte sich daraufhin mit einem Schreiben an die Lehrer, Rektoren sowie die Eltern der Schüler. Er weist auf die aktuell “dramatische Lage” im öffentlichen Nahverkehr hin. Es bestehe akuter Fahrermangel, aber auch Fachkräftemangel beim Werkstatt-Service sowie bei der Lieferung von Ersatzteilen bei Bussen. Der Arbeitsmarkt sei europaweit leer. Man müsse auf Fahrer zurückgreifen, die der deutschen Sprache nur bedingt mächtig seien.
Das Transportunternehmen macht auch deutlich, dass es schwierig sei, Kollegen der Bereiche Leitstelle und Disposition für die Dienstleistung zu finden, da sie immer mehr Beschimpfungen und Beleidigungen hören und Leistungen, die einwandfrei funktionieren, nicht geschätzt werden. Sie weisen eindeutig darauf hin, dass es im kommenden Schuljahr zu Ausfällen kommen werde, eine Entschuldigung gibt es in dem Schreiben allerdings keine.
“Dieses Schreiben ist eine eindeutige Frechheit”
Rita Haimerl, Vorsitzende des Elternbeirats in der Realschule Gmund am Tegernsee, erklärt auf Nachfrage, dass diese Probleme keine aktuellen seien, sondern “davon reden wir schon seit Jahren”. Seit Corona gebe es eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Alles werde entweder auf Corona oder den Ukrainekrieg geschoben. Sie merkt an, dass die Eltern und die Kinder die Leidtragenden sind. Die Vorsitzende macht deutlich:
Wir Eltern sind berufstätig, wie stellen die sich das denn alle vor? Unsere Kinder erfahren erst an der Bushaltestelle, ob der Bus kommt oder nicht.
Es sei erschreckend, wie mit der Zukunft umgegangen werde. Sie habe nach eigener Aussage viele Gespräche gehabt mit dem RVO-Betriebsleiter Peter Bartl, dieser entschuldigte sich immer wieder für seine Mitarbeiter, doch es gehe trotzdem zulasten der Schüler und Eltern.
Die Eltern blieben alleine mit dem Thema und müssen sich selbst darum kümmern, bei Ausfällen die Kinder rechtzeitig in die Schule zu bringen. Das Schreiben stelle die Eltern vor vollendete Tatsachen, so Haimerl entsetzt. Dass Beschimpfungen und Beleidigungen die Ursache für zu wenig Personal seien, weist sie zurück.
Seien wir doch mal ehrlich. Früher waren die Busfahrer noch gstandene Mansbilder, was ist denn heute los? Dann soll doch mal einer auf den Tisch hauen, wenn es zu laut wird.
Sonja Deml, ebenfalls Mitglied des Elternbeirats der Realschule Gmund, stimmt Haimerl zu. Seit Jahren funktioniere der Schulbusverkehr im Tegernseer Tal nicht und es gebe immer Drama. Sie habe vor allem Probleme mit der Ringlinie Rottach/Tegernsee. Es gebe nur einen Bus, der mit Schülern oftmals komplett überfüllt sei.
Vor Jahren, sprich vor der Pandemie, habe ihre Tochter berichtet, dass sie nicht mehr in den Bus steigen konnte, weil der bereits zu voll war. Als Deml daraufhin zum Hörer griff und beim RVO anrief, erhielt sie am Servicetelefon von einem Mitarbeiter nur die Aussage:
Kinder sind selbst schuld, wenn sie stehen gelassen werden, denn sie dürften ja in einem schon vollen Bus nicht mitfahren.
Die Aussage erkläre sich dahingehend, dass laut dem ADAC spezielle Regeln in einem Schulbus gelten. Es gebe eine explizite Anzahl an Sitz- und Stehplätzen, die nicht überschritten werden darf. Bei Erwachsenen sei dies gleichgültig, da werden halt alle irgendwie zusammen gequetscht. Außerdem wäre sie als Mutter laut dem Servicemitarbeiter sowieso nicht dabei gewesen und könne gar nicht wissen, was passiert ist.
“Das ist eine Unterstellung, dass meine Tochter mich anlügt”, so Deml noch immer sichtlich erbost. Jeder weise die Schuld von sich und an die Verantwortlichen komme man eh nicht ran, erwähnen Haimerl und Deml gleichzeitig: “Es ist schon interessant, was da mit Steuergeldern gemacht wird.”
Deml sagt aber ausdrücklich, dass sich der RVO immerhin auch bemühe. Letzte Woche sei man mit einem zweiten kleineren Bus hinterhergefahren und habe die übrig gebliebenen Kinder eingesammelt. “Man entwickelt kreative Lösungen, das ist positiv”.
Keiner will Verantwortung tragen
Dr. Werner Oberholzner, Schulleiter des Gymnasiums Tegernsee, gibt an, dass er auf den Fall mit der neunjährigen Tochter nur durch die Presse aufmerksam wurde. Er merkte dazu an, dass es in letzter Zeit noch einige Vorfälle gab, aber “in aller Regel spielt es sich eigentlich nach Schulbeginn ein”.
Die Realschule Gmund am Tegernsee weist die Verantwortung ebenso zurück. Auch wenn sie für die Ausgabe der Fahrkarte oder Weiterleitung der Anträge zuständig seien, hätten sie darüber hinaus keinen Einblick. Konkret heißt das: “Mit Ausnahme der Rückmeldung der Schüler und deren Eltern haben wir keinen weiteren Einblick. Einen Überblick, wie viele Schüler in einen Bus steigen und von anderen Schulen noch hinzu steigen, gibt es nicht”, so der stellvertretende Schulleiter Stephan Wörle.
Zu guter Letzt zieht sich auch das Landratsamt Miesbach aus der Verantwortung und lässt die Eltern mit ihrem Problem im Regen stehen. Die Landkreise schließen Verträge mit Verkehrsdienstleistern zur Durchführung ihrer Aufgabe der Schülerbeförderung. Die Transportunternehmen erhalten anschließend zum Schuljahresbeginn die zu befördernden Schülerzahlen und müssen dementsprechend Busse stellen. Man solle sich direkt an den RVO im Tegernseer Tal wenden, hieß es abschließend von der Miesbacher Behörde.
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