Kredit bekommt er nur auf sein Leben

Das Tegernseer Tal gilt als reich. Es ist Heimat jener, die es geschafft haben, und jener, die von ihnen profitieren. Und irgendwo dazwischen sitzen die Gestrauchelten. Wir stellen sie vor. Einer von ihnen: Der 57-jährige G. Harnischer.

Öfnet die Tür zu seinem Leben:  G. Harnischer aus Tegernsee
Öffnet die Tür zu seinem Leben: G. Harnischer aus Tegernsee.

Die weiße Farbe blättert von der Eingangstür. Wetter und Zeit haben mit ihr gespielt und die freigewordenen Stellen in ein mattes Braun getaucht. Dahinter riecht es nach einer feuchten Mischung aus abgestandenen Essensresten und Rauch. Die Treppenstufen der ehemaligen Kloster-Stallungen führen an wild aufeinandergestapelten Umzugskartons vorbei, direkt in die Wohnung des 57-jährigen G. Harnischer aus Tegernsee.

Der Zweifel lähmt

Vier Jahre zuvor hatte der gelernte Gärtner einen Schlaganfall, im Winter darauf einen zweiten. Dass seine linke Seite gelähmt und sein Sprachzentrum dadurch gestört war, sieht man ihm nicht mehr an. Das habe er wegtrainiert, wie er sagt. Nur merken würde er die Beeinträchtigungen noch: „Der Körper und der Kreislauf machen nicht mehr so mit“.

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Er fuchtelt an seiner Zigarette. Eine Schachtel pro Tag schafft er. Was er nicht schafft, ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, er könne etwas Geld sparen und seine Gesundheit schonen, wenn er sie wegließe. „Sie haben noch nie geraucht, mh?“ fragt er mit diesem Ton an Unverständnis, den nur jemand anschlägt, der jede freie Minute für einen Zug am Glimmstengel opfert.

Schräg ist nicht nur sein Lebensstil

Auf dem Tisch vor ihm steht ein halboffenes Nutella-Glas und eine Packung Traubenzucker, daneben ein Nagelzwicker. Direkt neben ihm, am Fenster unter der Dachschräge, trocknen ein paar Geschirrtücher. Die Dachschräge – wegen ihr kürzte man seinen Hartz IV-Satz auf monatlich 150 Euro.

Die Wohnung und der Stromverbrauch seien zu groß, erklärte man ihm, bevor man die Dachschräge berücksichtigte und seine 64 Quadratmeter plötzlich auf 56 schrumpfen ließ. Ein Glück, denn dadurch wuchs sein Hartz-IV-Satz wieder von 150 Euro auf 404 Euro.

Zur Zeit befände er sich im Krankenstand, sagt der 57-Jährige. Außer lesen und an Bekannte und Verwandte schreiben „tue er nix“. Er beschäftige sich viel mit Religion – und Ethik. „Die Biografie von Georg Ratzinger ist übrigens Scheiße“, merkt er nebenbei an und dreht wieder an seiner Zigarette. Er hat sie noch nicht angezündet, deshalb ist es nicht der Qualm, der das Weiß in seinen Augen rötlich schimmern lässt.

Von der Selbstständigkeit in die Abhängkeit

Irgendwann, da war er mal selbstständig – als Dienstleister im Gartenbau. Doch das ist inzwischen 20 Jahre her. Seine Ausbildung zum Gärtner habe er mit 18 Jahren gemacht, sagt er. Danach sei er zwei Jahre lang Zeitsoldat bei der Bundeswehr gewesen. Jobs im Botanischen Garten in München, auf einer Erdbeerplantage. Mit 30 Jahren hatte er dann seine Ausbildereignung als Gärtnermeister in der Tasche, bevor er sich schließlich zwei Jahre später für fünf Jahre auf eigene Füße stellte.

Nachdem er die Selbstständigkeit wieder aufgegeben hatte, stellte ihn die Gemeinde Rottach als Gärtnermeister an. Mit vier Mitarbeitern kümmerte er sich um die Anpflanzung und Pflege des Blumenschmucks in der Seestraße, und um die Instandhaltung der Verkehrsinseln. Was er nicht instand halten konnte, war seine Ehe. „Vielleicht lag`s am Schwiegervater“, vermutet Harnischer.

G. Harnischer seufzt. Einst hattest du alles im Griff, scheint ihm seine Erinnerung in diesem Moment zuzuflüstern, jetzt ist es nur die Zigarette in deiner Rechten. „Ohne die Gmunder Tafel, und ohne meine Freunde würde ich nicht leben können“, sagt er mit rauchiger Stimme. Seine weißen Haare stehen bei dieser Aussage genauso unsortiert auf seinem Kopf wie die unausgepackten Kartons im Nebenzimmer.

Wenn Privatleute sich um das soziale Elend kümmern, dann muss es die Politik nicht tun.

Harnischer muss Strom sparen. Deshalb hat es ihm auch nichts ausgemacht, als seine Heizung defekt war. Die wurde zwar inzwischen vom Eigentümer repariert, aber nutzen wird er sie nicht. Zum Glück hat er noch einen Ofen, der ihn wärmt, bevor der Winter kommt. In der Not auf einen Sanitäter namens Alkohol zurückzugreifen, fällt ihm nicht ein: “Zum Bier hab` ich`s nicht geschafft.”

Sicherlich könnte er jetzt irgendwo im Büro unterkommen, aber selbst diese Art von Arbeit mache der Körper aufgrund seines Schlaganfalls nicht mit, erklärt er schnell und fügt hinzu:

Durch meine Privatinsolvenz, die seit zwei Jahren läuft, werde ich finanziell sowieso keinen Fuß mehr fassen. Und einen Kredit gewährt man mir nicht mehr.

Zumindest auf sein Leben bekommt er einen. Aber auch den muss er irgendwann mit demselben zurückbezahlen.

Zur TS-Serie “Die im Schatten”

Das Tegernseer Tal gilt als reich. Es ist Heimat jener, die es geschafft haben, und jener, die von ihnen profitieren. Und dann gibt es die Gestrauchelten. Wir erzählen ihre Geschichten.

Wenn Sie eine Geschichte haben, über die wir schreiben sollen, melden Sie sich per Email bei Nicole Kleim unter nk@tegernseerstimme.de.

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