Jakob Kreidl und der Wähler: Eine fast ganz normale Beziehung

Der Doktor ist weg. Jakob Kreidl hat in einer schriftlichen Erklärung den Verzicht auf den Titel verkündet. Unabhängig von der Entscheidung seiner sich derzeit noch in Prüfung befindlichen Universität Neubiberg.

Gleichzeitig beruft sich der Landrat auf den „erteilten Wählerauftrag“ und auf die „Grundlage des Vertrauens der Wählerinnen und Wähler“, um sein Amt weiter auszuführen. Woher Kreidl jedoch das Wissen über das ihm entgegengebrachte Vertrauen nimmt, bleibt sein Geheimnis.

Seine Stellvertreter im Landkreistag stehen noch fest hinter Jakob Kreidl. Quelle: picture-alliance
Landrat Jakob Kreidl ist sich sicher: der Wähler vertraut ihm auch weiterhin/Quelle: picture-alliance

Vielleicht gab es Befragungen im Landkreis, von denen man nichts weiß. Vielleicht wurde Meinungsforschung betrieben, deren Ergebnisse nur im Landratsamt vorliegen und die besagen, dass die große Mehrheit dem amtierenden Landrat ihr Vertrauen ausgesprochen hat.

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Doch all das erscheint derzeit eher unrealistisch. Und so bleibt nur der Schluss, dass sich Jakob Kreidl in seiner offiziellen Stellungnahme auf etwas beruft, dessen Grundlage sich inzwischen geändert hat – den Wählerauftrag, den er vor fünf Jahren erhalten hat. Als Dr. Jakob Kreidl.

Mit der Arbeit als Landrat hat es nichts zu tun

Inzwischen ist Jakob Kreidl allerdings kein Doktor mehr. Mit der Arbeit als Landrat hat das nicht viel zu tun. Ein Doktor über den Konflikt im Kosovo ist keine Voraussetzung, um im bayerischen Voralpenland ein guter Repräsentant zu sein. So sehen es seine politischen Mitstreiter und verweisen dabei auf die ausgezeichnete Arbeit, die Kreidl in den fünf Jahren seiner Amtszeit geleistet hat.

Ein Doktor mache keinen anderen Menschen. Ein fehlender Doktor auch nicht. Aber einen Unterschied macht es dann doch: Die Menschen im Landkreis haben einen Doktor zum Landrat gewählt. So wie auch Unternehmen Angestellte mit Diplom oder einem Doktortitel einstellen. Ist der akademische Grad allerdings ergaunert, und es kommt raus, hat das Unternehmen das Recht, den Arbeitsvertrag aufzulösen – weil sich die Grundlage der gegenseitigen Beziehung geändert hat.

Die Entscheidung liegt nicht beim Betrüger

Dabei ist es nicht der enttarnte Arbeitnehmer, der nach eingehenden Überlegungen zu dem Schluss gelangt, dass er seinen Job behält, indem er sich auf das ihm entgegengebrachte Vertrauen bei seiner Einstellung beruft. Und auch in einer Paarbeziehung entscheidet nicht der Betrüger, ob er das Vertrauen des Partners weiterhin als Grundlage der Beziehung ansieht und ob er es noch genießt. Es sind die Betrogenen, die entscheiden, ob sie die Beziehung unter den neuen Voraussetzungen weiterführen möchten oder nicht.

Entscheidet sich ein Unternehmen dazu, einen Mitarbeiter weiter zu beschäftigen, obwohl in den Bewerbungsunterlagen geschummelt wurde, dann kann es das. Entscheidet sich ein betrogener Partner dazu, die Beziehung weiterzuführen, dann ist das ebenfalls möglich. Doch jetzt wird es komisch: Entscheidet sich ein Politiker dazu, sich auf das Vertrauen der Wähler zu berufen, dann kann er das offensichtlich tun, auch wenn der Wähler in dem Fall der Betrogene ist. Denn dessen Zustimmung wird einfach stillschweigend vorausgesetzt.

Die Floskel vom Wählervertrauen

Ob es stimmt oder nicht, ob die Wähler dem Politiker weiterhin vertrauen oder nicht, ist in diesem Fall egal. Die Floskel des „Vertrauens der Wählerinnen und Wähler“ geht vor allem eines – leicht über die Lippen. Aber es bleibt eben auch eine Floskel. Denn nachprüfbar ist sie nicht. Zumindest nicht vor der nächsten Wahl.

Die Entscheidung über die politische Karriere des Jakob Kreidl liegt demzufolge auch nicht beim Wähler, sondern bei seiner Partei, vielleicht noch bei den Mitgliedern des Kreistages oder den Bürgermeistern. Genießt er dort den nötigen Rückhalt, dann bleibt er im Amt. Das Vertrauen der Wähler ist in diesem Fall egal.

Parallelen zu Guttenberg?

Gegenüber der Tegernseer Zeitung sagte Jakob Kreidl vor über zwei Jahren auf die Frage, ob Karl-Theodor zu Guttenberg weiterhin im Amt bleiben könne: „Ich glaube nicht, dass das seiner Beliebtheit einen Abbruch tun wird.“ Kreidl betonte damals, dass er selbst sehr gewissenhaft gearbeitet habe bei seiner eigenen Doktorarbeit. Er sah allerdings in den Vorwürfen gegen den ehemaligen Verteidigungsminister vor allem eine Kampagne der politischen Gegner und der Medien.

Inzwischen ist sein eigener Doktor weg. Dokumentierte Plagiate finden sich auf fast 85 Prozent der Seiten. Damit liegt er auf Rang drei aller bisher überprüften Doktoranden und nur zwei Plätze hinter zu Guttenberg. Der vor einigen Tagen verkündete Verzicht ist vor diesem Hintergrund so ehrenhaft wie der „freiwillige Verzicht“ auf den Führerschein, nachdem man mit 1,5 Promille Alkohol im Blut erwischt wurde. Sich auf das Vertrauen der anderen Verkehrsteilnehmer zu berufen und trotzdem weiter zu fahren – diese Option sieht zumindest das geltende Recht nicht vor.

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