Proteste am Bau

Bauprojekte am Tegernsee haben längst das Zeug zum Daueraufreger. Wie angespannt die Situation inzwischen ist, zeigt die angekündigte Demo nächsten Samstag. Das schärfste Mittel der Bürger, um ihren Unmut kundzutun.

Umstrittene Bauvorhaben sind aber nicht nur bei uns ein Thema. Und so wird längst nach Wegen gesucht, um zwischen Staat, Bauträgern und Bürgern zu vermitteln. Ansätze, die auch im Tal helfen könnten.

Thomas Tomaschek hatte erst vor Kurzem den Protest gegen den Abriss des Glasl organisiert
Thomas Tomaschek hatte erst vor Kurzem den Protest gegen den Abriss des Glasl organisiert / Bild: Screenshot BR

Viele der zuletzt auf den Weg gebrachten größeren und kleineren Bauprojekte sind teilweise auf massive Kritik aus Reihen der Bürgerschaft gestoßen. Der Bau des Lanserhofs in Waakirchen, der Abriss des Rottacher Gasthof Glasl, der Neubau der Orthopädischen Klinik in Tegernsee oder das a-ja-Hotel an der Grenze zwischen Tegernsee und Rottach-Egern.

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Nicht alle der genannten Projekte können in einen Topf geworfen werden. Rechtlich sind die Bauvorhaben, soweit von außen ersichtlich, korrekt abgelaufen. Es wurden Bauanträge eingereicht, die in den zuständigen Gremien geprüft und beraten wurden. Mit Erteilung der Baugenehmigung beginnt jedoch meist der Ärger: Vielen Menschen wird nämlich erst dann bewusst, um was es wirklich geht bei den Bauten.

Beteiligungsverfahren sollen nicht zur Werbung werden

Mit dem Ärger vonseiten der Einheimischen steht das Tegernseer Tal allerdings nicht alleine da, wie eine Reihe von Initiativen zur Entwicklung neuer Beteiligungsabläufe ‒ speziell für Bauvorhaben ‒ im ganzen Land demonstrieren. Die Gründe, dass man sich sowohl auf politischer wie auch aufseiten der Bauträger darüber vermehrt Gedanken machen muss, sind einfach: Protest bedeutet immer auch das Risiko auf Bauverzögerungen und damit unkalkulierbare Mehrkosten.

Der Verein Deutscher Ingenieure erarbeitet beispielsweise gerade eine neue Richtlinie zur „frühen Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großprojekten“. Das Ziel der VDI 7000 hat der Verein so formuliert:

Die Planung und Genehmigung öffentlich relevanter Industrie- oder Infrastrukturprojekte steht in Deutschland immer wieder vor erheblichen Akzeptanzproblemen. Die neue Richtlinie unterstützt private und öffentliche Vorhabenträger dabei, das nötige Vertrauen aufzubauen und spätere rechtliche Konflikte zu vermeiden.

Andere Initiativen gehen beispielsweise vom Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung aus. In einer sehr lesenswerten Sonderveröffentlichung (PDF) lässt das Ministerium im Rahmen von bereits vorhandenen Beteiligungsmöglichkeiten verschiedene Experten sehr objektiv zu Wort kommen.

Spannend ist beispielsweise ein Artikel, der die Entfremdung zwischen Planern (Gemeinde) und Beplanten (Bevölkerung) thematisiert. Es wird beispielsweise davor gewarnt, dass Beteiligung als reine Überzeugungsarbeit missverstanden werden könnte:

In der Konsequenz werden Beteiligungsverfahren als Lernverfahren angesehen und durchgeführt, um dem Bürger die Notwendigkeit einer bestimmten Entscheidung deutlich zu machen. […] Dies führt zu Beteiligungsverfahren, die mit hohem Aufwand entwickelt und umgesetzt werden, obwohl sie gegebenenfalls nicht so hohes Interesse in der Bevölkerung an einem bestimmten Vorhaben erzeugen.

Es geht also bei den Verfahren nicht darum, die Menschen von etwas überzeugen zu wollen, sondern darum, deren Sichtweisen einzuholen. In der Konsequenz wird dazu aufgerufen, dass neue Beteiligungsmöglichkeiten getestet und geschaffen werden sollten, die es erlauben, die Stimmung aus der Bevölkerung aufzugreifen, auch wenn sich diese nicht an die planungsrechtlichen Formalitäten halten.

In Ludwigsburg macht man sich aktuell Gedanken über die Entwicklung des Marktplatzes.
In Ludwigsburg macht man sich aktuell Gedanken über die Entwicklung des Marktplatzes.

Wie solche Verfahren aussehen können, zeigt beispielsweise die Stadt Ludwigsburg in der Nähe von Stuttgart. Dort wurde unter meinlb.de bereits vor Jahren eine Form der Beteiligung eingeführt, die es den Bürgern erlaubt, dauerhaft bei der Entwicklung der Stadt mitzureden:

Die Webseite ist die neue Bürgerbeteiligungsplattform für Ludwigsburg. Du kannst hier online deine eigenen Ideen und Projekte vorstellen. Du kannst mit anderen Bürgern in Kontakt treten, Mitstreiter für dein Projekt finden und bei der Stadtverwaltung um Unterstützung bitten. Deine Ideen werden von den anderen Mitgliedern diskutiert und bewertet. Die Stadt Ludwigsburg gibt dir ein Feedback zu deinem Projekt und unterstützt es nach Möglichkeit.

In Ludwigsburg ist das Thema Stadtentwicklung tief in der Gesellschaft verankert, was auch einigen Aufwand bedeutet. Es wird beispielsweise versucht, den Ablauf bei Bauvorhaben und Bauaufstellungsverfahren an Schulen zu lehren und so für die Zukunft fachlich fundierte Beteiligung unter den Bürgern zu erzielen.

Dabei ist das ein wichtiger Punkt, wenn darüber nachgedacht wird, die Gesellschaft tiefer in die Entwicklung des eigenen Umfeldes zu integrieren. Denn ein großer Teil des Protestes, der auch im Tegernseer Tal in letzter Zeit vermehr aufflammt, hat schlicht das Problem, gegen rechtlich nicht mehr veränderbare Vorhaben gerichtet zu sein. Das lässt Bürger ohnmächtig zurück und verstärkt den Wunsch, prinzipiell auch gegen das nächste große Bauprojekt angehen zu müssen.

Protest weckt oft falsche Hoffnungen

So war wenig zielgerichteter Protest bereits beim Glasl der Fall und zeigt sich jetzt auch wieder bei der Initiative der Schutzgemeinschaft. Mit der Orthopädischen Klinik wurde ein Aufhänger für eine Demonstration genommen, an dem rein formal kaum noch zu rütteln ist. Das Ergebnis ist oft Hilflosigkeit und Frust bei allen Beteiligten. Bürger demonstrieren gegen Vorhaben, die nicht mehr veränderbar sind. Planer sehen sich mit Protest konfrontiert, auf den sie kaum noch reagieren können oder wollen.

Um dieser Sackgasse zu entgehen, muss man sich unter anderem in der Politik tiefgreifendere Gedanken machen, wie die Gesellschaft bei anstehenden Großprojekten beteiligt werden könnte. Oft ist aus den Rathäusern dazu zu hören, dass die Pläne doch schon immer öffentlich ausgelegen sind und jeder Bürger seinen Einspruch hätte einreichen können.

Baurechtlich mag das formal richtig und der angedachte Weg der bürgerlichen Beteiligung sein. In der Praxis ist es aber auch der einfachste Weg, um zu zeigen, dass man diese eigentlich gar nicht möchte. Denn kaum ein Bürger setzt sich ins Vorzimmer des Bauamtsleiters, um Pläne zu studieren, die er nicht versteht. Am Ende wird vielen erst mit den ersten Bildern der Projekte klar, was diese eigentlich bedeuten. Emotional gesehen viel zu spät.

Breite Akzeptanz erreichen

Um zunehmenden Protest zu vermeiden und gleichzeitig eine allgemein als positiv empfundene Veränderung des jeweiligen Ortsbildes zu erreichen, sollte es im ureigensten Interesse von Behörden und Bauträgern sein, frühzeitig zu erfragen, was sich die „Beplanten“ wünschen. Dazu gehört auch die Frage, wovor die Bürger genau Angst haben und wie deren Ansätze, Ideen und Vorschläge in einen formal korrekten Rahmen gebracht werden können.

Andernfalls wird man sich damit abfinden müssen, dass immer weniger Bauvorhaben auf breite Akzeptanz in der Bevölkerung stoßen. Das sorgt nicht nur für schlechte Stimmung und fördert scharfe Proteste, sondern es schadet langfristig dem notwendigen Investitionsklima im Tegernseer Tal. 

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