In Rottach-Egern provoziert PETA mit einem Plakat über Anbindehaltung
Was Kühe mit Intensivstraftätern gemein haben

In Rottach-Egern hing ein PETA-Plakat. Zwei Wochen. Für Aufregung wird es länger sorgen, rüttelt es doch auch an den Grundfesten vieler Landwirte im Landkreis Miesbach. Ein Streit, der auch in die Zukunft weist.

So idyllisch sieht das aus. Sicher geht es hier allen Kühen gut – denkt so das Stadtvolk gutgläubig.

Das dauerhafte Anbinden von Rindern ist für die Tierschutzorganisation PETA „körperliche und auch seelische Folter“. Im Dezember 2023 kündigte die gemeinnützige Organisation an, gegen diese Haltungsform kommunikativ und juristisch vorzugehen. Man wolle eine Strafanzeigen-Kampagne starten. Zwei Bauern-Betriebe aus dem Landkreis, einer sogar aus dem Tal, bekamen Besuch vom Veterinäramt. “Es hat nach den Anzeigen verstörende Durchsuchungen gegeben”, erklärt die Kreisbäuerin und CSU-Kreisrätin Brigitta Regauer im Kreistag.

Unterstützung erhält sie von Bürgermeister Christian Köck aus Rottach-Egern, der sich ebenfalls über die Plakataktion (siehe Motiv) ärgert. Fünf Anzeigen gingen gegen Landwirte aus seiner Gemeinde raus. “Da hat PETA absolut daneben gelangt”, echauffiert sich der 52-Jährige, um dann das Selbstverständliche zu erklären: Man hätte aber das Plakat nicht abnehmen oder überkleben wollen. Das wäre Sachbeschädigung. Er habe aber das Landwirtschaftsamt gebeten, die Macher der Kampagne “zu sensibilisieren”. Hätte man früher solche Aktionen bestenfalls ignoriert, sind sie nun, unter konventionell arbeitenden Bauern und deren Fürsprechern, Grund zum Zorn. 

Auslauf nur begrenzt drin

Dann wurde es im Kreistag vogelwild, als sich die Mitglieder der Bayernpartei äußerten. PETA sei eine kriminelle Vereinigung, meinte Balthasar Brandhofer aus Waakirchen. Sein Parteifreund Martin Beilhack trieb es dann endgültig auf die Spitze: “Die Kombi-Haltung muss zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt werden.” Der spätberufene Bauer und Chef der Gebirgsschützen griff damit eine Petition auf, die man bei den Nachbarn in Garmisch-Partenkirchen aufgestellt hatte. Allgemeines Stöhnen. Kombi-Haltung ist ein schwieriges Feld.  Bei dieser Haltungsform bleiben Kühe im Stall, bekommen an mindestens 120 Tagen im Jahr freien Auslauf (für zwei Stunden). Klingt für viele Bauern ok, stößt aber sensiblen Konsumenten, die nicht die Fachzeitschrift Top Agrar abonnieren, schwer auf. Kühe als Intensivstraftäter mit Hofgang alle drei Tage, so wird das zwischen Nymphenburg und Haidhausen übersetzt. Bei Twitter fallen sie über so eine Aussage in Sekundenschnelle her. 

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Das Plakat, das den Streit entfacht: Kühe im Dunklen, die für uns Milch und Fleisch produzieren (müssen). Quelle / PETA.
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Auf die Kuh gekommen ...

Wie sollen sie leben, die Kühe im Tal?

Ein CSU-Mitglied im Kreisrat schüttelte den Kopf, sagt uns, dass solche Leute wie Beilhack dem Anliegen der Bauern mehr schade als helfe. Auch Landrat Olaf von Löwis wolle “nicht auf Züge springen, die ins Nirwana führen.”

Johannes Hagn (CSU) Bürgermeister in Tegernsee versucht, die Diskussion mit einem schlichten Hinweis zu beenden. Mit diesen Beiträgen hätte PETA ja das Ziel erreicht. Man spricht darüber. Nur: In seiner Kleinstadt sind Landwirte kaum noch zu finden. Auch in Rottach-Egern gibt es nur noch 21 Landwirte (Quelle: Rathaus Rottach-Egern/Bay-Stat). 20 Jahre zuvor waren es noch 39 landwirtschaftliche Betriebe. Der Beruf stirbt aus. Das ist so bitter, wie einfach zu erkennen. Es scheint: Wenn es sich anderswo im Landkreis noch gut von der Landwirtschaft (auch dank der SWM) leben lässt, besitzt die Bäuerin im Tal wenig Relevanz, allenfalls als Touristenmotiv. Die Almbewirtschaftung wird als Argument genannt, die Pflege der Kulturlandschaft. Aber alles klingt immer nach Rückzugsgefecht, frustriert, wegduckend und resigniert. Warum? Der Bauernstand steht seit Jahren von allen Seiten unter massiven Druck.

Vorgaben für die Landwirtschaft

Immer wieder erschweren Vorgaben über die richtige Viehhaltung und Führung der Grünflächen die tägliche Arbeit und mindern die Erträge. Der Verdacht: Mit der sinkenden Zahl der Hofbesitzer reduziert sich auch deren Einfluss auf die Politik. Ob Bienen-AbstimmungGülle-Verordnungen oder eben Anbindehaltung: Landwirtschaft muss oder soll sich massiv verändern, einschränken und wandeln – möglichst schnell. Das ist einer überwiegend traditionell eingestellten Branche alles zu schnell, zu viel wird über sie gesprochen, zu wenig mit ihnen gedacht. 

Was sagen eigentlich die Parteien dazu?

CSU

Lange Zeit war die CSU die politische Schutzpatronin der Bauern. Auf sie war Verlass bei Subventionen und Traditionsbewahrung. Seit sie mehr und mehr in den Städten an Attraktivität verliert, dort aber mehr und mehr Potenzial entsteht, wirkt sie in ihrem Bemühen um den Schutz der Landwirtschaft oft schwerhörig. Man macht die üblichen Veranstaltungen mit, nickt gern eifrig, aber winkt schwierige Vorgaben dennoch durch. Nur kurz vor Wahlen wie jetzt werden die Schwarzen wach, besuchen Almen, betonen den engen Kontakt zur ländlichen Bevölkerung. Nur: Will man auf eine schrumpfende Gruppe setzen und damit eine wachsende Gruppe der bewussten und vor allem jungen Konsumentinnen verschrecken? Das politische Dilemma werden die Bauern in Zukunft trotz aller Grußadressen zu spüren bekommen.

Die Grünen

Traditionell immer auf Seiten des radikalen Tierwohls. Ihre Fanbase sitzt in den Städten, verachtet oftmals das “reaktionäre Landvolk” und will am liebsten die Idee des Nutztieres vom Teller schieben. Dumm nur: Sie sind an der Regierung. Da kann man nicht nur munter fordern, da muss geliefert werden. Also werden Höfe besucht. Das wirkt mitunter fremdschämend. Nur: Mit ihren Forderungen nach radikalem Tierwohl und ökologischer Landwirtschaft befinden sich die Grünen an der Spitze einer jungen Bewegung. Ob Klimaneutralität oder Tierwohl – Bauern ziehen bei diesen Themen oft den Kürzeren und bleiben auf der Strecke. Hier und da ein paar Förderungen – aber mehr wird bei den Grünen nicht drin sein.     

Die Fleischfans

War zur Jahrtausendwende die Anzahl der Fleischverzichter überschaubar, liegt sie jetzt bei acht Millionen Menschen in Deutschland. Vegetarisch oder sich gar vegan zu ernähren, ist in den großen Städten im Mainstream angekommen. Das gilt vor allem für die jungen, urbanen Bevölkerungsgruppen. Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis Fleischkonsum mit ähnlichen Abscheu begegnet wird, wie das Rauchen? 

Dann ist da der Milchverzicht. Das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft (BZL) hat herausgefunden: 2021 sank der Pro-Kopf-Verbrauch von Konsummilch um 2,2 Kilogramm, “und lag mit 47,8 Kilogramm auf dem niedrigsten Wert seit 1991. Mögliche Gründe können der verstärkte Konsum von pflanzlichen Milchalternativen sein.” Zeitgleich sinkt die Zahl der Betriebe, die auf Milchwirtschaft setzen, kontinuierlich. In Deutschland liegt die Zahl bei weniger als 54. 0000.

Insofern könnte jemand wie Martin Beilhack unfreiwillig Recht haben: Bauern könnten bald etwas Museales haben, wenn nicht mächtig gegengesteuert wird. Der Landkreis macht im politischen Vorfeld zwar viel. Aber dennoch sinkt die Akzeptanz in der Bevölkerung für herkömmliche Landwirtschaft. Da ist nicht immer Sachkenntnis vorhanden, wird gern von Fachfremden über komplexe Tierhaltung debattiert. Aber: Grün wurde, das haben genug Studien gezeigt, auch in bürgerlich-konservativen Haushalten gewählt, weil Tierwohl ein mächtiger Grund bei der Wahlentscheidung war, ist und bleiben wird. Natürlich wird die Republik nicht in zehn Jahren komplett vegan sein. Auch sollte das pauschale Bauern-Bashing auf wenige meinungsstarke, aber ahnungslose Elitengruppen beschränkt bleiben. Aber der Druck des bewussten Konsums lässt sich nicht wegdenken.

Denn auch das gehört zur Wahrheit: Wer sich trotzig zurückzieht, daran glaubt, hier handele es sich um vorbeiziehende Modeerscheinungen, wird sehr bald von der Zukunft überrollt. So bitter, und doch so einfach ist das. Da sollte nicht auf warme Politiker-Reden der üblichen Parteien gehört werden. Bauern sind wie kaum eine Berufsgruppe seit Jahren von extremen Umwälzungen betroffen. Das gilt mehr denn je für die im Landkreis, die mehrheitlich auf Viehwirtschaft setzen müssen. Tiere erzeugen andere Bilder. Eben Bilder, die Emotionen erzeugen. Da bleibt auch gern das Sachargument auf der Strecke, aber das Ziel wird erreicht. Permanente Kommunikation und Transparenz können Abhilfe verschaffen.

Randnotiz

Die Tegernseer Stimme existiert seit beinahe 15 Jahren, erreicht täglich bis zu 20.000 Leserinnen und Leser. Bis heute hat sich kein Bauer oder Funktionär bei uns proaktiv gemeldet, um für seine Sache zu werben.

Hintergrund:

Mehr als die Hälfte aller Höfe im Landkreis Miesbach halten ihre Kühe in der sogenannten Kombi-Haltung. 1048 Höfe gibt es, davon 561 im Vollerwerb. Die überwiegende Zahl hat weniger als 20 Hektar. Das wiederum wirkt sich auch auf die Haltung und Menge der Tiere aus. PETAs Ziel ist nicht eine Veränderung zu einer ökologischen Landwirtschaft mit z.B. Laufställen. Sie setzen voll auf vegane Landwirtschaft. Das ist sowohl von der Lebenswirklichkeit örtlicher Bauern als auch von den Forderungen des Bauernverbands weit entfernt. Die Aktionen von PETA werden in der Zukunft dennoch fortgeführt werden.

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