Künstler, Nazis und die heile Welt am Tegernsee

Das vielschichtige Bild der vermeintlich heilen Welt im Tal zeigte die Ausstellung „Trügerische Idylle“ in Tegernsee. Am Pranger standen dabei auch Olaf Gulbransson und Ludwig Thoma. Die ungeschminkte Wahrheit über das Leben Thomas sorgte auch bei einer Sonntags-Matine wieder für einen vollen Saal im Gulbransson-Museum.

Ludwig Thoma mit Freunden am Kaffeetisch in Abwinkl (v.l.) Olaf Gulbransson, Ludwig Thoma, Nelly Gerstle, verh. Wolff, Marion Thoma, Grete Gulbransson / Foto: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Das Reizthema Nationalsozialismus und das kulturelle Leben am Tegernsee lässt offenbar auch viele Bewohner des Tales nicht unberührt. Denn mit Beginn der Veranstaltungen zu Ludwig Thomas 150. Geburtstag Anfang des Jahres und der Ausstellung „Trügerische Idylle“ im Gulbransson-Museum wurden Thoma und Gulbransson als braune Gesinnungstäter demaskiert. Dies zog über 5.000 Besucher in den Bann. „Ein Besucherrekord“, wie Klaus Fresenius als Vorstand der Gulbransson-Gesellschaft verkündete. Zuletzt hätte es im Jahr 2000 ähnlich viele Besucher bei einer Ausstellung gegeben.

Die einst hochangesehenen Künstler, allen voran Thoma, bieten „genügend Reibungsflächen“, so Fresenius zu Beginn der gestrigen Matinee. Thoma stehe uns als facettenreicher, in sich gespaltener und widersprüchlicher Menschen gegenüber. Da gebe es den Autor unsäglicher antijüdischer Hetztiraden im Miesbacher Anzeiger und auf der anderen Seite den Verfasser von Liebesbriefen an seine jüdische Freundin Maidi Liebermann. Diese Widersprüche gelte es zu ertragen.

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„Versager, Feigling und Lügner“

Anlass für die Replik von Fresenius waren Gast und Thema der Veranstaltung: Ludwig Thoma und die große Welt. Damit setzte sich zum Abschluss des Thoma-Jahres der Schriftsteller und Journalist Michael Skasa auseinander. Schon der Flyer zur Veranstaltung zeigte, wie scharfzüngig und gewitzt der BR-Kultmoderator mit Thoma umgehen wird.

Ein vierschrötiger Bolzen war der Dr. Thoma, der Kirche und Staat prügelte und auf Juristen und Sittenprediger eindrosch, das Satireblatt ‚Simplicissimus‘ groß und bissig machte und die witzigsten Spottverse, die treffsichersten Komödien und die großartigsten Romane schrieb über die Bayern, die Bauern, über die ländliche Welt und die städtischen Lügenbeutel und Pinkel.

Doch im nächsten Absatz entlarvt Skasa den geschätzten Heimatdichter als „Versager, Feigling und Lügner“. Thoma „zuckte bei der Fechtmensur zurück und wurde aus dem Korps geschmissen, betrog bei der Doktorarbeit, da er die schriftliche Arbeit nie abgegeben habe, und taugte nichts als Rechtsanwalt“. In Lackschuhen sei Thoma durch Berliner Salons gegangen und zum Heiraten habe er sich für 50.000 Gulden „eine fremdländische Cabaret-Tänzerin gekauft“, für die er am Tegernsee einen Tennisplatz anlegen ließ.

Seine Hoffnung zerstob, mit seiner Erwerbung am Kachelofen sitzen zu können, denn „sie ging ihm davon, der Krieg kam – er wurde wild und drosch auf die Welt ein: auf die Russen, die Juden, die Anarchie. Es war furchtbar“, so Skasa.

„Dreckig gewordenes Hand- und Mundwerk“

Dies war die Kurzfassung dessen, was Skasa in seinem gestrigen, rund einstündigen Vortrag noch bissig ausschmückte. Man müsse sich den viereckigen Thoma mit weißem Tennisdress, einem Panamahut und einem Racket auf dem Tennisplatz der Tuften vorstellen, regte Skasa die Phantasie mit Zitaten von Thoma an, wie: „Wenn wir Tennisspielen ist immer große Gesellschaft da. Ich glaube, das Viehzeug fährt eigens herüber, um Marion anzuglotzen. Als die Frau, die mit dem Thoma durchging“.

Literat Michael Skasa im Gulbransson-Museum.

Thomas „ganzer Stolz sei dieses prachtvolle Haus in Tegernsee gewesen, wo er wie der Dichterfürst über sein Bauernvolk residieren wollte“. In einer Episode schreibe Thoma dagegen über Tegernsee „von dem Aufenthalt in einem öden Dorfe“, wenn er von seinem Haus spreche.

Nachdem man einmal dieses grässliche Landgut gekauft hatte, musste man Sommer für Sommer unter den Bauern zubringen.

Je weiter Thoma die Zweisamkeit im eigenen Heim zerrinne, so Skasa, desto mehr habe er sich in die Heimat eingegraben. Was war Thomas „große Welt“ schon? „Geschrei, Geld und Klugscheißer, Juden und Sozis, hergelaufene Fremde, Schwabinger Schlawiner, lauter Nullen“ resümierte Skasa Thomas letzte Jahre. „In einer verdeckten Feldschlacht“ habe Thoma den Kampf mit „Rittern ohne Vorhaut“, den Juden, aufgenommen. Und zwar „in 176 anonymen, mit Zigarrenkisten honorierten Hetzartikeln, die er alle innerhalb eines Jahres für den Miesbacher Anzeiger hinsaut, hinbrüllt“, so Skasa.

„Erst Thomas Tod im August 1921 beendet sein dreckig gewordenes Hand- und Mundwerk“. Skasas Fazit: „Unser größter bayrischer Dichter war ein armer Hund und ein entfesselter Spießer“. Doch „Thoma wird unsere Herzen weiterhin bewegen“, fasste Fresenius zusammen, denn die Frage sei, wie man Werk und Person trennen könne. Zumindest habe der Vortrag Skasas ihn nachdenklich gemacht. Zu einer Neuauflage könnte es in vier Jahren kommen. Dann wird nicht nur am Tegernsee dem 100. Todestag von Thoma gedacht.

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