Keine Unterkünfte, erschöpfte Mitarbeiter und überfüllte Turnhallen: Landrat Olaf von Löwis sendet SOS an die Politik. Der Landkreis hat keine Kapazitäten mehr für Geflüchtete.
Es ist stickig. Dort, wo einst Kinder Sport machten, stehen nun Stockbetten in sogenannten Boxen. Männer liegen lethargisch darauf, Kinder weinen. Mütter schauen zu den Journalisten hinauf, die auf einer Tribüne einen kleinen Einblick in das tägliche Leben der Flüchtlinge bekommen sollen. Das Landratsamt hat dazu eingeladen, die Sporthalle der Berufsschule am Windfeld in Miesbach zu besuchen. Die Turnhalle ist eine von drei Sporteinrichtungen (Berufsschule und Gymnasium Miesbach sowie Tegernsee) im Landkreis, die seit zwei Jahren zweckentfremdet werden.
Stickig und würdelos?
132 Menschen leben in dieser Halle, einige seit einem Jahr. Sie kommen aus allen Ecken dieser Erde: Eine Familie aus Venezuela, Menschen aus Peru, Afghanistan, Syrien, Nigeria, Myanmar und der Türkei. Es sind Kinder, Frauen und Männer, die hier ein Leben auf wenigen Quadratmetern führen. Privatsphäre? Ein Bett und ein mobiler Kleiderschrank. 24 Betten in einer Box, ein Sichtschutz zu den anderen Boxen. Jedes Wimmern, Schnarchen, Reden, jeder Streit, jedes Telefonat mit der Heimat wird gehört. Stört. Lässt die Menschen oft nicht schlafen. Jene, die draußen in Miesbach arbeiten, zu Integrationskursen gehen, sind schnell sauer auf jene, die am Abend noch trinken, Party machen wollen. Keine Klimaanlage, die die Temperatur in den Sommermonaten erträglich, eine Frischluftanlage ist ein Tropfen auf dem sehr warmen Stein. All das zehrt an den Nerven.
Wir privilegierten Journalisten stehen auf der Tribüne, schauen betreten hinunter, und die, die nichts haben, schauen zu uns. Kinder winken schüchtern. Es brennt einem das Herz. Nicht so oft prallen in unserem wohlhabenden Landkreis Elend und Glück in der Lebenslotterie so krass aufeinander.
Warum sind wir hier?
Im April diesen Jahres beklagten wir von der Tegernseer Stimme eine ungenügende Kommunikation des Landratsamts Miesbach. Auslöser war eine Liste mit der Soll- und Ist-Belegung von Flüchtlingen in den 17 Gemeinden. Man sah ein deutliches Solidaritäts-Gefälle zwischen den Gemeinden. Diese Liste wollten viele Kommunalvertreter ungern in der Öffentlichkeit sehen. Wir veröffentlichten sie dennoch und fragten beim Landratsamt an, ob wir die Turnhalle in Tegernsee besuchen dürften. Wir wollten uns selbst ein Bild machen. Man verwies auf Persönlichkeitsrechte und behandelte unsere Anfrage abschlägig. Jetzt, vier Monate später, ist man in der Verwaltung Miesbach bereit. Man öffnet sich. Der Grund: Dem Landkreis steht in dieser Frage das Wasser bis zum Hals. Das kennt man aus anderen Bezirken. Aber von Löwis hat massive Probleme, die immer neu hereinströmenden Gruppen adäquat unterzubringen.
Die Zahlen
Schauen wir uns die Zahlen an: Im Landkreis leben laut Landratsamt 2.188 Flüchtlinge. Davon stammen 1.138 Menschen aus der Ukraine und 1.050 Personen sind Asyl-Bewerber. Hier knirscht es schon zum ersten Mal. Im April 2022 beschlossen die Länderchefs sowie der Bundeskanzler, dass die Ukrainer einen sogenannten “Rechtskreiswechsel” vornehmen – nämlich vom Asylbewerberleistungsgesetz hinein in die Strukturen des Sozialgesetzbuches. Warum? Man wollte bei der hohen Zahl an Flüchtlingen aus dem Kriegsgebiet eine Überlastung der Behörden vermeiden. Man hoffte, dass die oftmals besser ausgebildeten Ukrainer schneller in den heimischen Arbeitsprozess kommen, der zur Zeit einen Arbeitskräftemangel aufweist. Ein Trugschluss. Sehr lange nahmen über die Hälfte der Flüchtlinge bei uns im Landkreis die Sozialleistungen in Anspruch, ohne Arbeit zu suchen oder gar zu finden. Erst auf massiven Druck von anderen Parteien und Ehrenamtlichen änderte sich die Situation. Am 8. August kam wieder ein Bus mit 50 Ukrainern in Miesbach an. Sie wurden in der Turnhalle Tegernsee untergebracht. Dort sitzen sie mit jenen Asylbewerbern zusammen, die bald auf eine reine Geldkarte gesetzt werden. Ergebnis: Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft auf engstem Raum. Denn so schnell bringt man die Osteuropäer nicht in dem hiesigen, sehr angespannten Wohnungsmarkt unter.
Flüchtlinge aus Südamerika?
An diesem Tag sehen wir andere Nationen in der Turnhalle. Menschen aus Südamerika stehen vor der Halle. Venezuela? Wie geht das? Sie seien, so erzählen sie uns, mit dem Flugzeug gekommen, hätten um Asyl gebeten. Das rohstoffreiche, aber bitterarme Land – das wissen wenige – leidet unter einer der größten Fluchtbewegungen der Welt! Venezuela hat weniger als 30 Millionen Einwohner, und über 7 Millionen Menschen verließen in den letzten Jahren bis 2023 das Land. Die Welt will zu uns und landet in einer Miesbacher Turnhalle. Die Südamerikaner seien glücklich, sagen sie. Alles besser als das Leben unter dem sozialistischen Diktator Maduro. Nur: Miesbach kann wenig Weltpolitik. Es ist ein Verwahren jener Opfer weltweiter Krisen.
Unsolidarische Bürgermeister sind Helden
Später sitzen wir mit dem Landrat und seinen engagierten und kompetenten Mitarbeiterinnen und drei ehrenamtlichen Helferinnen zusammen. Auffällig: Bis auf den Integrationsbeauftragten Niedermeier sind es alles Frauen, die haupt- und ehrenamtlich für das Thema tätig sind. Neben von Löwis hat Gerhard Braunmiller, Bürgermeister der Stadt Miesbach, Platz genommen. Die Kreisstadt trägt von allen Kommunen mit weitem Abstand die größte Last: Fast 30 Prozent aller Flüchtlinge im Landkreis werden in Miesbach (11.953 Einwohner) untergebracht. Zwei Turnhallen sind in der Kommune belegt. Das schafft Stress und Ärger. Braunmiller berichtet, wie sehr ihm die Vereine auf den Füßen stehen, weil sie seit zwei Jahren weniger Trainingsraum zur Verfügung haben. Gegenbeispiel Rottach-Egern: Die Kommune hat 5.811 Einwohner und betreut 53 Flüchtlinge. Die kleinere Kommune Bad Wiessee hat bei 5.140 Einwohnern 137 Personen untergebracht. Kurios: Jene Bürgermeister, das sagt Landrat von Löwis sehr lakonisch, die die Flüchtlinge aus ihren Kommunen fernhaltern, werden oftmals “als Helden gefeiert”. Jene, die Platz schaffen, sich engagieren, müssen mit dem Ärger der eigenen Bürger rechnen.
Sicherheit und Kriminalität
Die Wut steigert sich schnell, wenn Flüchtlinge für deutsche Bürger auffällig werden. Rückblick: Am 30. Juli 2024 schlagen sich Schwarzafrikaner am Bahnhof Miesbach. Videos davon geht im Landkreis viral. Sie zeigen die Auseinandersetzung. Das sei dort der Alltag, behaupten Zeugen. Anwohner der Flüchtlingsunterkünfte berichten von permanenten Polizeieinsätzen. Wir befragen kurz danach die Polizei. Daniel Katz von der Polizei Oberbayern äußert sich dazu: Wie oft wurde die Polizei Miesbach in diesem Jahr zu den Aufenthaltsorten „Turnhallen Miesbach“ gerufen? Gab es im Vergleichszeitraum 2023 dazu eine Steigerung oder Verringerung der Einsätze in diesem Bereich?
Katz schreibt uns dazu: “Seit September 2023 kam es bei der Asylbewerberunterkunft „Turnhalle Gymnasium“ zu polizeilichen Einsätzen im mittleren zweistelligen Bereich. Aufgrund der kurzen Erfassungszeit im Jahr 2023 (seit September 2023) sind die derzeit vorliegenden Einsatzzahlen für einen Vergleich nicht repräsentativ, weshalb somit weder eine Steigerung noch eine Verringerung von polizeilichen Einsatzlagen festgestellt werden können…” und weiter “…bei weniger als ein Dutzend der bekannten Einsatzlagen war die Begehung einer oder mehrerer Straftaten einsatzursächlich.”
Bahnhof Miesbach Schwerpunkt?
Und was ist mit dem vermeintlichen Kriminalitätsschwerpunkt ‘Bahnhof Miesbach’? Daniel Katz kann da keine Konzentration feststellen. Seine Zahlen geben das nicht her: “Bei einer geringen Anzahl (im unteren zweistelligen Bereich) der hier verzeichneten polizeilichen Einsatzlagen konnte ein konkreter Zusammenhang mit Asylbewerbern festgestellt werden, der zu einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führte. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass der Bahnhofsbereich in der Innenstadt insgesamt keinen Kriminalitätsschwerpunkt darstellt, insbesondere nicht in Bezug auf Straftaten, die von Asylbewerbern begangen werden.”
Das sieht in größeren Kommunen sicher anders aus. Regensburg und sein Bahnhofsumfeld kam kürzlich in die Schlagzeilen. Aber auch hier musste genauer hingeschaut werden, zwischen den mittlerweile üblichen Fake News Verbreitern und wirklichen Problemen unterschieden werden. Unsere Kollegen von Regensburg-digital haben das hier einmal gemacht. „Warum arbeiten die eigentlich nicht?“ Das hört man oft. Klar, in einem Landkreis, wo viele Unternehmer händeringend Arbeitnehmer auch und gerade im niedrigqualifizierten Bereich suchen, ist das ein wichtiger Punkt. Und so sind wir wieder zurück am Freitagnachmittag in dem Raum neben der Turnhalle der Berufsschule.
Wer darf arbeiten?
Eine Mitarbeiterin aus dem Landratsamt räumt da gleich einen Irrglauben vom Tisch: “Personen aus der Gemeinschaftsunterkunft dürfen mit einer Arbeitserlaubnis nach frühestens drei Monaten arbeiten. Und mehr als 30 Prozent der Flüchtlinge dort tut das auch schon. Allerdings muss diese Duldung alle sechs Monate verlängert werden, was es für die Flüchtlinge schwer macht, eine Arbeit zu finden.” Immer wieder hören wir von bürokratischen Hürden, von seltsamen Datenschutzverordnungen, die kooperatives Arbeiten zwischen einzelnen Behörden erschweren. Dabei ist kaum einer Einzelperson hier die Schuld zu geben. Unsere Gesetzgebung ist auf diese Flüchtlingsströme nicht vorbereitet gewesen, wird es vermutlich nie sein. Integration klingt immer nach Stuhlkreis, ist aber ein ständiger Kampf gegen neue Anforderungen. Ein Beispiel: Die Menschen in der Turnhalle bekommen ein Catering. Nur: Da sie aus aller Herren Ländern kommen, sind sie auf deutsches Essen nicht immer vorbereitet. Es kam in der Vergangenheit, so berichten es Helferinnen, zu Magenproblemen und somit Notarzt-Einsätzen. Sollen sie selbst kochen? Das ruft dann wieder Brandschutzverordnungen auf den Plan. Es sind diese kleinen Beispiele, die den Hauptamtlichen wie auch den Ehrenamtlichen auf die Füße fallen. Und da ist die Wut der Bürger, mit denen die Helfer klarkommen müssen. Ob im Freundeskreis oder bei zufälligen Treffen. Eine Mitarbeiterin erzählt an diesem Freitagnachmittag auf dem Weg aus der Turnhalle, dass sie daheim gar nicht mehr über ihre Arbeit spricht und das Thema, wenn möglich, im privaten Umfeld meidet. Zu oft sei sie stellvertretend für die Politiker massiv angegangen worden.
Chronisch erschöpft
Sie alle, von der Helferin bis zum Landrat, schauen hilfesuchend nach Berlin und Brüssel, fühlen sich von den handelnden Politikern im Stich gelassen. Und tatsächlich: Hier, auf dem Hof vor der Turnhalle in Miesbach, da wirken die Talkshow-Diskussionen weltfremd und nahezu elitär. Hier ist das Resultat von jahrelangem Wegschauen zu besichtigen. Alle warten auf den großen Wurf, aber stattdessen passiert wenig. “Wir gehen zwei Schritte vor, um sofort wieder zwei Schritte zurückzumachen”, klagt Olaf von Löwis, wenn er die Bundespolitik und ihre Migrationsarbeit beschreiben muss.
Warngau kommt Ende des Jahres – endlich wieder Sport in Tegernseer Turnhalle
Ende des Jahres werden die neuen Unterkünfte in Warngau, die Landrat von Löwis trotz großen Protests im Ort durchgesetzt hat, bezugsfertig sein. Dann soll zuerst die Turnhalle in Tegernsee “freigemacht” und saniert werden. Aber auch Warngau wird ein Provisorium sein. Geplant auf zwei Jahre, suchen die Mitarbeiter des Landratsamts schon jetzt Alternativen für die Zeit nach 2027. Fragt man, ob jemand glaube, dass sich bis dahin etwas in der Politik geändert haben könnte, erntet man bei allen ein müdes Lächeln. Und genau das könnte der Schlüssel für eine grundsätzliche andere Wahrnehmung hier bei den Machern sein: Eine Bundes- wie auch eine Landespolitik muss jenen Machern am anderen Ende mehr zuhören und daraus eine Migrationspolitik entwickeln, die den ungeregelten Zuzug unterbindet. Sie sollte daraus keine populistischen, nicht einzuhaltende Forderungen formulieren, sondern echte, pragmatische Lösungsansätze anbieten.
Mitarbeiterinnen wollen anonym bleiben
Hier an der Turnhalle in Miesbach spürt man die Erschöpfung, aber auch die Wut über den permanenten Kontrollverlust. Das hat sich seit der “Wir schaffen das”-Ansage von 2015 bei vielen Wohlwollenden verfestigt. Man verwaltet ein schon längst systemisches Elend der Unterbringung. Alle zwei Wochen kommen Busse mit neuen Flüchtlingen. Es gibt keine Verschnaufpause, weder für die Helfer, für die Beamten noch für die Menschen in der Halle, die nahe an der Würdelosigkeit leben. Und noch etwas: Bis auf die Politiker wollen die LRA-Mitarbeiterinnen nicht namentlich genannt werden. Trauriger Grund: Sie fürchten Übergriffe von Wutbürgern. Umso mehr ist ihr Engagement zu würdigen.
Im Herbst wird in Ostdeutschland gewählt. Die AfD wird dort vermutlich große Gewinne einfahren, und im nächsten Jahr wird bundesweit gewählt. Migration wird auch da eine große Rolle spielen…
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