Kinderbetreuungsdebakel
Leserbrief: Wir definieren uns über unser Handeln

Eine Leserin hat ihren Ärger um das Kinderbetreuungsdebakel in Bad Wiessee in Worte gefasst. Wir veröffentlichen den Leserbrief ungekürzt.

Hat eine neue coole Kita; bald auch einen neuen Träger? Kühn vor Kinderhaus: Foto: Redaktion

Die Hiobsbotschaft des Zerwürfnisses zwischen Träger der Krippen-/Hortkinder und der Kommune Bad Wiessee erreichte die Elternschaft mit einem unverhofften Eklat. In dem verzweifelten Versuch, die Hintergründe zu verstehen wird eines klar ersichtlich: im undurchsichtigen Dickicht an Erklärungen, Interpretationen, Meinungen und Emotionen ist die Transparenz auf dem Weg verloren gegangen.

Einer der allgegenwärtigen Erkenntnisse aktueller Untersuchungen ist, dass die Qualität der Betreuung, insbesondere der tägliche Austausch der Erzieher:innen mit den Kindern einen wesentlichen positiven Einfluss auf die kognitive, emotionale und soziale Entwicklung von Kindern hat (Shonkoff et al., From Neurons to Neighborhoods: The Science of Early Childhood Development; Peisner-Feinberg: Child Care and Its Impact on Young Children’s Development, 2007).

Wesentliche Faktoren, die die Qualität der Betreuung der beeinflussen, sind die Gruppengröße, Erzieher-Kind Ratio und die Qualifikation der Erzieher:innen.( Process quality for children under three years in early child care and family child care in Germany. Early Years. 2020).

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Zur ganzheitlichen Bewertung sind jedoch auch die individuelle Persönlichkeit und Motivation der Erzieher:innen wichtige Merkmale, die langjährige Auswirkungen auf die Persönlichkeitsbildung unserer Kinder haben können(Vandell et al., Do effects of early child care extend to age 15 years? Results from the NICHD study of early child care and youth development. Child Dev., 2010).

Es erschließt sich hieraus, dass ein auf vornehmlich wirtschaftlichen Kriterien ausgerichtetes Unternehmen die aktuellen Betreuungsschlüssel und somit die Qualität aufgrund der fehlenden Rahmenbedingungen nicht leisten kann.

Der regelmäßige persönliche Austausch mit den Erzieher:innen, ihre Motivation und Hingabe zur Betreuung unserer Kinder, regelmäßigen Teilnahme an Fortbildungen und Teambildungsprogrammen spiegelt eines eindeutig wider: unsere Kinder haben das seltene Glück von sehr warmherzigen, umsorgten und professionellen Erzieher:innen betreut zu sein, denen wir tagtäglich unsere Kinder im vollen Vertrauen übergeben.

Mit Blick auf die Kommune Bad Wiessee zeigt sich ein dynamisches, an konstruktiver Umgestaltung und Fortschritt interessierter Ausschuss. Der amtierende Bürgermeister ist stets für ein persönliches Gespräch bereit, viele neue Projekte leiten einen Wandel für Bad Wiessee ein und bieten eine neue, moderne Perspektive.

Die knallrote Bank „Robert ratscht“ hat es sogar in einen eigenen Artikel unter der Kategorie „Bürgernähe“ der Süddeutschen Zeitung geschafft (Sueddeutsche Zeitung: Eine Bank gegen Politikverdrossenheit 2022). Das persönliche Engagement und Interesse an einer konstruktiven Veränderung in Bad Wiessee ist nicht von der Hand zu weisen und wird unermüdlich aktiv umgesetzt.

Umso mehr stellt sich in der Zusammenschau die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Aus objektiven Gesichtspunkten gibt es zwei äußerst engagierte Parteien, die das (Kindes-)Wohl von Bad Wiessee zu ihren Prioritäten ihres tagtäglichen Handels gesetzt haben.

Zwei Parteien, die professionellen Umgang pflegen, Bürger- und Elternnah sind, Interesse an Fortschritt und Weiterbildung haben. Es entzieht sich jedweder Logik, wie es hierbei zu einem solch eklatanten Zerwürfnis kommen kann. Zumal die Zusammenarbeit von Träger und Kommune in allen anderen Teilen des Tals funktioniert.

Leidtragende dieses Zerwürfnisses sind letzten Endes unsere Kinder. Unsere Kinder setzen ein Urvertrauen in uns, dass unsere Entscheidungen stets zu ihrem Wohle ist und nicht persönlichen Fehden unterliegen. Die Auswirkungen solcher Entscheidungen sind weitreichend, jedoch nicht unbedingt unmittelbar. Sie können sich aber bis und vor allem im Erwachsenenalter mit Bindungs-, Angst- und Persönlichkeitsstörungen sowie anderen Erkrankungen manifestieren.

Auch wenn ein unmittelbarer Kausalzusammenhang häufig nicht auf ein einzelnes Erlebnis zurückzuführen ist, so stehen wir tagtäglich in der Verantwortung, welche Weisheiten und Zeichen wir unseren Kindern auf den Weg geben. Jede einzelne Erfahrung, die unsere Kinder im Laufe ihres Lebens machen, ist ein weiteres Puzzlestück in ihrer Persönlichkeitsentwicklung. Die Summe dieser Erfahrungen wird ihr späteres Dasein wesentlich beeinflussen, wobei jedes einzelne Erlebnis zählt.

Welche Nachricht möchten wir unseren Kindern mitgeben? Das ein gesamtes Krippen- und Hortpersonal, welche vor allem auf menschlichen, individuellen und persönlichen Merkmalen aufbaut, einfach austauschbar ist? Das diese Bezugspersonen, dieses enge, über Jahre aufgebaute Bindungsverhältnis, nicht Wert ist zu schützen? Wer bedenkt der Kinder, die erst kürzlich den Verlust eines nahen Angehörigen verarbeiten müssen oder schwierige soziale oder persönliche Zeiten durchlaufen?

Das die Bedürfnisse unserer Kinder gerade zu Zeiten des gesellschaftlichen Wandels, die Fokussierung auf Wirtschaftlichkeit auf Kosten der Menschlichkeit, die Herausforderungen im digitalen Raum mit zunehmendem Konkurrenzdruck und Cybermobbing, nicht zählen?

Wie sollen unsere Kinder Vertrauen in das neue Personal setzen; wie können wir glaubwürdig vermitteln, dass diese Personen nicht auch einfach ausgetauscht werden und wie lange dauert es, bis oder ob ein Vertrauensverhältnis wieder aufgebaut wird? Sollten unseren Kindern nicht besonderem Schutze unterliegen und sie zumindest in dieser kurzen Zeit ihres Lebens vor den künftigen Herausforderungen bewahren, welchen sie ohnehin früh genug konfrontiert werden?

Wir haben eine Wahl. Es obliegt uns, diese richtig zu treffen und ein Zeichen zu setzen, das uns menschlich und emotional auszeichnet.

„Ziel eines Konfliktes soll nicht der Sieg, sondern der Fortschritt sein.“ (Joseph Joubert)

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Die Kündigungsschreiben an die Elternschaft sind verschickt. Dennoch gibt es einen letzten Hoffnungsschimmer, solange der neue Trägerschaftsvertrag noch nicht unterschrieben ist. Ich bin zuversichtlich, denn Wunder gibt es immer wieder. Und vielleicht geschieht eines diesmal in Bad Wiessee.

Hochachtungsvoll,

Tanja Hüsch

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