Manche sind gleicher?

Schüler und Studenten lernen online. Millionen Menschen sitzen im Home-Office, halten Konferenzen online ab. Währenddessen tagen Stadt- und Gemeinderäte rund um den Tegernsee fröhlich weiter, so als gäb’s keine weltweite Pandemie. Digitalisierung? Fehlanzeige. Doch ist das wirklich ein Versäumnis der Kommunalpolitik oder liegt das Problem woanders?

Schon seit Beginn der Pandemie finden die Sitzungen der Gemeinden in größeren Räumen statt / Archivbild

In Zeiten der Pandemie scheinen Kommunalpolitiker ihre ganz eigene Idee von Ansteckungsrisiken zu haben. Zuletzt tagte der Gmunder Bau- und Umweltausschuss vergangene Woche im Neureuthersaal. Auf der Tagesordnung? Schlappe 14 Punkte. Holzkirchens Bürgermeister Christoph Schmid plant derweil, am 25. Januar die Bürgersprechstunde durchzuziehen – der Einlass erfolgt über den Hintereingang …

Währenddessen liegt die Zahl der aktiven Fälle im Landkreis Miesbach über 280, Kinder dürfen nicht in die Schule gehen, Touristen nicht in die Berge, aber die Verwaltung macht munter weiter. Gemeinderatssitzungen werden abgehalten, Ratsmitglieder, mehrheitlich jenseits der 50, reden sich in Rage – ohne Maske. Wird ja gelüftet. Was ist da los? Immerhin hat unter anderem Rottachs Bürgermeister Christian Köck (CSU) auf die weiterhin hohen Infektionszahlen reagiert und den Ortsplanungsausschuss für Januar abgesagt.

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Kommt die Online-Übertragung bald in Wiessee?

Dennoch stellt sich in Zeiten von distance learning, Home-Office und Zoom-Konferenzen mal wieder die Frage: Warum erreicht die Kommunalpolitik nicht das digitale Zeitalter? „Meine Meinung ist natürlich nach wie vor, lieber gestern als heute“, stellt Wiessees Bürgermeister Robert Kühn (SPD) klar. Er hätte gerne die Möglichkeit, Sitzungen online zu übertragen. „Die Zeit ist aber einfach noch nicht gekommen.“ Hapern tut’s wohl an ein paar Gemeinderäten, wie Kühn durchsickern lässt:

Wir wollen Gemeinderatssitzungen erst online bereitstellen, wenn wirklich alle Mitglieder dafür sind. Wir wollen keine Kampfabstimmung herbeiführen.

Dennoch sieht Kühn optimistisch in die Zukunft. Aktuell werden sogar schon die technischen Voraussetzungen im neuen Gemeindesaal geschaffen. Denn er ist sich sicher: „Es wird in den kommenden ein, zwei Jahren passieren und dann wollen wir auch gerüstet sein.“ Bis dahin müsse man allerdings Rücksicht auf die verschiedenen Ansprüche und Meinungen der Gemeinderäte nehmen.

Bürger ohne Internet …

Tegernsees Bürgermeister Johannes Hagn (CSU) hat zum Thema Online-Übertragung eine etwas andere Meinung: „Für die Sitzungen gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit. Zugleich gilt das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Sitzungsteilnehmer als auch der Verwaltung. Es muss auch Bürgern ohne Internetzugang die Teilnahme an der Sitzung ermöglicht werden.“ Dennoch bemühe sich die Verwaltung, die Sitzungen möglichst knapp zu halten. „Sollten wir Themen haben, die wir verschieben können, dann tun wir das“, so Hagn.

Das klingt insgesamt arg nach Schutzbehauptung. Kann es sein, dass viele Ratsmitglieder ungern Jahre später an ihre einstigen Aussagen erinnert werden möchten? Anonym bestätigen genau dies ehemalige Kommunalpolitiker. Einer sagt uns: „Wir alle machen das freiwillig und in unserer Freizeit. Das sind keine Profi-Politiker, aber sie werden so gesehen“, erklärt er.

Zwei Landkreis-Sitzungen rein digital

Doch ist es rechtlich überhaupt möglich, Sitzungen im Internet zu übertragen oder gar Gemeinderatssitzungen komplett online abzuhalten? Pressesprecherin des Landratsamtes Miesbach Sophie Stadler dazu: „Zwei Sitzungen ausschließlich digital abhalten, nämlich eine Informationsveranstaltung für Kreisräte zur Unternehmensreform unseres Krankenhauses sowie die Bürgermeister-Dienstbesprechung.“

In diesen beiden Fällen sei es erlaubt, die Sitzung digital abzuhalten, weil dort keine Beschlüsse gefasst werden, sondern nur Informationen ausgetauscht werden. „Diese beiden Sitzungen sind die ersten Sitzungen in der Geschichte des Landkreises, die rein digital abgehalten werden und ehrlich gesagt freuen wir uns schon richtig darauf.“ Jedoch, darauf weist Stadler ausdrücklich hin, sind Sitzungen mit Beschlusslagen weiterhin vor Ort abzuhalten.

„Hätten uns gewünscht, noch digitaler arbeiten zu dürften“

Das bayerische Innenministerium hat dazu vor einiger Zeit eine klare Anweisung an die nachgeordneten Behörden verschickt. Sitzungen kommunaler Gremien sind von den Beschränkungen der Infektionsschutzmaßnahmenverordnung ausgenommen, sie zählen also nicht als – aktuell verbotene – Veranstaltungen. Das demokratische Rad muss sich drehen. Stadler äußert sich kritisch dazu:

Jedoch, und das sehen wir als Landratsamt schon als diskussionswürdig, hält der Gesetzgeber an der körperlichen Anwesenheit der Volksvertreter fest. Als Gründe dafür werden angeführt: Sitzungszwang, Grundsatz der Öffentlichkeit und Anforderungen an die Beschlussfähigkeit. Zwar können sich Gremiums-Mitglieder online zuschalten, sie dürfen dann aber nicht mit abstimmen, was also nicht wirklich sinnvoll ist.

Während also die Schwesterpartei der CSU im Januar ihren Parteitag und die Wahl des Vorsitzenden digital überträgt und später Beschlüsse schriftlich noch einmal bestätigen lassen, wird im Landkreis weiter munter gehustet und geredet. Stadler kann das auch nicht zwingend nachvollziehen: „Es kann keine Dauerlösung sein, Sitzungen einzudampfen oder abzusagen, das ist nicht der Sinn der Demokratie. Mittelfristig würden wir uns daher wünschen, dass uns von oben die Möglichkeit gegeben wird, noch digitaler und flexibler zu arbeiten.“

Vielleicht seien hybride Lösungen sinnvoll, also eine Mischung aus körperlich anwesenden und digital zugeschaltenen Gremiumsmitgliedern und Zuhörern. „Meine persönliche Meinung ist, dass sich hier in den kommenden Jahren noch viel ändern wird”, so Stadler abschließend. Wir können uns ja eine ruhige Hand leisten. Schließlich ist Deutschland und Bayern führend im digitalen Ausbau – nicht.

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