Manche Wunden gehen tiefer

Ein Fall von Körperverletzung vor dem Amtsgericht Miesbach: Der weiße Schal mit dem zerrissenen Saum zeigt, wie heftig der Holzkirchner Ivan D. seine damalige Lebensgefährtin gewürgt hat.

Fotos und Atteste dokumentieren ihre äußeren Verletzungen. Doch was im Innern der Frau zerbrochen ist, geht tiefer.

Vor dem Amtsgericht Miesbach wurde am Donnerstag der Sturz einer Holzkirchnerin verhandelt.
Vor dem Amtsgericht Miesbach wurde am Donnerstag ein Fall von häuslicher Gewalt verhandelt.

Sturzbetrunken war der 36-jährige Ivan D. am 12. Oktober nach 21 Uhr vergangenen Jahres am Otto-Mair-Ring hingefallen und konnte nicht wieder aufstehen. Seine damalige Lebensgefährtin, die Russin Elena S., versuchte, ihm durch Ziehen an der Jacke aufzuhelfen. Dafür wurde sie vom Angeklagten geschlagen.

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Als sie versuchte, wegzulaufen, bekam der Angeklagte ihren Schal zu fassen, würgte sie sekundenlang, packte sie am Hinterkopf und riss ihr die Haare aus. Vor Gericht wollte er sich dazu nicht äußern. Er berief sich auf eine große Gedächtnislücke aufgrund des veritablen Rauschs.

Leidensgeschichte auf einem Notizzettel

Doch für die 39-jährige Elena S. war eine Grenze überschritten. Am nächsten Tag ging sie mit ihrer halbwüchsigen Tochter zur Polizei in Holzkirchen. Der damals diensttuende Beamte beschrieb die schwierige Situation: „Beide konnten kein Wort Deutsch und hatten nur einen Notizzettel dabei.“

Darauf stand, Elena S. sei geschlagen worden. Auf die Schnelle war kein Dolmetscher verfügbar. Man behalf sich telefonisch mit einer Bekannten eines Kollegen, fotografierte die Würgemale und organisierte sogar einen Platz im Frauenhaus. Doch Elena S. wollte wieder nach Hause in die gemeinsame Wohnung. Der persönliche Eindruck des Zeugen: “Die Frau war weniger wegen der Straftat gekommen. Sie wollte einfach Hilfe.”

Ihre Lage war brisant genug: keine Deutschkenntnisse, kein eigenes Konto, keine Bleibe in Russland mehr und wie sie selbst via Dolmetscherin sagt: „eine Gefühlsabhängigkeit“ zu dem Mann, den sie über das Internet kennengelernt hatte.

Opfer in psychologischer Behandlung

Anfang Juli 2013 war sie zu dem gebürtigen Kasachen nach Deutschland gekommen und mit ihrer Tochter bei ihm eingezogen. Schon kurz darauf gab es Schläge und wüste Beschimpfungen. Im Attest der Ärztin zum zweiten aktenkundigen Angriff steht:

Solche Vorfälle gab es öfter. Ich verzieh ihm immer wieder, weil er sich entschuldigte.

Sehr gefasst berichtet die 39-Jährige über die Situation am 12. März 2014. Bei einem Streit hatte der erneut alkoholisierte Ivan D. sie mit der Faust in die Seite geschlagen und gegen den rechten Oberschenkel getreten. Die Polizei riet Elena S., ihre Blutergüsse und Prellungen attestieren zu lassen, um gegen ihren Peiniger vorzugehen. Doch erst Ende März schaffte sie es, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen. Seit der Trennung leidet Elena S. unter Schlafproblemen und ist in psychologischer Behandlung.

„Da war nichts“, sagte der Angeklagte noch in seinem Schlusswort zu dem zweiten Vorfall. Doch
weder Staatsanwalt noch Richter glaubten ihm. Seine Gleichgültigkeit, die massiven Angriffe gegen eine körperlich unterlegene und von ihm abhängige Frau sprachen gegen ihn. Zu seinen Gunsten wertete Richter Walter Leitner allerdings, dass der Angeklagte bisher strafrechtlich nicht aufgefallen war und die Taten wohl nüchtern nicht passiert wären.

Verhandelt wurde lediglich über die Höhe und Anzahl der Tagessätze; insgesamt eine Geldstrafe von 3.900 Euro, abzuzahlen in 100-Euro-Raten. Für Elena S. schien dies ohnehin nicht wichtig. Ihre körperlichen Wunden sind verheilt. Doch mit den psychischen muss sie weiter leben.

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