Obwohl ihre Tätigkeit in Bonn und Gmund schon fast ein halbes Jahrhundert zurückliegt, sind ihre Detailkenntnisse absolut präsent. Elisabeth Leutheusser von Quistorp kann sich noch an alle Einzelheiten erinnern, als die Tegernseer Stimme sie zu einem Gespräch im Stielerhaus trifft.
„Ich war 20 Jahre alt, als ich 1964 eine vom Bund angestellte Hausdame im Bonner Kanzlerbungalow wurde. Dort diente ich drei Bundeskanzlern: Ludwig Erhard bis zu seinem Rücktritt 1966, dann Kurt-Georg Kiesinger und Willy Brandt bis 1970“, erzählt von Quistorp.
Ich hatte ein sehr bewegtes Leben in den sechs Jahren als Mittlerin zwischen dem Privatleben und dem Amt der jeweiligen Bundeskanzler.
Sie war quasi auch Filter: Denn jedes Telefonat, jedes Papier landete zunächst bei ihr. Ein 24-Stunden-Job sei es gewesen, vom Wecken am Morgen, dem Besprechen des Tagesablaufs, Frühstück, Organisieren der Besprechungen mit Politikern und Referenten bis hinein in die Nacht, wo immer wieder dringende Nachrichten bei ihr eintrafen.
Als Beispiel nennt von Quistorp die Nacht zum 20. August 1968, als sie ein dringender Anruf eines Kanzlerreferenten erreichte. „Auf meine Frage, was denn sei, sagte dieser: Die Russen sind in Prag einmarschiert. Deshalb müsse er dringend Kanzler Kiesinger sprechen“.
Sie musste Gäste betreuen und Staatsbesuche vorbereiten, bei denen sie immer dabei war. „Teilweise war ich mehr im Flugzeug als zuhause. Ich hatte mich darum gekümmert, dass die Herrschaften das Richtige anhatten, die Orden und Schärpen richtig am Frack saßen“.
„Du musst das aufschreiben“
Nach dem Ausscheiden 1969 von Kurt Georg Kiesinger als dritter Bundeskanzler wohnte sie dann ganz alleine im Bungalow, da Willy Brandt als Kanzler nicht in den Bungalow einzog. „Ich sei die bestbehütete Frau in ganz Bonn, schrieben damals die Zeitungen. Denn niemand kam rein und um das Areal patrouillierte der Bundesgrenzschutz. Das war für mich als junge Frau natürlich auch schwierig. Da möchte man auch mal raus und das ein oder andere erleben“.
Da sie aber, wie sie sagt, „die höchste Geheimhaltungsstufe hatte, brachte dies für mich auch sehr viele Unannehmlichkeiten mit sich, wenn man immer einen Schatten hinter sich weiß. Öfters ist auch mal Bundespräsident Gustav Heinemann aus seiner gegenüberliegenden Villa Hammerschmidt mit Gästen auf einen Espresso vorbei gekommen. Mit seiner Frau Hilde gab es ebenso sehr nette Gespräche auf der Terrasse“. Als junge Frau habe sie „die ganzen Sachen alle aufgesaugt“.
Ihr Wissen würde für ein Buch reichen, zu dem sie immer wieder gedrängt werde. Anders, als ein paar Schnipsel mit ihren Statements im Fernsehen oder Zeitungen, könne man ein Buch zur Hand nehmen, habe ihr BR-Moderator Stefan Scheider geraten, der sie seit vielen Jahren auch noch aus ihrem Leben in Gmund kennt. „Du musst das aufschreiben“. Somit hätten beide beschlossen, ihr Leben in Buchform zu gießen. Da Quistorps Erlebnisse so umfangreich waren, wie sie sagt, würde eine Veröffentlichung aber „noch etwas dauern“.
Soziales Engagement im Landkreis Miesbach
Darin wird dann sicher auch das Kapitel Gmund vorkommen, der Bungalow für Erhard von Architekt Sep Ruf am Ackerberg, Erhards Aufenthalte zuvor noch als Wirtschaftsminister in Bad Wiessee und ihre Hochzeit im Dezember 1970. In Dürnbach, das damals noch eine selbstständige Gemeinde war, heiratete von Quistorp den Brauereibesitzer Helmut Leutheusser. Trauzeuge war Ludwig Erhard.
10 Jahre lang lebte sie als Unternehmersgattin in Oberfranken, bekam ihre zwei Kinder Frank und Ina, gründete einen Rotary Club mit und hatte zahlreiche Verpflichtungen als Ehefrau des Rotary-Governor. Dann zog die Familie nach Gmund. Helmut Leutheusser übernahm den Vorsitz der Gulbransson-Gesellschaft und Elisabeth den gesellschaftlichen Part.
Nach der Scheidung vor 25 Jahren lebte sie dann in Ostin und Tegernsee, heute wohnt sie in München. Seit der Geburt ihres behinderten Sohnes steckt sie viel Energie in soziale Tätigkeiten. Sie arbeitete in der Seelsorge des Münchner Flughafens, dann wurde sie Mitbegründerin des Miesbacher Hospizvereins. Letztlich ließ sie sich zur Trauerberaterin ausbilden und war Gründungsmitglied des Kriseninterventionsteams im Landkreis Miesbach.
„Geheimakte Kanzlerbungalow“
Aktuell hat sie aber wieder ihre Bonner Tätigkeit eingeholt. Von Quistorp
verweist auf das Buch, das vor ihr auf dem Tisch im Stielerhaus liegt. Es trägt den Titel „Geheimakte Kanzlerbungalow“, recherchiert von Jörg Diester. Darin berichtet der Autor erstmals über die Jahrzehnte lang geheim gehaltene Unterwelt des Bonner Kanzlerbungalows, der ebenfalls von Sep Ruf konzipiert wurde.
Er hatte dort auch einen Luftschutzbunker neben „technischen Anlagen“ untergebracht. Als Erhard am 12. November 1964 einzog, wurde der einzige Zugang zum Keller verschlossen. Über ein halbes Jahrhundert seien Rufs Pläne und Räume des Untergeschosses der Öffentlichkeit völlig unbekannt geblieben, so Diester.
Elisabeth von Quistorp, als erste Hausdame damals, entdeckte aber im Buch als einzige Zeitzeugin etliche Fehler. Diese sollen nun korrigiert werden. Wer die zweite Auflage aufschlägt, wird sie an der Seite ihrer drei Bundeskanzler entdecken. Die „Entscheider“ von damals.
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