Menschliche Leuchtbojen im Tegernsee

„Wenn man zögert, ist es vorbei.“ Sieben Schwimmer wagten Freitagabend in Gmund in den nur 6,8 Grad kalten Tegernsee. Begleitet wurden sie vom besten Freiwasser- und Eisschwimmer der Welt: Christof Wandratsch. „Ich war noch nie drin, wahrscheinlich erfrier‘ ich sowieso“, sagt eine Teilnehmerin. Dann zieht sie ihren Badeanzug an…

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… und steigt die Leiter hinab, den die Gmunder Wasserwacht extra für die Aktion an ihrem Steg in Seeglas angebracht hatte. Zwar wurde auch für Beleuchtung gesorgt, dennoch wirkt der Tegernsee zu dieser Uhrzeit wie ein dunkler, unheimlicher Schatten. Bei einer Lufttemperatur von 5,8 Grad Celsius löst der Gedanke, dass das Wasser immerhin um ein Grad wärmer ist, bei den meisten im Augenblick keinen wohligen Schauer aus.

Es ist verdammt kalt. Im Badeanzug steht die 41-jährige Christiane an der Leiter. Sie zögert nicht. Niemand zögert. Schnurstracks tauchen die Sieben nacheinander ins Wasser und beginnen ohne Umschweife, ihre Bahnen zu schwimmen. 50 Meter gilt es, bis zum anderen Steg zu überwinden. Und wieder zurück. Und wieder…

Tipps vom Profi

Jeder von ihnen zieht einen Schwimmbeutel mit einer Stirnlampe darin hinter sich her. Auf einmal wirkt der See, als würden Glühwürmchen ihre Pirouetten auf der Wasseroberfläche drehen. Maximal sechs Minuten sollte man sich im Wasser aufhalten, hat Extremschimmer Christof „Wandi“ Wandratsch seinen Schülern kurz zuvor geraten.

Der 50-Jährige weiß, wovon er spricht. Er ist einer der besten Freiwasser- und Eisschwimmer der Welt und hat schon in vielen Disziplinen Weltrekorde geholt. Jetzt will er die Sieben im Rahmen eines „Aqua-Camp-Wochenendes“ auf das vierte „Ice Swimming German Open“ vorbereiten, das vom 5.- 7. Januar 2018 im Veitsbad in Veitsbronn bei Nürnberg stattfindet.

Extremschwimmer Christof Wandratsch kam extra an den Tegernsee, um die Schwimmer auf die German Open vorzubereiten.

Auf einer Strecke von 50, 100, 200, 500 und 1.000 Metern geht es dort in das weniger als fünf Grad kalte Wasser. Und weil sich die kleine Eisschwimmer-Gruppe ein optimales Training gewünscht hatte, reiste der Extremschwimmer am Freitag eben extra zu diesem Anlass an. Den Kontakt zu ihm hatte Birgit Martin (48) hergestellt. Sie selbst ist Mitglied im Wassersportverein Bad Tölz (WSV) und kannte Wandratsch von einem früheren Wettkampf.

Stark im Kopf, kühl am Körper

Mit Eisschwimmen hat sie erst vor gut einem Jahr begonnen. Seitdem ist sie nicht mehr erkältet, lacht die 48-Jährige. Mindestens dreimal pro Woche wird entweder im Tegernsee oder im Kirchsee trainiert. Die Übungseinheiten sind jeweils etwa zehn Minuten lang. Einen guten Gesundheitszustand brauche man, um diesen Sport ausüben zu können, sagt Martin, die Intensivschwester an der Münchner Uniklinik ist.

Vor allem aber eine gute mentale Vorbereitung. „30 Sekunden kann jeder reingehen, ohne dass etwas passiert“, beteuert Weltrekordler Wandratsch am Freitagabend. Erst nach zweieinhalb, drei Minuten spüre man die Kälte in den Fingern. Wenn man sich hinterher nicht mehr selbstständig anziehen könne, sei man zu lange im Wasser geblieben, lächelt er und fügt hinzu:

Jeder darf ins Wasser so lange er will und so oft er will.

Wandratsch wollte oft und lange. Seinen ersten Weltrekord holte er 1992 vor Long Island in den USA. Zehn weitere folgten. In sieben Stunden, drei Minuten und 52 Sekunden durchquerte er im August 2005 auf einer Strecke von 33 Kilometern den Ärmelkanal. 2013 holte er sich den Weltrekord, als er innerhalb von 20 Stunden ohne Pause und ohne Neoprenanzug die doppelte Strecke im Bodensee schaffte.

Nicht nachdenken und rein: Nur mit Badeanzug oder mit Badehose bekleidet ging es ins sechs Grad kalte Wasser.

Schlimm sei es gewesen, erzählt der Extremschwimmer, als sein Begleitboot damals aufgrund eines technischen Defekts für zwanzig Minuten ausfiel, und er eine Zeitlang im Dunkeln im Bodensee schwimmen musste. Wandratsch bebachtet seine Schüler vom Holzsteg aus. Hin und wieder gibt er Anweisungen: „Ganz ruhig atmen.“
Nach fünf Minuten steigt die erste Schwimmerin aus dem Wasser. Es ist die 20-jährige Franzi. „Fünf Minuten. Das ist super“, lobt Wandratsch ihr „erstes Mal“.

Nach und nach folgen die anderen. Nur der 50-Jährige Mirko will scheinbar gar nicht mehr herauskommen. Der ist Profi, weiß Wandratsch, deshalb müsse man sich keine Sorgen um ihn machen. Schnell ziehen die Sieben ihre dicken Socken an, stülpen sich Mantel und Mütze über und setzen sich vor das Kaminfeuer im Raum der Wasserwacht. Es gibt Punsch und selbstgebackene Plätzchen. Christof Wandratsch hat den Grill angeschmissen. Bis sich alle vom Zittern erholt haben, werden auch die Grillwürstchen fertig sein.

Am darauffolgenden Tag ging es dann für alle weiter an den Schliersee. Er stand als nächstes Erfrischungsbad auf dem Plan. Heute müssen sich die Teilnehmer ein vorerst letztes Mal überwinden. Nämlich dann, wenn ihr nächstes Abenteuer ruft: Ein Eisbad in der Isar.

Kalt war’s:

Schwimmerin Birgit Martin (rechts) mit Wasserwacht-Vorstand Quirin Perchermeier.

Birgit Martin beim Aufwärmen “danach”.

Die Eistruppe

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