Wann hört der Fahrspaß auf?

Im Alter lässt die Sehkraft nach, das Gehör wird schlechter, und das Reaktionsvermögen verlangsamt sich. Wer älter als 65 Jahre alt ist und immer noch Auto fährt, der gehört zu einer Risikogruppe. Dennoch wollen viele Senioren nicht auf ihr Auto verzichten. Auch nicht im Tegernseer Tal.

Am Dienstag ist eine 83-Jährige in Rottach gegen den Maibaum gefahren
Diesen Crash verursachte eine 83-Jährige vor gut einem Jahr in Rottach./ Archivbild

Als Kind möchte man so schnell wie möglich alt werden. Auf Falten verzichtet man gerne, nicht aber auf einen fahrbaren Untersatz. Und so findet sich auf den Straßen – auch auf den Tegernseer – die Generation 60+, die ihr Leben lang Auto gefahren ist und dank körperlicher Fitness ungern den Lappen abgeben möchte.

Während die Zahl der motorisierten Rentner steigt, bangen die Jüngeren um die Verkehrssicherheit. Studien belegen: Mit dem 70. Lebensjahr steigt die Unfallhäufigkeit an. Hauptunfallursachen sind Fehler beim Wenden und Rückwärtsfahren, Auffahren und Vorfahrtverstöße.

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Über 70 und noch fit für den Straßenverkehr?

Im Juni vergangenen Jahres krachte eine 83-Jährige Rottacherin mit ihrem BMW gegen den Maibaum in der Nähe vom Rathaus. Sie wollte rückwärts ausparken, blieb am Bordstein hängen und gab anschließend so viel Gas, dass sie gegen einen stehenden LKW fuhr. Danach legte die Frau den Vorwärtsgang ihrer Automatik ein, raste mit aufheulendem Motor quer über die Nördliche Hauptstraße und landete schließlich frontal im gegenüberliegenden Maibaum.

Schon seit einigen Jahren achtet die Polizeiinspektion Bad Wiessee gesondert auf Unfälle, bei denen über 70-Jährige beteiligt sind. Aus einer Statistik aus den Jahren 2011 bis 2015 geht hervor, dass im Jahr 2011 insgesamt 122 Unfälle von Senioren verursacht wurden. Bei 13 Unfällen wurden Personen verletzt. Wobei anzumerken ist, dass in der Unfallstatistik mit dem Begriff “Senioren” Personen im Alter von 65 bis 99 Jahren gemeint sind.

Senioren fahren vorsichtiger, aber nicht unbedingt besser

Die von dieser Altersgruppe verursachten Unfälle erhöhten sich im Jahr 2012 auf 136. Im Jahr darauf blieb diese Zahl mit 133 Unfällen relativ konstant. In 28 Fällen hatten sich die Fahrer unerlaubt vom Unfallort entfernt. 2014 waren es dann 142 sogenannte „Seniorenunfälle“. Über die Hälfte davon waren Kleinunfälle: Fehler beim Wenden, Einparken oder Rückwärtsfahren.

2015 konnte wieder ein deutlicher Anstieg verzeichnet werden: Insgesamt 176 Unfälle wurden im Tegernseer Tal von Rentnern verursacht. Bei 24 Unfällen wurden Personen verletzt. Leider kam es in diesem Jahr zu einem tödlichen Verkehrsunfall durch einen 88-jährigen PKW-Fahrer, nachdem er beim Abbiegen einen entgegenkommenden Motorradfahrer übersehen hatte.

Mehr Verletzte

Aus einer aktuellen Statistik des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd geht jedoch hervor, dass durch Senioren verursachte Verkehrsunfälle im ersten Halbjahr dieses Jahres – im Vergleich zum Vorjahreszeitraum – um 1,7 Prozent zurückgegangen sind. Waren es im ersten Halbjahr 2016 noch 1221 durch ältere Verkehrsteilnehmer verursachte Unfälle, waren es in diesem Halbjahr 1.200.

Die Verkehrsunfälle, bei denen Senioren beteiligt waren und Personen geschädigt wurden, sind dagegen um 1,2 Prozent gestiegen. Die Zahl der Verletzten stieg von 918 auf 932. Weniger Probleme gab es bei Abbiegen und Wenden. Diese Hauptunfallursache hatte sich um insgesamt 7,7 Prozent reduziert.

Ganz anders bei den „Jungen Erwachsenen“ (18 bis 24 Jahren). Bei ihnen ist eine der Hauptunfallursachen neben der Vorfahrtnahme die Geschwindigkeit. Sie legen im Vergleich zu den Senioren eine höhere Risikobereitschaft an den Tag und fahren oft zu schnell. Gehäuft haben sich die Motorradunfälle.

E-Bike-Unfälle nehmen deutlich zu

Sorge bereitet der Polizei allerdings die deutliche Zunahme von Verkehrsunfällen mit Fahrrädern beziehungsweise E-Bikes. Hier stieg die Zahl von 178 Unfällen auf 198 an, eine Erhöhung um 11,2 Prozent. Bei diversen Seniorenveranstaltungen sei deshalb schon Präventionsarbeit geleistet worden, um bei den älteren Mitbürgern zumindest die Bereitschaft zum Tragen von Helmen zu erhöhen.

Viele Experten raten dazu, den Fahrtest im Alter zu wiederholen. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Deutschen Verkehrssicherheitsrats hält das auch jeder zweite Autofahrer für sinnvoll. Doch noch lehnt die Regierung diesen Vorschlag ab. Man wolle die Autofahrer nicht bevormunden. Deshalb stellt man den Führerschein weiterhin auf Lebenszeit aus.

Des Deutschen liebstes Verkehrsmittel: Das Auto

Anders in der Schweiz. Hier ist die Überprüfung der Fahrtauglichkeit alle zwei Jahre für Autofahrer ab 70 obligatorisch. Und das seit den frühen 1970er Jahren. Auch in Ländern wie Italien, Großbritannien oder Spanien ist ein regelmäßiger Eignungstest ab einem bestimmten Alter Pflicht.

Autofahrer von über 75 Jahren sind längst keine Seltenheit mehr. Bereits jetzt ist das Auto mit 34 Prozent das liebste Verkehrsmittel in der Altersklasse der 60-Jährigen, der öffentliche Personennahverkehr rangiert hier deutlich abgeschlagen mit 6 Prozent auf dem letzten Platz. Wegen schlechter Anbindungen der öffentlichen Verkehrsmittel sind gerade in ländlichen Gegenden viele auf ihr Auto angewiesen.

Flexibel und unabhängig bleiben – auch im Alter

Vor allem im Tegernseer Tal wohnen viele ältere Menschen, die nur schwer oder gar nicht auf ihr Auto verzichten können. Die „Babyboomer“ sind in die Jahre gekommen, aber sie sind ihr Leben lang Auto gefahren und wollen es auch weiterhin tun. Sie klammern sich an ihren Führerschein, weil sie selbst zum Einkaufen, zu kulturellen Veranstaltungen, zum Wandern, zu Familienangehörigen oder zum Arzt fahren wollen. Die Aufregung um sie verstehen sie oft nicht.

Die Polizei hat nur in besonders schweren Fällen das Recht, einzugreifen. Wenn beispielsweise altersbedingt sehr starke Beeinträchtigungen festgestellt werden, kann der Führerschein entzogen werden. Oft ist es sogar so, dass Senioren nach einem Unfall freiwillig ihren Führerschein abgeben.

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