Kinderbetreuungsdilemma Bad Wiessee
Nach dem Sommerurlaub zurück an den Herd?

Während andere Eltern Koffer packen und sich auf den Sommerurlaub freuen, müssen Eltern in Bad Wiessee sich um eine alternative Betreuung für das Grundschulkind kümmern …

Schönes Kinderhaus, wenig Fachkräfte. Kühn steht in der Kritik. / Foto: Redaktion

Gestern hat sich der neue Träger den Eltern im Rathaus vorgestellt. Im neuen Schuljahr ist die Diakonie Rosenheim für den Hort in Bad Wiessee zuständig. Das hat der Gemeinderat im Juni entschieden. Doch statt vier Gruppen wird es vom 1. September erst einmal nur eine Gruppe mit 25 Kindern geben. Also 100 versus 25 Plätze. Grund sei der Mangel an qualifizierten Bewerberinnen. Denn für einen Hort braucht es qualifiziertes Personal, also Erzieher oder Erzieherinnen. Der Hort hat im Unterschied zu einer Mittagsbetreuung einen Erziehungsauftrag, den der Gesetzgeber geregelt hat.

Hat sich Robert Kühn also verrechnet? Schon im vergangenen Sommer suchten verzweifelte Eltern das Gespräch mit dem Bürgermeister und der Gemeinderätin Isabel Dörder (SPD). Die Gespräche fanden auf Initiative einer Betroffenen im Garten des Hotel Bussy Baby statt. Kurzfristig hatten zwei Vollzeitkräfte gekündigt. Damals ging es um 14 Plätze.

Um wie viel Hort-Plätze es jetzt geht? Um die 70 Plätze.

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Ein 45-jähriger Vater erzählt, “ich glaube, dass andere Eltern härter betroffen sind. Unsere Ampel ist nur auf Gelb, weil wir auch beide im Home-Office arbeiten können, für andere Familien ist die Ampel aber Rot”. Für andere Familien sei es nicht einfach, eine andere Kinderbetreuung zu finden. Damit meint er, Alleinerziehende oder Eltern, die gerade eine Scheidung hinter sich haben …

Mittagessen, Hausaufgaben, Home-Office

Die Hort-Problematik wirft, so sagen es uns Betroffene, viele berufstätige Eltern aus der Bahn. Gerade Mütter träfe es besonders hart. Wer sich vorgestellt hat, wieder in den Job zu gehen oder bereits wieder arbeitet, stünde vor einem Desaster: Während das Krippenkind und Kindergartenkind bis 16.00 Uhr betreut wird, steht die Erstklässlerin bereits um 11.30 wieder vor der Tür: Jetzt bitte ein Mittagessen und dann geht es zusammen an die Hausaufgaben. Mehr als eine dreistündige Berufstätigkeit am Tag, und die am besten im Home-Office, sei nicht drin.

Ob ihm klar sei, was das für berufstätige Eltern bedeute? “Die Eltern stehen vor der Wand, über die sie nicht rüberkommen”, räumt Kühn ein und “wir als Gemeinde tun alles, um so schnell wie möglich auf Volllast zu fahren.” In einem Elternbrief verspricht der Bürgermeister, im Oktober eine zweite Gruppe einzurichten, und im Frühjahr 2025 die nächste. Auch an einer Zwischenlösung arbeite man. Den stufenweisen Start erklärt er “zum Wohle der Kinder und auch der Mitarbeitenden”, schließlich sei es für alle eine Umstellung.

Ist der Trägerwechsel schuld?

Einige Eltern führen die jetzige Situation auf den Trägerwechsel zurück: Sie haben kein Verständnis, dass der Gemeinderat ein etabliertes System gekippt hat, in dem sich die Kinder wohlgefühlt haben. “Die Evangelische Kirche hat einen guten Job gemacht. Die haben nie zugemacht und immer einen Ersatz gefunden,” so eine Mutter über die Kirchengemeinde. Und weiter: “Ein Trägerwechsel muss so ausgeführt werden, dass nicht 75 Prozent der Eltern ihren Job halbieren oder aufgeben müssen,” ärgert sie sich.

Die Gemeinde Bad Wiessee wiederum führt an, dass sie sich mehr Einblick in die Arbeit und das Wirtschaften der Kinderbetreuung gewünscht hätte, dass es unter anderem um eine Defizitvereinbarung gegangen sei. Man wolle der Evangelischen Kirche, repräsentiert durch Pfarrer Martin Weber, keinen Freibrief ausstellen. Zudem habe Weber angekündigt, die Gruppen nicht in gleicher Stärke betreuen zu können, es habe Absagenbriefe an die Eltern gegeben. Auch das sei Anlass für die Gemeinde Bad Wiessee gewesen sein, sich nach einem neuen Partner umzuschauen.

Weber wiederum sieht in den Konditionen einen Vertragsbruch; sie haben eine talweite Vereinbarung, die sie nicht für eine Gemeinde eben ändern könne. Die Evangelische Kirche hat vor Pfingsten den Eltern in einem Schreiben gekündigt, weil sie neue Vertragsmodalitäten der Gemeinde nicht akzeptiere. Bad Wiessee wiederum rechnete wohl damit, dass genug Arbeitskräfte bei einem Trägerwechsel in Bad Wiessee verbleiben.

Narziss und Goldgeschacher?

Es wirkt wie ein Geschacher auf dem Rücken von Kindern und Eltern. Kühn und sein Gemeinderat müssen nun schnell Fachkräfte ans Westufer holen. Für an die 70 Kinder wird das erst einmal bedeuten, dass es keine Hortbetreuung von September an geben wird. Vermutlich werden sukzessive Personalkräfte kommen, Gruppen aufgebaut. Aber das dauert. Und solange müssen Eltern improvisieren.

In einer perfekten Welt hätten Kirche und Gemeinde einen professionellen Weg gefunden, einen reibungslosen Übergang für alle Beteiligten gestaltet. Es ist kein Desaster, aber es zeigt, wie Narzissmus und Naivität auf kommunaler Ebene schnell zu massiven Probleme führen.

Zu den Fakten

Erst von August 2026 an soll es in ganz Deutschland einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung geben. Erst nur für Kinder in der ersten Klasse, bis 2029 dann für alle Grundschüler. Es gab seitens der Gemeinde keine Zusage für einen Hortplatz für alle. Die Krippenkinder werden in Bad Wiessee ab September von der Katholischen Kirche betreut. Der Hort ist unter der Trägerschaft der Diakonie Rosenheim.

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