Nationalpark schießt zurück

Die Rottacher Wildbiologin Christine Miller hatte zuletzt den Fund von Kadavern am Königssee angeprangert. Etliche verwaiste Hirschkälber seien im Nationalpark Berchtesgaden qualvoll verhungert. Dessen Verwaltung dementiert nun die Vorwürfe und prüft rechtliche Schritte gegen Millers Verein „Wildes Bayern e.V.“

Die Rottacher Tierschützerin Christine Miller machte am Königssee schockierende Entdeckungen. Jetzt wehrt sich die Nationalparkverwaltung. / © Wildes Bayern e.V.

Christine Miller, die „Anwältin für Wildtiere“ aus Rottach-Egern, hatte bei ihrem Spaziergang an Ostern verendete Rotwildkälber teils in kleinen Gruppen an den Ufern von Königs- und Obersee gefunden. Sie kam bei ihrer Zählung auf knapp ein Dutzend verendeter Jungtiere ohne ihre Mütter. Millers Schlussfolgerung war, dass „die Kälber den Anschluss an das Rudel verloren haben, weil ihre Mütter nicht mehr lebten“. Dass so viele Hirschkühe abstürzen, war für Miller unwahrscheinlich, zumal die Kälber dann mitgestürzt wären. „Bleibt als einzige plausible Todesursache: die Jagd“. Und gejagt werde nicht zu wenig im Nationalpark.

Dem widerspricht nun Carolin Schreiber von der Stabsstelle Kommunikation des Nationalsparks vehement. „Bei der gesetzlich verpflichtenden Wildbestandsregulierung hat der Tierschutz ebenso wie der Muttertierschutz für die Nationalparkverwaltung oberste Priorität. Es hat im Nationalpark Berchtesgaden nachweislich keinen Abschuss führender Rotwild-Alttiere gegeben, es liegt der Nationalparkverwaltung dazu auch keine Anzeige vor“.

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Mit dieser Falschaussage unterstelle Frau Miller den Mitarbeitern des Nationalparks Berchtesgaden, vorwiegend den fachlich hervorragend ausgebildeten und mit der Wildbestandsregulierung betrauten Berufsjägern und Förstern eine Straftat. „Die Nationalparkverwaltung prüft derzeit rechtliche Schritte, um gegen die Unterstellung einer Straftat sowie gegen weitere unwahre Behauptungen von Frau Miller vorzugehen“, so Schreiber.

Fallwild als Teil des Ökosystems

Einräumen muss Schreiber, dass Berufsjäger im fraglichen Zeitraum „insgesamt acht Stück verendetes Rotwild haben“. Miller hatte von annähernd einem Dutzend gesprochen. Außerdem habe Miller, so der Vorwurf, verendete Gämsen als Rotwild ausgewiesen. Gämsen würden als ausgewiesene Hochgebirgsbewohner bayernweit im Winter aber nicht gefüttert.

Zudem seien die von Miller gefundenen „gruppenweise verendeten und mutterlosen Jungtiere“ teils sowohl von Berufsjäger als auch von Königssee-Fischern im Uferbereich abgelegt worden, nachdem man sie „vermutlich durch Absturz oder Lawinen“ im Königssee treibend gefunden habe. Die Todesursache mancher Kälber „ist unbekannt und nicht nachzuweisen“.

Gemäß dem Nationalpark-Motto „Natur Natur sein lassen“ sei dieses Fallwild von Mitarbeitern nicht entsorgt oder vergraben, sondern gezielt als Nahrung für Steinadler und andere Tierarten liegengelassen worden. „Steinadler sind im Winter auf Fallwild angewiesen, um zu überleben. Die Nationalparkverwaltung wird dieses Vorgehen auch in den kommenden Wintern beibehalten, in denen als wichtiger Bestandteil des Ökosystems immer wieder Fallwild am Königssee und Obersee anfallen wird“.

„Bei den Bereichen am Königssee und Obersee handelt es sich um extreme Gebirgslagen, in denen regelmäßig Fallwild gefunden wird. In den vergangenen Jahren waren darunter auch ausgewachsene Tiere und sogar Steinwild. Auch wenn Fallwild für einige Menschen ein befremdlicher Anblick sein mag, so ist es doch wichtiger Bestandteil von Ökosystemen und wird im Nationalpark auch künftig weder beseitigt noch versteckt“, erklärt Schreiber in ihrer Stellungnahme.

Miller fordert mehr Transparenz

Miller jedoch bleibt auf Anfrage bei ihrer Position: „Ich bleibe bei meiner begründeten Vermutung, dass die aufgefundenen Kälber führungslos waren. Führungslose Kälber sind ein „Phänomen“, das in der Natur höchst selten vorkommt. Es sollte daher wirklich untersucht werden, ob Alttiere ohne ihre zugehörigen Kälber im Park erlegt wurden“.

Sie habe im Zuge ihrer Recherche neun tote Rotwildkälber, auch einige tote Gams gefunden. „Wie diese zu Tode gekommen sind, darüber kann man nur spekulieren. Absturz oder Lawine ist aufgrund der Fundsituation gut möglich“, so Miller. „Die Erklärung des Nationalparks, eines gruppenweisen Ablegens an verschiedenen, zum Teil nur sehr schwer zugänglichen Stellen (am Obersee) erscheint mir wenig plausibel. Die Gesamtfundsituation ergibt nach wie vor eine Anzahl von Rotwildkälbern auf begrenzten Raum, die zu unserem Erklärungsmuster passen“.

Die Nationalparkverwaltung scheint laut Miller in ihrer Doppelfunktion als Verwaltung eines Naturschutzgebietes, in dem die Natur eigentlich zeigen können soll, was sie kann und der Rolle als Forstbetrieb sowie als untere Jagdbehörde etwas durcheinander gekommen zu sein. Oder überfordert zu sein? Es erscheint ihr nicht sehr plausibel, „wenn die Parkverwaltung sich aus drei verschiedenen Rollen unterschiedliche und oft gegenläufige Ziele rauspickt: Mal muss die Natur walten und schalten, mal muss der Wald umgebaut werden, mal müssen Forstschäden unbedingt verhindert werden“, beklagt die streitbare Wildbiologin.

Die Parkverwaltung könne jedoch noch etwas in Sachen Transparenz tun und klare Zielen nachlegen, so Millers Forderung. “Statt über einen dritten Nationalpark zu sprechen, sollten wir in Bayern schauen, dass wir den zweiten wenigstens einigermaßen hinkriegen!”. Womöglich geht der Streit um die Jungtier-Kadaver damit in die nächste Runde.

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