Neue Welle oder postpandemische Phase?

In den vergangenen Wochen und Monaten rückte die Pandemie in den Köpfen der Menschen in den Hintergrund – schließlich ist Sommer. Doch währenddessen steigt die Inzidenz Tag für Tag, auch im Landkreis Miesbach. Befinden wir uns in Mitten einer Welle und wie geht es weiter? Wir haben mit Dr. Thomas Straßmüller über seine Einschätzung gesprochen.

Dr. Thomas Straßmüller erklärt die aktuelle Corona-Lage im Landkreis

Es ist Sommer, die Sonne scheint, es hat über 30 Grad. Mit der Pandemie beschäftigt sich aktuell keiner gerne. Und doch ist sie noch da – ganz präsent für Ärztinnen und Ärzte, Menschen in Pflegeberufen oder Krankenhäusern. Im Landkreis Miesbach liegt die Inzidenz laut Robert-Koch-Institut aktuell bei über 900.

Experten warnen bereits jetzt vor den kommenden Herbst- und Wintermonaten. Doch befinden wir uns nicht schon längst in Mitten einer Welle? Und wie geht es weiter mit den Impfungen? Wir haben mit Dr. Thomas Straßmüller über seine Einschätzung zur aktuellen Situation gesprochen.

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Steigen die Corona-Fälle in Ihrer Praxis?

Dr. Thomas Straßmüller: Gefühlt hatten wir nie eine richtige Pause. Bis Ende Mai hatten wir einen Rückgang, dann gab es wieder einen kontinuierlichen Anstieg der Fälle.

Haben Sie das Gefühl, wir befinden uns in einer neue Welle?

Straßmüller: Wir befinden uns sicherlich in einer Welle. Verantwortlich hierfür ist vor allem die Omikron Variante BA.5. Allerdings erscheint die Anstiegsgeschwindigkeit nicht ganz so schnell wie im Herbst oder im Frühjahr. Täuschen könnte uns jedoch die Dunkelziffer der nicht gemeldeten Infektionen, die sicher deutlich höher ist, als wir das bisher in der Pandemie kannten.

Wie sollte man sich aktuell verhalten? Wieder mehr Maske tragen? Mehr Tests?

Straßmüller: Das hängt momentan stark von der persönlichen Situation ab: Wenn man zur vulnerablen Gruppe gehört, vielleicht bisher weder geimpft noch infiziert war, oder wenn man einfach einen wichtigen Termin hat in den nächsten Tagen, dann sollte man nicht ohne Maske in den Supermarkt gehen. Tests sollte man spätestens bei Krankheitsgefühl einsetzen oder wenn man Kontaktperson ist.

Im April hat der Landrat an die Eigenverantwortung der Bürger appelliert. Ist der Appell Ihrer Meinung nach gehört worden?

Straßmüller: Wenn man Eigenverantwortung nur als Verantwortung für sich selbst sieht, dann wurde der Appell gehört. Diejenigen, die sich schützen müssen, tun das momentan. Wenn zusätzlich jemand im Supermarkt eine Maske trägt, um andere zu schützen, dann halte ich das für beachtlich. Medizinisches Personal trägt mittlerweile seit über zwei Jahren Masken im beruflichen Alltag. Ich gebe zu, dass auch ich nicht immer mit Maske in den Supermarkt gehe. Zu groß ist da der Wunsch nach der Normalität, die wir vor 2020 kannten.

Menschen, die sich aktuell nicht wohl fühlen, verdrängen oft die Möglichkeit einer Corona-Infektion, sondern vermuten meist eine Sommer-Grippe. Was empfehlen Sie Ihren Patienten, besonders dann, wenn der Selbst-Test negativ ist?

Straßmüller: Spätestens dann ist natürlich der Zeitpunkt gekommen, zu dem man zum Schutz anderer wieder Maske tragen sollte. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei den Symptomen um eine Coronainfektion handelt ist sehr hoch. Die Tests schlagen oft relativ spät oder gar nicht an. Im Zweifelsfall rate ich dazu, zum Arzt zu gehen.

Gehen wir alle zu locker mit der Situation um? 

Straßmüller: Meines Erachtens gibt es zwei Aspekte, weswegen man unseren jetzigen Umgang mit der Situation in Frage stellen kann: Die Tatsache, dass die hohe Anzahl an Infektionen die Wahrscheinlichkeit von Mutationen erhöht, und die Tatsache, dass wir aktuell das Problem von Long- und Post-Covid noch nicht richtig einschätzen können.

In der Praxis beunruhigt mich momentan die Anzahl der Patienten mit Long- und Post-Covid-Symptomen. Aber wir haben auch viele Gründe für mehr Normalität: Unsere psychische Gesundheit, die niedrige Fallsterblichkeit, viele sind geimpft, genesen, auch mehrfach. Es gibt Medikamente und wir haben derzeit eine ungefährlichere Variante. Das ist schon eine Situation, die man nicht mit den Vorjahren vergleichen kann.

Eine gute Beschreibung für die Phase, in der wir uns befinden ist: Übergang in die postpandemische Phase.

Wie steht aktuell die Wissenschaft zur vierten Impfung – wird diese für alle notwendig?

Straßmüller: Auch das ist eine sehr individuelle Entscheidung: Sie ist unter Anderem abhängig von Alter, Gesundheitszustand und dem zeitlichen Abstand zur 3. Impfung. Aber auch die Frage, ob ich das Risiko für eine Infektion in den nächsten Monaten aus beruflichen oder privaten Gründen herabsetzen möchte. Eine generelle Empfehlung zur 4. Impfung für jeden kam nach meiner Wahrnehmung bisher primär von unserem Bundesgesundheitsminister. Begründet hat er das hauptsächlich mit der Herabsetzung des Risikos für Post Covid. Hierfür gibt es eine, wenn auch dünne, wissenschaftliche Datenlage.

Die Stiko gibt bisher die Empfehlung für eine vierte Impfung nur für bestimmte Personenguppen, unter anderem Menschen über 70. Sehr viele wissenschaftliche Daten gibt es mittlerweile aber dafür, dass die dritte Impfung, der Booster, einen sehr hohen Stellenwert hat. Wichtig zu wissen ist auch: Eine einmalige Infektion mit Omikron allein bietet sehr wenig Schutz.

Kommt eine neue Variante auf uns zu?

Straßmüller: Mit Sicherheit!

Vielen Dank für das Gespräch.

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