„Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus“

Mit sechs Jahren kam Horst Teltschik unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg nach Tegernsee. Teltschiks Familie war aus dem Sudentenland vertrieben worden. Seine “lange Reise” führte den heute 72-Jährigen über das Tegernseer Gymnasium bis zum wichtigsten Berater von Bundeskanzler Helmut Kohl.

Er gestaltete die Außen- und Sicherheitspolitik maßgeblich mit und war, als die Mauer fiel, an Kohls Seite. Teltschik erzählt im folgenden Gespräch von seiner Kindheit am Tegernsee, seinem Werdegang und unvergesslichen Momenten der Geschichte.

Horst Teltschik im Gespräch

Tegernseer Stimme: Herr Teltschik, was sind Ihre ersten Erinnerungen an den Tegernsee?

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Horst Teltschik: Einen Tag vor meinem sechsten Geburtstag sind wir in Tegernsee angekommen, auf dem Weg hierher saßen wir auf der Ladefläche eines Lkw, waren mit einer Plane zugedeckt. Das ganze Bräustüberl war voller Flüchtlinge, das war keine lustige Zeit. Später wurden wir zwangsweise bei anderen Familien mit einquartiert. Wir waren dann zu sechst in zwei kleinen Zimmern ohne Heizung und ohne warmes Wasser. Dennoch habe ich diese Zeit nicht in schrecklicher Erinnerung.

Tegernseer Stimme: Warum war Tegernsee das Ziel?

Horst Teltschik: Meine Mutter wollte uns an einen Ort bringen, wo geregelte Verhältnisse herrschten. Bereits 1946 wurde das Gymnasium Tegernsee gegründet. Als wir schließlich in Miesbach im Lager waren, fiel die Wahl auch deshalb auf Tegernsee.

Frühe Kontakte in die Politik

Tegernseer Stimme: Sie haben 1960 in Tegernsee Abitur gemacht, was passierte anschließend, und weshalb schlugen Sie Ihre spätere berufliche Laufbahn ein?

Horst Teltschik: Zunächst wusste ich nicht wirklich, was ich machen wollte. Ich wurde zur Bundeswehr eingezogen, habe mich für zwei Jahre verpflichtet. Auch das war für mich eine sehr gute Erfahrung. Ich schlug die Reserveoffizierslaufbahn ein und war nach einem halben Jahr bereits Gruppenführer, bereits zu dieser Zeit lernte ich Verantwortung zu übernehmen und was es heißt, als Leutnant 120 gleichaltrige Kameraden zu führen.

Tegernseer Stimme: Inwiefern hat Sie diese Zeit geprägt?

Horst Teltschik: Autorität und Durchsetzungsfähigkeit waren hier wichtig. Darüber hinaus gab es in der Bundeswehr jeden Samstag „politische Unterrichtsstunden“. Hier fasste ich dann auch den Entschluss, Politikwissenschaft(en) zu studieren. Politik hat mich, auch aufgrund meiner Lebenserfahrung, schon immer interessiert. Die Devise lautete: „Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus.“

Tegernseer Stimme: Ihre Studienzeit verbrachten Sie dann weit weg vom Tegernseer Tal in Berlin. Ergaben sich hier bereits erste Kontakte zur CDU?

Horst Teltschik: Da ich in Berlin niemanden kannte, habe ich mich auf Suche nach einer Studentenvereinigung gemacht. Dort bin ich auf den der CDU nahe stehenden „Ring Christlich-Demokratischer Studenten“ aufmerksam geworden und habe ich mich dort stark engagiert. Im Laufe der Zeit bin ich schließlich Vorsitzender und Landesvorsitzender geworden. Ich konnte daher schon früh Kontakte in die Politik knüpfen

Tegernseer Stimme: Wann sind Sie Helmut Kohl erstmals begegnet?

Horst Teltschik: Erst einige Jahre später, im Jahr 1971. Damals leitete ich die Gruppe Außen- und Sicherheitspolitik in der CDU-Bundesgeschäftsstelle, er war stellvertretender Parteivorsitzender und dabei, ein neues Parteiprogramm auszuarbeiten. Für den Bereich Außen-, Sicherheits- und Deutschlandpolitik war ich zuständig. Eines Tages bekam ich einen Anruf, ich solle mal nach Mainz kommen. Er bot mir einen Job in der Staatskanzlei an. Und ich kümmerte mich fortan um die Presse und die Öffentlichkeitsarbeit.

Tegernseer Stimme: Worin bestanden Ihre Aufgaben?

Horst Teltschik: Vor allem im Redenschreiben, das war eine harte Schule, die ich jedem nur empfehlen kann. Man lernt unglaublich viel, muss sich mit den verschiedensten Themen intensiv auseinandersetzen. Da bereits zu der Zeit klar war, dass Kohl Bundeskanzler werden will, organisierte ich aber auch viele Reisen. Das war wichtig, damit er Erfahrungen in der internationalen Politik sammeln konnte. So waren wir beispielsweise in China, in den USA, Jugoslawien und Russland unterwegs. 1977 bin ich dann mit Kohl von Rheinland-Pfalz in die damalige Hauptstadt nach Bonn übergesiedelt.

„Strauß hat sich immer für klüger gehalten“

Tegernseer Stimme: Wie war die Beziehung von Kohl zu Franz-Josef Strauß und dem damaligen Bundeskanzler der SPD, Helmut Schmidt?

Horst Teltschik: Strauß und Kohl sind gerne über Enterrottach zur Erzherzog Johann Klause gewandert, um sich alleine über wichtige Themen auszutauschen. Die Wanderer waren immer ganz erstarrt, die beiden ganz alleine ohne Sicherheitsleute zu erleben.

Tegernseer Stimme: Und Schmidt?

Horst Teltschik: Helmut Schmidt hat Kohl am Anfang sehr arrogant und von oben herab behandelt, er gibt das heute auch zu. Es war letztlich auch eine Stärke von Kohl, dass er von den beiden immer unterschätzt wurde. Am Ende war er dann 16 Jahre Bundeskanzler. Das hat bisher noch keiner geschafft.

“Im Kanzleramt arbeiteten wir 18 Stunden, 7 Tage die Woche”

Tegernseer Stimme: Als Kohl Bundeskanzler wurde, wurden Sie einer seiner engsten Berater, welche Aufgaben hatten Sie dort zu erfüllen?

Horst Teltschik: Im Kanzleramt habe ich alle wichtigen Termine des Bundeskanzlers mit ausländischen Besuchern vorbereitet, war bei allen Gesprächen und Auslandsreisen dabei und habe im Auftrag des Kanzlers auch selbst viele vertrauliche Verhandlungen geführt. 1989 mit Polen, seit 1984 mit Ungarn.

Die Wende fast verpasst

Tegernseer Stimme: Kurz bevor die Mauer fiel, waren Sie mit Bundeskanzler Kohl auf Staatsbesuch in Polen, wie war es?

Horst Teltschik: Die Reise nach Polen war sehr wichtig, es war die erste frei gewählte demokratische Regierung innerhalb des Warschauer Paktes. Zudem ging es darum, eine gemeinsame Erklärung zu unterschreiben, die bis heute die Beziehungen der beiden Länder prägt. Keiner konnte ja ahnen, dass an diesem Tag die Mauer fällt.

Tegernseer Stimme: Wie erreichte die Botschaft über den Fall der Mauer den Bundeskanzler?

Horst Teltschik: Es war schwierig, man konnte damals im Ostblock nicht wie heute einfach telefonieren. Wir hatten ein Standgerät, einen kleinen Holzkasten mit einer Kurbel, damit konnte man zwar eine Leitung ins Bundeskanzleramt aufbauen. Das ging aber nur in diese eine Richtung. Wir waren umgekehrt nicht zu erreichen. Es breiteten sich also langsam Gerüchte unter den mit uns gereisten Journalisten aus, gegen 19 Uhr sprachen wir mit dem Kanzleramt und erfuhren, dass in Berlin einiges im Gange sei. Es war dann klar, wir müssen sofort zurück. Die polnische Regierung war darüber natürlich nicht begeistert.

Tegernseer Stimme: Wie gelangten Sie nach Berlin?

Horst Teltschik: Wegen der Überflugsrechte konnten wir nicht direkt nach Berlin, es ging erst nach Hamburg und von dort mit einer amerikanischen Maschine weiter nach Berlin. Zum Glück waren wir rechtzeitig vor Ort.

„Den Augenblick am Checkpoint werde ich nie vergessen“

Tegernseer Stimme: Wie ging es in Berlin dann weiter, und wie war die Gemütslage von Kohl in der Situation?

Horst Teltschik: Dass sich SPD und CDU nicht auf eine gemeinsame Kundgebung einigen konnten, war für Kohl unverständlich, er musste dann auf beiden auftreten und wurde von den SPD-Anhängern auch noch ausgepfiffen. Dann hat er beschlossen, mit mir zum Checkpoint Charlie zu fahren und sich ein eigenes Bild von der Situation vor Ort zu machen. Als wir dort ankamen, wurde Kohl sofort von einer Menschenmasse umringt ‒ die einen lachten, die anderen weinten vor Freude. Diese Szene werde ich nie vergessen.

Tegernseer Stimme: Wer waren die Ihrer Meinung nach spannendsten Persönlichkeiten, mit denen Sie es zu tun hatten?

Horst Teltschik: Michail Gorbatschow war sicher einer der eindrucksvollsten und auch bedeutendsten, ich stehe auch heute noch mit ihm in Verbindung. Aber auch Ronald Reagan, Francois Mitterand und Margaret Thatcher muss ich nennen. Gerade Thatcher konnte sehr charmant sein und war immer brillant unterrichtet.

Tegernseer Stimme: Der politisch schwierigste Moment Ihrer Karriere?

Horst Teltschik: Das Jahr 1983, die Stationierung der amerikanischen Mittelstreckenraketen in Deutschland. Die ganze Öffentlichkeit war gegen uns, 500.000 Menschen waren auf der Straße. Wir haben es aber dennoch gemacht, und das war im Nachhinein auch richtig, denn nur deswegen gibt es heute auf beiden Seiten keine atomaren Mittelstreckenraketen mehr.

Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz

Tegernseer Stimme: Warum haben Sie sich 1991 dazu entschlossen, Ihren Posten im Kanzleramt aufzugeben?

Horst Teltschik: Es war einfach ein guter Zeitpunkt aufzuhören, sich eine neue Aufgabe zu suchen. Ich habe dann auch in der freien Wirtschaft wichtige Erfahrungen sammeln können. 

Tegernseer Stimme: Wie sind Sie zum Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz geworden?

Horst Teltschik: Der Gründer Ewald von Kleist hatte aufgehört, Überlegungen über eine Nachfolge wurden angestellt, ich selbst war daran beteiligt, habe mich aber nie selbst ins Gespräch gebracht, am Ende wurde ich dann überredet, es zu machen, und habe es nie bereut.

Tegernseer Stimme: Welchen Stellenwert hat die Konferenz in Ihren Augen?

Horst Teltschik: Meines Erachtens hat die Konferenz eine hohe Bedeutung und zwei Vorteile: Erstens: Viele kommen, weil sie neue Ideen vortragen und testweise in die Öffentlichkeit bringen wollen. Zudem finden am Rande der Konferenz sehr wichtige bilaterale Besprechungen hinter verschlossenen Türen statt, auch zwischen Parteien, die sich sonst nicht treffen oder gemeinsam in der Öffentlichkeit zeigen würden.

Horst Teltschik lebt immer noch am Tegernsee

Tegernseer Stimme: Sind Sie heute noch viel unterwegs, oder können Sie es sich auch manchmal am Tegernsee gemütlich machen?

Horst Teltschik: Die Termine sind natürlich weniger geworden, ich bin aber trotzdem noch viel unterwegs. Nichtsdestotrotz habe ich diesen Winter schon ein paarmal Zeit gefunden, Langlaufen zu gehen.

Tegernseer Stimme: Was ist Ihrer Meinung nach anstrengender, die internationale Politik oder das Langlaufen?

Horst Teltschik: (lacht) Es ist beides sehr intensiv. Und ich bin froh, dass ich heute die Zeit habe, beidem in Maßen nachzugehen.

Horst Teltschik – Die Vita in Kürze
Horst M. Teltschik wurde 1940 in Klantendorf im heutigen Tschechien geboren. Mit vier Jahren musste seine Familie die Heimat verlassen und gelangte auf Umwegen an den Tegernsee. Dort lebt Teltschik noch heute. Nach seinem Abitur 1960 am Gymnasium in Tegernsee und dem anschließenden Wehrdienst begann er in Berlin Politikwissenschaft, Neuere Geschichte und Völkerrecht zu studieren. Dort knüpfte er erste Kontakte zur CDU, engagierte sich in der Partei und begegnete im Jahr 1971 erstmals dem späteren Bundeskanzler Helmut Kohl.

Von 1972 bis 1991 blieb Teltschik dann in unterschiedlichen Funktionen als Berater an Kohls Seite. In seiner Funktion als Vizechef im Kanzleramt prägte er ab 1982 maßgeblich die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland und war stets an der Seite Helmut Kohls. Im Jahr 1991 wandte sich Teltschik dann einer neuen Aufgabe zu und wechselte in die Wirtschaft. Zudem leitete er von 1999 bis 2008 die Münchner Sicherheitskonferenz. Auch heute ist er noch ein gefragter Berater für Politik und Wirtschaft.

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