„Noch ist Polen nicht verloren“

In seiner gewohnt satirischen Form nimmt der Schlierseer Kabarettist Gerhard Polt den Bauboom aufs Korn und setzt den alpinisierten Garagen die Krone auf. Nachzulesen ist Polts Vorwort in der Neuerscheinung „Gut gebaut – Häuser im Landkreis Miesbach“.

In seiner gewohnt satirischen Form nimmt der Schlierseer Kabarettist, Autor und Schauspieler die Verdichtungen aufs Korn und setzt den alpinisierten Garagen die Krone auf / Archivbid

Gerhard Polt: „Vielleicht ist die Vermutung nicht falsch, dass der Begriff Deutschland, der über 1.000 Jahre in Europa nicht nur eine geografische Größe war, – dass dieses Deutschland heute mehr als Bauerwartungsland zu verstehen ist und durch die muntere Besiedelung ein enormer Verdichtungsraum, also eher DeutschStadt geworden ist.

83 Millionen Menschen teilen sich dieses Gebiet in sehr verschiedene Parzellen auf. Bauerwartung hat viel mit Hoffnung zu tun und damit auch mit Spekulation. Jedenfalls – der Quadratmeterpreis ist es, der stark mitentscheidet, wie teuer einem dieses Deutschland ist. Nicht so sehr der Bewohner, sondern der Anleger bestimmt den Wert der heimatlichen Scholle. Es sind vor allem die sogenannten Filetstücke im Terrain, die den Immobilienmakler zum Patrioten machen, und er ist es auch, der der wunderbaren Quadratmetervermehrung den Lauf vorgibt.

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Es sind auch die edlen Gedanken der Investoren, die manche Regionen zu Schönheitsköniginnen mit ihren Kronen küren. Unter diesen zählt zu den „Most Beautifuls“ schon lange unser Landkreis Miesbach. Hier wird dem klassischen „Wohnen“ – also sagen wir’s vulgär: dem sich Aufhalten in einem Häusl – das „Residieren“ entgegengesetzt. Ein vormaliger Bewohner oder Anwohner oder auch bloß Anlieger verwandelt sich auf magische Weise in einen „Residierenden“. Die „Residenz“ wurde quasi aus dem Hut gezaubert. Stand vor kurzem noch ein Häusl da – mit sagen wir so „Häusl-Leuten“, eine Art Philemon und Baucis – wurde dieses, sei es nach dem Ableben oder nach der Einweisung in ein Pflegeheim, beerbt und sogleich gentrifiziert.

Das meint natürlich, dass das „Häusl“ an nur einem Vormittag von einer Walze und einem Bagger beseitigt und ordnungsgemäß auf der Deponie entsorgt wird. Geschwind kann es nun mit der „Residenz“ losgehen. Das „Häusl“ stand fast asozial auf einem Gelände von verschwenderischen 5.000 Quadratmetern. Eiligst wird errechnet, dass 6, in Worten sechs sogenannte Dreispänner durchaus eine Art Mini-Versailles abgeben, und dadurch auch der Quadratmeterpreis endlich zu seinem gerechten Profil gelangt. Noch vor dem Bau sucht man im World-Wide-Web Residierer, die nicht nur erhabene Preise zu schätzen wissen, sondern auch bereit sind, uns mit ihrer Teilanwesenheit zu beehren.

Dieser Landkreis rückt zusammen. Er wird uriger, so wie in den Prospekten versprochen. Ein immer rustikalerer, urbanisierterer Verdichtungsraum benötigt natürlich auch, um das zu sein, Gewerbegebiete, und diese sprießen allerorten hervor wie die Schwammerl. Im Kindergarten lehrt man: „They mushroom up!“ Und die LosAngelisierung der Straßenführungen puscht die Mobilität.

Die ehemaligen Ortszentren, oft über 1.000 Jahre alt, findet man nett versteckt, nur am Kirchturm ausmachbar, hinter einer Betonwaschanlage oder einem modernen Schredderpound. Die Lüftlmalerei im Ortskern wirkt niedlich und verfehlt im Werbeprospekt für Kaufwillige ihre Wirkung nicht. Großzügige Parkflächen laden zum Verweilen. Auch das weltweit sehr geschätzte Flachdach hält endlich Einzug. Häuser – häufig präfabriziert – mit den praktischen Plastikrollläden gegen das Ausbleichen der Vorhänge geben eine ganz spezielle Note.

Man sieht, es entstehen Residenzen, individualisiert durch französische Fenster sowie toskanische Rustikos mit Eingangssäulen Marke „Vom Winde verweht“. Und davor, heimatverbunden und stilsicher, die alpinisierte  Almgarage. Wie gerne schlendert man dort vorbei, weil man sieht, dass die Zeit nicht stillsteht, und man kann mit vollster Zuversicht sagen, dass es bei dieser Zuneigung fürs Bauen als Lebensziel bald auch im Ruhrgebiet einmal so schön sein wird wie im Landkreis Miesbach. Wer im Verdichtungsraum die Fauna und seine angestammte Tierwelt sucht, wird sicher fündig. Ich kenne ein Platzerl, ganz nahe bei einem Discounter, der heißt Wiesenschmätzerweg. Erleichtert und fast frohgemut stelle ich fest, dass man in meinem Landkreis der Schöpfung noch nah ist.

PS: Apropos Schöpfung – die schöpferische Kraft und Phantasie, die unsere Architekten im Oberland allenthalben sichtbar machen, nährt uns die Hoffnung, dass „Polen noch nicht verloren ist“. Sie hängt jedoch davon ab, wie viel Respekt unsere Bauausschüsse, Gemeinden, Landratsämter und sonstigen Autoritäten vor der Schönheit und Individualität unserer ererbten Kulturlandschaft haben. Die Spreu vom Weizen trennen, dem Mittelmaß die kalte Schulter zeigen, das ist die Devise. Die göttliche Eingebung lehrt uns doch „Schönheit ist aufbauend“, so Polt.

Aus Architekturbüro Miesbach (Hrsg): Gut gebaut, Häuser im Landkreis Miesbach., 228 Seiten, Volk-Verlag. Die Tegernseer Stimme wird sich in einem weiteren Beitrag mit der Neuerscheinung auseinandersetzen.

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