Die Waakirchner Bürger werden jetzt doch gefragt. Statt eines Planungsstopps, wie ihn Bürgerwerkstatt-Initiator Michael Futschik gefordert hatte, entschied der Gemeinderat gestern, die „schweigende Masse“ der Bevölkerung mit ins Boot zu holen. Per Ratsbegehren soll über die Fortführung der umstrittenen Planung auf Waakirchens Zuckerstück, der Dorfmitte, abgestimmt werden.
Doch der Reihe nach. Bei der Bürgerversammlung in der Waakirchner Turnhalle am 5. November hatte Bürgermeister Josef Hartl (FWG) den rund 300 Anwesenden angekündigt, über den Antrag von Bürgerwerkstatt-Initiator Michael Futschik in der nächsten Gemeinderatssitzung zu entscheiden.
Dessen Antrag zielte darauf ab, die derzeitige Planung zur Dorfmitte von Waakirchen zu stoppen, und stattdessen in einen erneuten Dialog mit der Gemeinde zu treten. Die Firma Identität & Image sollte dabei als Ratgeber und Moderator fungieren. Wie berichtet plant die Gemeinde auf 870 Quadratmetern zwischen Sparkasse und Bäckervoitl-Anwesen eine „lebendige Wohn- und Geschäftswelt“ mit insgesamt 29 barrierefreie Wohnungen.
Bürger wehren sich
Dabei gehe es „nicht ums Geld, sondern um Wohnungen“, betonte der Bürgermeister immer wieder. Die am Ortskern interessierten Bürger aber überzeugte das nicht. Sie pochen auf den Erhalt ihres grünen Ortskerns und wollen keine „massive“ Bebauung. Deutlich wurde das nach einer spontanen Abstimmungsrunde am 5. November – zumindest bei den rund 300 Anwesenden.
An diesem Abend sei deutlich geworden, so Bürgerwerkstatt-Initiator Michael Futschik in einem Schreiben an die Gemeinde, dass “das Konzept die Bürger nicht überzeugt.“ Sehr überraschend sei die Erkenntnis nach diesem Abend gewesen, dass allein die Fördermittel „Dreh- und Angelpunkt“ für die Gemeinde sind.
Ohne Fördermittel geht’s nicht
14 Millionen Euro kostet das Projekt, dessen Entwurf aus der Feder des Waakirchner Architekturbüros von Hans Hagleitner stammt. Bei einer Fördersumme von etwa 3,8 Millionen Euro blieben für die Gemeinde rund zehn Millionen übrig, die zu finanzieren wären. Für etwa 7,6 Millionen Euro bekäme die Gemeinde ein zinsverbilligtes Darlehen – mit einer Laufzeit von über 30 Jahren, zu einem Zinssatz von 0,99 Prozent. Für den Rest wäre eine Kreditaufnahme erforderlich.
Gesetzt den Fall, die Gemeinde bekäme keinen staatlichen Zuschuss, wäre das Projekt gescheitert, worauf die Gemeinde immer wieder hingewiesen hat. Alles steht und fällt also mit der Fördersumme und damit, wie die Geschäftsräume unterhalb der Wohnungen genutzt werden. Hier sind die Bürger aufgefordert, bis Dezember Vorschläge zu machen.
Wohnraum oder Wiese
Dass aber das Projekt komplett aufgegeben wird, damit wollte und konnte sich Hagleitner am Abend des 5. November überhaupt nicht anfreunden. „Wir fangen doch nicht bei Null an“, hatte er aufgelöst gekontert. „Wir brauchen Wohnungen. Und wir haben weder alle Zeit der Welt noch genügend freie Flächen in den Außenbereichen. So geht man nicht mit Grund und Boden um!“
Von einer dichten Bebauung könne ebenfalls keine Rede sein, versuchte Hagleitner noch, den in der Turnhalle Anwesenden den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Die Dichte entspricht der üblichen Bebauung.“ Michael Futschik hingegen war der Meinung, dass man bei „einem so wegweisenden Projekt“ nicht umhinkomme, die Bürger zu beteiligen. Für ihn sei das Projekt „viel zu groß und mächtig“.
Was die Bürger wollen
Deshalb wolle man den Gemeinderat mit „dieser weitreichenden Entscheidung nicht alleine lassen.“ Zumal er davon überzeugt sei, dass dieses Projekt nicht gebraucht werde. Balthasar Brandhofer (ABV) hatte noch darauf hingewiesen, dass auch fürs Dorffest ein Stückerl vom Grundstück benötigt werde.
Man sollte bei der Planung doch auch die Lebensqualität berücksichtigen, und nicht nur das Geld. Deshalb schlug er vor, die Frist der Förderung verstreichen zu lassen. Trotz des Verständnisses dafür, dass Wohnraum gebraucht werde, wäre es doch sinnvoller, die Bürgerwerkstatt mit einzubeziehen und erst einmal miteinander zu reden, meinte auch Hugo Eder.
Ein Ratsbegehren als Lösung
In der gestrigen Gemeinderatssitzung war nun das Gremium gefordert. „Auf geht’s – was machen wir?“ fragte Bürgermeister Josef Hartl (FWG) in die Runde. Die erste Wortmeldung kam von Monika Marstaller (FWG): „Wir sollten den Architektenvertrag nicht aufheben. Es ist ein gutes Projekt, für das wir uns viel Mühe gegeben haben.“
Viele ältere Menschen würden vielleicht einmal in eine kleine Wohnung ziehen wollen. Und auch „nicht so reiche Leute“ bräuchten Wohnraum. Ihr Vorschlag: Architekt Hans Hagleitner solle ein Modell entwickeln, das im Rathaus ausgestellt werde, damit jeder Bürger eine Vorstellung davon bekomme, wie das Projekt aussehe.
Zu berücksichtigen: Hagleitners Regressansprüche
Auch Norbert Kerkel (FWG) war der Meinung, die Planung nicht zu stoppen, da man sich bereits in der Endphase befinde. Die Anregungen der Bürgerwerkstatt sollten seiner Meinung nach „professionell in das Konzept eingearbeitet werden.“ Wolfgang Nagler (FWG) schlug vor, die Gemeinde solle sich ein Ratsbegehren offenhalten.
Bei einem Planungsstopp wäre eine Wirtschaftlichkeitsberechnung hinfällig. Die prognostizierten Einnahmen in Höhe von 14 Euro pro Quadratmeter Gewerbefläche erschienen ihm grundsätzlich zu hoch. Gwendolin Kalch (SPD) wies auf mögliche Regressansprüche von Hagleitner ein, sollte die derzeitige Planung gestoppt werden. Dieser Punkt sei von der Bürgerwerkstatt bislang unberücksichtigt geblieben.
Kein „Schnellschuss“ der Gemeinde
Auch Georg Rausch (CSU) äußerte sich „strikt gegen eine Aufhebung der Planung.“ Das Projekt sei „kein Schnellschuss“ der Gemeinde gewesen. Er sei von Anfang an dabei gewesen und könne sagen, dass „strikt gearbeitet worden ist.“ Ziel sei gewesen, einen Ortskern für Waakirchen zu schaffen. Dies sei in letzter Zeit durch den Abgang einiger Geschäfte verloren gegangen.
Balthasar Brandhofer (ABV) blieb dabei: Das Projekt sei nach wie vor „zu wuchtig“ und an einem Platz wie diesen nicht angebracht. „Bei allem Respekt vor der Planung von Hans Hagleitner.“ Im Hinblick auf die Einnahmen und Ausgaben befinde man sich kalkulatorisch schon jetzt im Minus. Zu erwarten sei ein jährlicher Verlust im sechsstelligen Bereich.
Reber: Ich sehe ein, dass die Bürger a bissl verschnupt sind.
Aus Erfahrung könne er sagen, so Bürgermeister Hartl, dass es „bei Hagleitners Kostenschätzungen lediglich eine minimale Abweichung von ein bis zwei Prozent“ gebe. Er verstehe nicht, warum man „das ganze Ding“ stoppen sollte. „Bis auf den Bürgersaal und das Heimatmuseum haben wir doch alles eingebracht, was die Bürger wollen.“
ABV-Fraktion beantragt Ratsbegehren
Die Vorschläge der Bürgerwerkstatt könnten ebenfalls in das Projekt integriert werden. „Es fehlen Wohnungen. Ohne Wohnförderungsprogramm können wir uns heute keine Tiefgarage leisten.“ Günther Jeske (FWG) plädierte auch dafür, die Architekturplanung fortzuführen, um die Finanzierung zu bekommen. Bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung sei allerdings zu berücksichtigen, dass die Mieten für die Geschäfte zu hoch seien.
Waakirchens dritter Bürgermeister Rudi Reber (ABV) sah zwar ein, dass „die Bürger a bissl verschnupft sind“, hielt aber den Weg, wieder bei Null anzufangen, für verkehrt. „Wir sind als Gemeinderat gewählt worden“, betonte er. Nichtsdestotrotz habe sich seine Fraktion Gedanken gemacht und ein Ratsbegehren beantragt.
Was sagt die „schweigende Mehrheit“?
Im Hinblick auf eine demokratische Abstimmung sollte herausgefunden, was „die schweigende Mehrheit“ zur Planung sagt. Eine spontane Befragung wie am 5. November in der Turnhalle sei weder sinnvoll noch aussagekräftig gewesen. „Um Kosten zu sparen“ halte er den Termin am 26. Mai 2019 – im Rahmen der Europawahl – dafür geeignet.
Georg Rausch (CSU) hielt es für angebrachter, mit dem Ratsbegehren zu warten, bis „alle Fakten da sind.“ Bei dem Projekt handele es sich immer noch um einen Vorentwurf. Damit schaffe man allerdings etwas für die nachfolgenden Generationen. „Unsere Kinder können sich später an unsere Gemeinde wenden. Das lasse ich mir nicht kaputtmachen!“
Ein Ratsbegehren – zu früh?
Als „zu früh“ stufte auch Hermann Mair (SPD) ein Ratsbegehren ein. Erst sollte man die Wirtschaftlichkeitsberechnung abwarten, meinte er. Rabl wies darauf hin, dass dies aus terminlichen Gründen wichtig sei. „Wenn wir keine Wirtschaftlichkeitsberechnung kriegen, brauchen wir kein Ratsbegehren.“ Robert Englmann (CSU) tendierte zum Antrag der ABV für ein Ratsbegehren.
Das Projekt sollte nicht gegen den Willen der Bürger durchgedrückt werden.
Ein Ratsbegehren müsse ohnehin vorbereitet werden, so Englmann. Bis dahin hätte man die Förderfähigkeit des Projekts geprüft. Andreas Hagleitner (FWG) wandte sich an Rudi Reber: „Alle Fraktionen haben damals den Notarvertrag zum Bäckervoitl-Grundstück unterschrieben.“ Damals habe man auch „vorsichtig kalkuliert.“ Der Gemeinderat sollte deshalb nicht „vorschnell“ handeln. Der Haushalt habe sich „um ein vielfaches erhöht“. Es sei damals gegangen und gehe auch heute.
Wir packen das, wenn es der Bürger wünscht.
Einstimmig stimmte der Gemeinderat daraufhin dem Antrag der ABV-Fraktion zu, ein Ratsbegehren durchzuführen. Der Antrag von Michael Futschik, die Planung zu stoppen, wurde einstimmig abgelehnt.
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