Rebellen im Rat?

Im Mai wurden sie vereidigt, die neuen Gemeinderäte im Tegernseer Tal. Jetzt blicken sie zurück auf ihre ersten 100 Tage.

Welche Vorstellung von Kommunalpolitik haben eigentlich die Jüngsten unter ihnen und wie wollen sie das Tal verändern? Im Gespräch mit Laura Wagner und Sebastian Marschall.

Sebastian Marschall und Laura Wagner gehören zu den Jüngsten unter den Gemeinderäten.
Sebastian Marschall und Laura Wagner gehören zu den Jüngsten unter den Gemeinderäten.

Laura Wagner (Grüne) ist 36 Jahre alt und in der Gemeinde Gmund daheim. Als Politologin bringt sie optimale Voraussetzungen für die Kommunalpolitik mit. Ihre Mutter Helga Wagner (ebenfalls Grüne) ist im Gemeinderat bereits ein „alter Hase“ und mit den örtlichen Themen vertraut. Laura stärkt mit ihrer Stimme die Gmunder Opposition.

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Sebastian Marschall (Freie Wähler) ist 31 Jahre alt und passionierter Kreuther. Der Rechtsanwalt findet, dass der Gemeinde am südlichsten Zipfel des Sees zu wenig Aufmerksamkeit im Landkreis entgegengebracht wird.

„Nein“-Sagen muss erlaubt sein

Tegernseer Stimme: Die ersten Sitzungen in den Gemeinderäten sind schon rum. Haben Sie sich Ihre Tätigkeit als Gemeinderäte so vorgestellt?

Sebastian Marschall: Ja, aber auch nein. Auf der einen Seite sitzen viele Gemeinderäte schon lange drin und setzen voraus, was man mitbringen muss. Manchmal wird auch auf Sitzungen verwiesen, die über ein Jahr her sind. Aber sie haben noch Geduld mit mir, es wir noch nicht mit Murren aufgefasst, wenn man nachfrägt.

Laura Wagner: Manchmal fällt es schon schwer, nochmal nachzufragen. Aber auch in Gmund sind alle sehr umgänglich, auch der Bürgermeister. Trotzdem ist es schwer, die Komplexität mancher Dinge in so kurzer Zeit zu erfassen.

Tegernseer Stimme: Fallen Ihnen spontan besondere Vorkommnisse aus einer der Sitzungen ein?

Laura Wagner: Was ich schade finde, ist, dass, wenn jemand mal dagegen stimmt, dies gleich als undemokratisch gilt. Da hieß es dann: „Jetzt ham mia so lang drüber gredt. Könnt’s ihr ned amal a Ruah gebn?“ Das hat für mich nichts mit Demokratie zu tun. Auch wenn die Mehrheit entscheidet, deshalb muss die Minderheit nicht dafür sein. Nein-Sagen muss immer erlaubt sein, deshalb torpediert man ja einen Beschluss nicht.

Sebastian Marschall: Der Herr Bierschneider ist da sehr demokratisch. Er schlägt sich auch mal auf die Seite der Minderheit.

Tegernseer Stimme: In Kreuth gehen die Gemeinderatssitzungen ja meist recht einträchtig ab. Möchten Sie da mehr Streitkultur hineinbringen?

Sebastian Marschall: Streitkultur gehört nicht in einen Gemeinderat, die Diskussionskultur dagegen schon. In Kreuth funktioniert das ganz gut. Es ist eine fruchtbare politische Atmosphäre, in der man sich gut einbringen kann.

Gmunds zweite mahnende Stimme?

Tegernseer Stimme: Konnten Sie schon erste Erfolge in Ihren Tätigkeiten als Gemeinderäte verbuchen?

Sebastian Marschall: Für mich war die Zusammenarbeit der verschiedenen Rechnungsprüfer aus den Gemeinden ein Erfolg. Das hat gut funktioniert und uns sind auch einige kleine Fehler aufgefallen, die dann verbessert werden konnten. Ansonsten muss man erst einmal rein kommen.

Tegernseer Stimme: Gibt es in Gmund jetzt neben Ihrer Mutter eine zweite „mahnende Stimme“ im Gremium?

Laura Wagner: Das würde ich jetzt so nicht sagen. Vielleicht sollte man uns eher als Opposition bezeichnen. Worauf ich schon stolz bin, ist, dass wir die zwei Grünen Sitze in Gmund halten konnten.

Tegernseer Stimme: Für welche Grünen Themen sehen Sie denn in Gmund Handlungsbedarf?

Laura Wagner: Da gäbe es schon so Einige. Vor allem könnte Gmund sehr viel mehr Bäume brauchen. In der Gemeinde werden sie alle abgesäbelt. Bäume stören in unserer Gemeinde, möchte man fast meinen. Dabei ist jede Baumgruppe, jede Allee Gold wert. Besonders auf dem Pausenhof in der Realschule und in der Kinderkrippe gehören ein paar größere Bäume. Das traurige Ergebnis, dass die Bäume fehlen, ist, dass die Krippenkinder im Sommer gar nicht mehr rausgehen wegen den erhöhten Ozonwerten.

Tegernseer Stimme: Streben Sie neben dem Gemeinderat noch weitere politische Ämter an? Oder wollen Sie hauptsächlich in Ihrem Ort etwas bewegen?

Sebastian Marschall: Ich hätte auch gerne die Möglichkeit gehabt, auf Landkreisebene im Kreistag tätig zu werden. Aber als „junger“ Kandidat ist es schwierig, allein schon aufgrund des Bekanntheitsgrades. Die lassen die Jungen nicht nach vorne.

Laura Wagner: Für mich ist ein Engagement im Kreistag – zumindest zur Zeit – nicht der Plan. Die Meinung von Sebastian teile ich allerdings. Wenn man vielleicht nicht ganz die Meinung der Alteingesessenen teilt, dann überhören sie dich halt einfach.

In der Schulpolitik muss sich aus Sicht der beiden no ch einiges tun.
In der Schulpolitik muss sich aus Sicht der beiden noch einiges tun.

Tegernseer Stimme: Wieso interessieren Sie sich eigentlich für Politik und seit wann?

Laura Wagner: Eigentlich schon immer. Ich hatte schon Leistungskurs Geschichte und hab dann Politikwissenschaften studiert.

Sebastian Marschall: Für die große Politik schon seit der Schule. Kommunal erst seit der vorletzten Wahl. Früher bin ich immer zusammen mit meinen Freunden zum Bachmair an der Weissach zum Wählen gegangen. Im Anschluss gab es dann ein Weißwurstfrühstück.

Tegernseer Stimme: In welchem Ausschuss oder Schwerpunktthema sind Sie jetzt tätig?

Sebastian Marschall: Mein Schwerpunkt liegt im Rechnungsprüfungsausschuss. Aber ich bin beispielsweise auch im Abwasserzweckverband.

Laura Wagner: Ich bin im Ausschuss für Tourismus und Verkehr und im Rechnungsprüfungsausschuss. Außerdem bin ich stellvertretende Energiereferentin.

Tegernseer Stimme: Wie sieht es denn mit der Energiewende in Gmund aus?

Laura Wagner: Kann ich jetzt noch nicht sagen. Jedenfalls kann sich jeder, der ein Haus baut, kostenlos Informationen in der Gemeinde holen, wie er das energetisch am besten umsetzen kann. Auch die Liegenschaften in Gmund sollen verbessert werden. Gespräche dazu finden schon statt. Wie groß der Wille dann am Ende ist, ist jetzt noch schwer zu sagen.

Tegernseer Stimme: Welche Themen möchten Sie in Ihrem Ort stärker in den Fokus rücken?

Sebastian Marschall: Ich würde mich gerne für talübergreifende Themen einsetzen. Eine intensivere Zusammenarbeit voranbringen. Ich möchte das in den Vordergrund rücken, was wichtig für unsere Region ist. Man hört immer Tourismus, Energie, Verkehr und Bauen. Ich denke aber, dass die Zusammenarbeit der Talgemeinden untereinander und auch auf Landkreisebene viel zu kurz kommt. Manche Themen kann eine Gemeinde nicht alleine angehen. Hierzu ist es wichtig, starke Strukturen zu haben. Auch sollte man meiner Meinung nach den Gedanken einer gesamten Talgemeinde nicht ad acta legen.

Laura Wagner: Insgesamt sollte mehr an der Umsetzung der Themen gearbeitet werden. Das offene Ohr der Kommunalpolitik ist schon da, aber an der Umsetzung hapert es dann häufig.

Tegernseer Stimme: Was, denken Sie, muss dafür getan werden?

Sebastian Marschall: Das Gleichgewicht im Gremium ist wichtig. Es wäre furchtbar, wenn einer – zum Beispiel der Bürgermeister – die Politik zu sehr bestimmt. Da geht zu viel verloren und Ideen werden nicht zu Ende entwickelt.

Laura Wagner: Und später kontrolliert keiner mehr das Ergebnis. Ob was passiert ist, schaut dann keiner mehr. Da muss ich auch die Presse in die Pflicht nehmen, an den Themen dran zu bleiben und nachzuhaken.

„Die Schulpolitik ist unter aller Sau“

Tegernseer Stimme: Gibt es noch andere „Baustellen“, die Sie angehen wollen?

Sebastian Marschall: Ich finde, die Gemeinde Kreuth müsste mehr gestärkt werden. Es müssen mehr infrastrukturelle Projekte passieren, zum Beispiel sollten die Busse häufiger nach Glashütte fahren. Auch die Ausbildungslandschaft verlagert sich immer mehr nach Norden.

Laura Wagner: Überhaupt ist die Schulpolitik in die falsche Richtung gelaufen.

Tegernseer Stimme: Was muss getan werden, um die Schulpolitik für das Tal wieder voran zu treiben?

Sebastian Marschall: Die Schulpolitik ist unter aller Sau. Vielleicht habe ich mich aber damit auch noch nicht richtig beschäftigt. In jedem Fall ist in den letzten 30 Jahren zu wenig passiert. Und dann gleich zwei Schulen auf einmal. Vielleicht hätte man erstmal eine bauen sollen und sehen, wie sich dann alles entwickelt. Jetzt haben wir das Problem mit dem Gymnasium Tegernsee. In jedem Fall müssen wir das Gymnasium erhalten.

Beide
Haben es Frauen in der Politik schwerer als Männer? Hier sind die beiden geteilter Meinung.

Tegernseer Stimme: Themawechsel: Haben es Frauen eigentlich schwerer, sich in der Politik zu behaupten und woran könnte das liegen?

Sebastian Marschall: Ich glaube, es versuchen nur zu wenige. Es gibt viel zu wenige, die sich aktiv in die Politik einbringen, indem sie sich als Kandidatin für den Gemeinderat oder Kreistag zur Wahl stellen. Im Endeffekt entscheiden doch Sachargumente, da sollte es egal sein, ob sie von einer Frau oder einem Mann, egal ob jung oder alt, eingebracht werden.

Laura Wagner: Ich glaube schon, dass es Frauen schwerer haben. Das merke ich auch bei mir selbst. Ich nehme kein Blatt vor den Mund und seitdem ecke ich an. Viele andere Frauen wollen halt nicht anecken oder haben ein hohes Harmoniebedürfnis.

Tegernseer Stimme: Wie könnte man den Menschen im Ort die Politik näher bringen – speziell jüngeren Menschen?

Laura Wagner: Das ist schwierig. Es liegt aber sicher auch daran, dass Jugendliche manchmal zu wenig dazu angehalten werden, sich zu informieren. Das geht halt nicht schnell, schnell. Zeitung lesen braucht Zeit.

Sebastian Marschall: Ich denke, bei jüngeren Menschen sollte man früh anfangen, sie für das Thema Politik zu sensibilisieren, sei es in der Öffentlichkeit oder auch in der Schule. Sie müssen merken: „Hey, ich kann selber was bewirken – das ist doch toll!“ Da wird momentan viel zu wenig getan. Von der dritten Klasse bis zur 12. passiert da gar nichts. Ich bin für ein Wahlpflichtfach „Politische Weiterbildung“.

Tegernseer Stimme: Wie könnte das konkret aussehen?

Sebastian Marschall: Dazu kann ich mir vorstellen, dass die Kommunalpolitiker selbst in die Schulen gehen und zeigen, wie die Arbeit eines Gemeinderats aussieht: Was ist ein Flächennutzungsplan? Welche Rechte kann ich als Bürger in der Gemeinde geltend machen? Themen gibt es viele, da kann jeder von den knapp hundert Gemeinderäten was dazu beitragen.

Tegernseer Stimme: Vielen Dank für das interessante Gespräch!

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