Mein Navigationsgerät kennt so unangenehme Sätze, wie „Bitte wenden“, die stoisch wiederholt werden, nicht. Wäre mein Navigationsgerät ein Mensch, dann wäre er vergleichbar mit dem „Es-gibt-immer-einen-Weg-Typ“. Quasi ein lösungsfokussierter Coach, der da an meiner Frontscheibe klebt.
Gedanklich versunken in einen Radiobeitrag auf der Fahrt vom Tegernsee an den Zürichsee, folgte ich nicht exakt den Anweisungen meines Navigators und bog irgendwo kurz nach der Schweizer Grenze einige hundert Meter später als vorgesehen links ab.
Übrigens nebenbei bemerkt: Im Radiobeitrag ging es darum, ob man 17 Kilogramm übriggebliebene Weihnachtsplätzchen, von Muttern in vielen Stunden liebevoll gebacken, an die Hühner verfüttern darf. Ein wahres Dilemma.
Mein autonomes Navigationsgerät verzieh mir angesichts der spannenden Radiodebatte meine Unaufmerksamkeit. In dezent zurückhaltender Tonlage sagte es „recalculating“ und berechnete einfach eine neue Route. Und was für eine. Ich fand mich irgendwo in den Schweizer Bergen wieder, fuhr auf einer schmalen Passstraße über 1000 Höhenmetern von einem einsam gelegenen Bergbauernhof zum nächsten.
Intelligente Miniroboter, die uns in jeder Lage helfen!?
Heidi, Alm-Öhi, Geißen-Peter und wie sie alle hießen, mussten hier gleich die Almwiesen herunter gesprungen kommen. Doch die kamen nicht, stattdessen fuhren mir auf der linken Spur Armeefahrzeuge entgegen. Rechts von mir ein steiler mehrere hundert Meter tiefer Abhang und keine Leitplanke.
Alles kein Problem, Dank der vielen autonom agierenden Miniroboter in meinem Auto. Die sorgen dafür, dass das Auto in der Spur bleibt, sind sensibilisiert für Glatteis und vieles andere. In solchen Momenten inmitten der unberührten Natur, eingekeilt von Berggiganten, ist klar: Wir sind nicht allein. Wir haben uns kleine autonome intelligente Miniroboter geschaffen, die uns in allen Lebenslagen begleiten, ausführen was wir wollen, noch lange bevor wir wissen, was wir wollen.
Autonome Rasenmäher flitzen im Sommer über Rasenflächen und in der Ausgabe der Zeit vom 19. Januar erfahren wir, dass in Südkorea Roboter als Englischlehrer vor der Klasse stehen und nicht zu vergessen fahrerlosen U-Bahn in Nürnberg und das autonome Auto Leonie, für das die TU Braunschweig Testcenter ist.
Wir und die Maschinen in romantischer Eintracht
Daniel H. Wilson beschreibt in seinem Roman „Robocalypse“, erschienen 2011, wie sich all die intelligenten autonomen Bauteile, Roboter und Geräte vernetzen und gegen ihre Schöpfer die Menschen richten. Im richtigen Leben geht es in der Allianz zwischen Mensch und intelligenten Geräten romantischer zu.
Mein Navigationsgerät enthält offensichtlich ein Tool für das Auffinden fantastischer Natureindrücke. Warum sonst sollte es mich auf den Weg nach Zürich in die Schweizer Berge geführt und gleich noch einen Sonnenuntergang mit knallrotem Sonnenball, der hinter schneebedeckten Berggipfeln innerhalb weniger Minuten verschwand, mitgeliefert haben.
Auf dem Rückweg legte ich eine Rast ein, um den Schlaf mit einem doppelten Espresso zu verdrängen. Im Süddeutschen Magazin – natürlich hochgeladen im Smartphone – las ich von der Krankenschwester Bronnie Ware, die über viele Jahre Sterbende begleitete. Sie hatte die letzten Sätze der Sterbenden aufgeschrieben und die fünf häufigsten ausgewählt.
Der Wunsch, der am häufigsten geäußert wurde, lautete: „Ich wünschte, ich hätte den Mut aufgebracht, ein Leben getreu mir selbst zu führen – anstatt eines, das andere von mir erwarteten.“
Noch ganz unter dem Eindruck der dezent rücksichtsvollen lösungsfokussierten Führung meines autonomen Navigationsgerätes fiel mir dazu nur ein: Recalculating: Neuberechnen! Was sonst?
SOCIAL MEDIA SEITEN