Wenn der Durchblick fehlt

In unserer Reihe: „Originale am See“ sprechen wir mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten. Wir wollen wissen, wie sich das Tegernseer Tal für sie im Laufe der Zeit verändert hat, was früher besser war und heute gut ist. Eine von ihnen: Die Wiesseerin Angela Glass.

Angela Glass ist seit 28 Jahren Augenärztin in Bad Wiessee und hat den “Durchblick”.

Im Tegernseer Bräustüberl sitzen sie alle an einem Tisch: Alt und jung, arm und reich, bekannt und weniger bekannt. Die Faszination der Gegensätze ist es, die wir zusammen mit einer Tegernseer Fotografin in unserer neuen Reihe “Originale am See” festhalten wollen. Heute: Die Wiesseer Augenärztin Angela Glass.

Zur Fotografin des Schwarz-Weiß-Fotos:
Die Tegernseerin Bommi Schwierz ist Juristin und Fotografin. In ihrem Buch “Der Tegernsee und seine Gesichter” hat sie die Menschen im Tal mit ihrer Kamera festgehalten, denen sie ein Denkmal setzen wollte.

Montagmorgen in der Hirschbergstraße in Bad Wiessee. Ängstlich, aber voller Hoffnung auf Linderung wartet der Patient auf die Ärztin. Vor sechs Wochen gingen seine Beschwerden los. Erst sah er nur eine kleine schwarze Fläche vor dem linken Auge, nach einer Woche verdunkelte sich das Sichtfeld mehr und mehr, inzwischen sieht er auf der einen Seite nur noch schwarz.

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Situationen wie diese kennt Augenärztin Angela Glass zur Genüge. „Aber die schlimmsten Fälle sind die, die überhaupt nicht auftauchen“, sagt sie. Und damit will sie all jenen Mut machen, die den Gang zum Augenarzt scheuen. „Das Auge ist eher ein angstbesetztes Thema“, weiß die 58-Jährige. „Viele fürchten sich einfach.“

Deshalb versuche sie, ihren Patienten durch die Raumgestaltung die Anspannung zu nehmen, und eine freundliche Atmosphäre zu schaffen. Während sie spricht, wirkt sie überhaupt nicht wie eine „arrogante Modeärztin“, wie in einer Internet-Bewertung zu lesen war. Darauf angesprochen, zuckt sie die Schultern.

Ich weiß nicht, warum das geschrieben wurde. Vielleicht war ich einmal zu ungeduldig. Aber auf so einen anonymen Kommentar habe ich ja auch gar keine Möglichkeit, zu reagieren.

Die Fachärztin für Augenheilkunde macht einen freundlichen, gelassenen Eindruck. „Ich habe fast nie schlechte Laune“, versichert sie. Das glaubt man ihr sofort. Für unser Gespräch hat sie ihre Mittagspause sausen lassen. Dennoch vermittelt sie nicht das Gefühl, als wolle sie das Gespräch vorzeitig beenden.

Augenheilbäder machten Wiessee bekannt

Fröhlich erzählt die gebürtig aus Essen stammende Augenärztin, dass sie in Düsseldorf, München und den USA studiert, und die Praxis in Wiessee im Jahr 1989 übernommen habe. Ihr Vorgänger sei „sehr beliebt“ gewesen und habe mit seinen Augenheilbädern aus den Jodquellen wesentlich dazu beigetragen, Bad Wiessee als Augenkurort bekannt zu machen. Eine Besonderheit, die der Gemeinde ein Alleinstellungsmerkmal verlieh.

Welchen Stellenwert die Augenbäder auch heute noch haben, zeigt sich daran, dass sie teilweise noch immer eine Kurleistung der gesetzlichen Krankenversicherungen geblieben sind. Bei Angela Glass machen die Jodbäder allerdings nur einen kleineren Teil der Arbeit aus.

Eigentlich sei sie „eine ganz normale Augenärztin“, erklärt die 58-Jährige. Sie war Ende 20, als sich die „Stadtfrau“ der Herausforderung der Selbständigkeit am Tegernsee stellte. Das sei auf jeden Fall die richtige Entscheidung gewesen, sagt Glass heute. Obwohl sie damals – trotz ihrer Spontanität – etwas länger überlegen musste.

Im nächsten Leben würde ich wieder Augenärztin am Tegernsee werden. Jeden Montagmorgen freue ich mich aufs Neue auf die Arbeit.

Und vermutlich war es auch so etwas wie Schicksal, das sie ausgerechnet ins Tegernseer Tal verschlug. Denn als sie ihrer Mutter von ihrer Entscheidung erzählte, die Praxis in Wiessee übernehmen zu wollen, habe diese am Telefon nur „gekichert.“ Denn genau zwei Häuser weiter, im Gästehaus Westfalen in der Adrian-Stoop-Straße, haben ihre Eltern den Urlaub verbracht. Exakt neun Monate vor ihrer Geburt. Glass lächelt: „Manche Dinge sollen einfach so sein.“

In Wiessee trifft Bodenständigkeit auf Abgehobenheit

Wie glücklich Glass auch heute noch ist, hört man aus ihren Erzählungen über ihre Patienten heraus. „Ich liebe die Riesenbandbreite. Manche kommen seit 30 Jahren zu mir.“ Besonders liebt sie den Mix zwischen Einheimischen und Zuagroasten, zwischen Bodenständigkeit und Abgehobenheit. Unterschiedliche Menschen jeglicher Couleur kommen bei ihr ebenso zusammen wie im hiesigen Biergarten oder bei den See- und Waldfesten.

Dabei sei nicht immer alles Gold, das glänzt. Als die Kurleistungen ungefähr Mitte der Neunziger eingestellt wurden, sei dies „ein Rieseneinschnitt“ für Bad Wiessee gewesen, erinnert sich Glass. „Die Kurorte hatten so kaum eine Chance, mit Gegenmaßnahmen darauf zu reagieren.“ Umso erfreuter sei sie nun, dass der Ort aus seinem „Schlummerschlaf“ erwacht und die Verantwortlichen konkrete Pläne für die Zukunft schmieden.

Besonders das geplante Badehaus des italienischen Star-Architekten Matteo Thun spreche sie „wahnsinnig“ an. Außerdem verstärke sich dadurch in ihren Augen der Bekanntheitsgrad der Gemeinde.

Es ist fantastisch, wenn ein Künstler wie er hier sein Können zeigt.

Gerade in den 90er Jahren habe sie den Eindruck gehabt, dass hier in dieser wunderschönen Landschaft „mal wieder etwas passieren müsse“. Viele Betriebe seien damals in einen regelrechten Dornröschenschlaf verfallen. Mit Beginn des neuen Jahrtausends sei dann allerdings „viel investiert worden“.

Außerdem hätten sich die Tal-Bürgermeister auch irgendwann auf ein gemeinsames Vermarktungsprogramm geeinigt. Heute habe der Veranstaltungskalender kaum mehr Lücken, findet sie. Ob Brotzeit auf der Berggasthütte, Wirtschaftsgipfel, Musikveranstaltungen oder Sport – alles sei möglich am Tegernsee. Auch das Thema „Gesundheit“ habe sich Bad Wiessee auf die Fahne geschrieben. „Wir haben tolle Kliniken und müssen uns nicht verstecken.“

Auf die Frage, worauf sie persönlich stolz sei, winkt die 58-Jährige zunächst ab.

Auf gar nichts. Ich leiste nichts außergewöhnliches, erledige nur meinen Job.

Doch dann zögert sie. Eine Sache wäre vielleicht doch erwähnenswert. Etwas, worauf sie „ein bissl stolz“ sei: Den Spagat zwischen Beruf und Familie hingekriegt zu haben. Es immer wieder aufs Neue zu schaffen, Tag und Nacht „seinen Mann zu stehen“. Gerade in Zeiten, wenn die Kinder noch klein ist. „Das kostet wahnsinnig viel Kraft.“ Doch Sie habe Glück gehabt. Ein liebevolles Kindermädchen, das sie unterstützte, sagt sie. „Das haben andere Frauen nicht.“

Eine Hilfe, die ihr auch zur Seite stand, als ihr erster Sohn verstarb und ihre Ehe zerbrach. Vielleicht mit ein Grund, warum Angela Glass sich trotz der Doppelbelastung sozial engagiert. Als die Flüchtlinge in Flipflops an der Grenze standen, war sie eine der ersten, die sich beim Landratsamt meldete und kostenlose, augenärztliche Behandlungen anbot.

„Manche meiner Patienten waren zuerst nicht begeistert.“ Doch Glass ließ sich nicht irritieren. Stattdessen nahm sie das zögerliche Verhalten der anderen zum Anlass, über das Thema „Flüchtlinge“ in ihrer Praxis zu diskutieren. Ihr Motto „Das Beste ist doch, wenn jeder seine Hilfe in den Bereichen anbietet, wo er sich auskennt. In meinem Fall sind es eben die Augen.“

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