Stilvoll elegant – mit diesem Attribut wirbt Rottach-Egern auf seiner Internetpräsenz. Stil und Eleganz, das sei das Erfolgsrezept für die attraktive Ausstrahlung des Ortes, so heißt es weiter. Wenn man durch die Seestraße und Teile der Hauptstraße flaniert, bleibt von dem beworbenen Eindruck leider nicht viel übrig. „Stilvoll elegant“ geht anders.
Ferner erzählt man auf der Webseite von berühmten Künstlern, die sich haben beflügeln lassen vom aktiven und vitalen Leben am See. Aktiv und vital? Ja, so kann man das Rottacher Dasein in der Tat beschreiben. Geschäftig, betriebsam und lebhaft ist er geworden, der Ort. Besonders, was die Baustellen angeht: ob Straßensanierungen oder Neubau oder Bau von Parkplätze ‒ hier ist gerade mächtig was los.
Bahn frei für einen Bauboom?
Geradezu beflügelt sind offenbar verschiedenste Immobilieninvestoren und Bauträger in ihrem Streben nach Rottacher Bauland. Hat man erst einmal eine Baugenehmigung in der Tasche, entstehen binnen kürzester Zeit auf kleinsten Parzellen XXL-Bauwerke im designorientierten Alpenschick.
Wo einst ein kleines, altes Häuschen umringt von altem Baubestand stand, entstehen vier Einfamilienhäuser inklusive allem Komfort und unverstelltem Bergblick. Bis dann nach ein paar Jahren der Nächste kommt und dem Nachbarn sein Haus vor die Nase setzt: das war es dann mit dem Bergblick.
„Flanieren Sie doch einmal durch Rottach, vorbei an eleganten Geschäften und gemütlichen Restaurants bis hinunter zur Egerner Kirche“, raten die Touristiker. Schnell endet man am bezaubernden Malerwinkel, der ja bekanntlich dank eines sich überdimensional ausbreitenden Hotels nicht mehr ganz so bezaubernd wirkt (Anmerkung der Redaktion). Ein bisschen weiter südlich sieht es nicht viel besser aus: auch dort finden sich manche baulichen Auswüchse.
Was ist schön – und was hässlich?
Der Baustil, die Größe des Gebäudes, der Zaun, die Haustür, das Dach, der Wandanstrich, der Abstand zum Nachbarn ‒ bei manchen Gebäuden passt einfach nichts. Dabei wäre es doch eigentlich ganz einfach. Man nimmt die am Ort vorhandenen Bautraditionen auf und versucht, sie klug und ökologisch weiterzuentwickeln.
Doch wo beginnt eine Bausünde? Was geht noch durch? Eines ist dabei sicher: die Geschmäcker sind verschieden. Und jeder Bauherr möchte sich natürlich auch selbst verwirklichen. Ob einer seinen Stall gelb anstreicht, ein anderer asiatische Heckenpflänzchen anstatt einheimischer pflanzt oder ein dritter sein Einfamilienhaus mit einem Hirschgeweih schmückt, obwohl er nicht der Jägerzunft angehört. Das bleibt wohl im Alltag auch weiterhin jedem selbst überlassen.
Von der Bewahrung des Grüns
Jedes noch freie Fleckchen Grün, jede unbebaute Wiese: es könnte die Letzte ihrer Art sein. Diesen Eindruck gewinnt man inzwischen, wenn man sich im Ort umsieht. Vielerorts stehen Kräne, Bagger und andere Baufahrzeuge. Rohbauten, halb fertig gestellte Häuser, in den Himmel wachsende Bautafeln: alle künden sie von der Bauwut, die Rottach erfasst hat.
Jedes Eckchen wird genutzt: Grün verschwindet, damit noch mehr Mauerwerk entstehen kann. Ein gigantischer Verbrauch von Fläche. Vom Grundstück selbst bleibt meist nicht viel übrig. Nur ein paar wenige Quadratmeter künstlich angelegtes Grün säumen die Mauern, bevor es von einem mehr oder wenigen dicken Zaun begrenzt wird. Der Wohnraum steht im Vordergrund. Ein gut gebautes Haus fügt sich dagegen in die Landschaft ein. Im Idealfall bereichert es sie sogar.
Über Jahrhunderte stimmte die Kulturlandschaft und war verträglich. Die Häuser wurden mit der Landschaft gebaut. Das vermisst man heute bei Neubauten häufig. Einheitliche und stilvolle Ortsbilder werden, nicht nur in Rottach, leider immer seltener.
Verantwortung dem Umfeld gegenüber
Es gibt jedoch auch eine simple Verantwortung dem Nachbarn, dem Umfeld gegenüber. Der Eigentümer sieht sein Haus meist nur, wenn er das Grundstück verlässt, heimkommt oder gerade in seinem Garten sitzt.
Der Nachbar sieht es leider jedes Mal, wenn er aus dem Fenster schaut, gerade am Esstisch sitzt oder in der Küche steht. Da sollte es eigentlich zum guten Ton gehören, dass das Haus kein ortsfremdes Unikum darstellt. Oder dass man dem Nachbarn nicht eine Doppelgarage vor die Nase setzt. Häuser geben dem Ort sein Gesicht.
Ob die Investoren, die im Tal bauen, ihre Bauwerke verkaufen und dann wieder abziehen, darüber schon einmal nachgedacht haben?
So unterschiedlich wie die Geschmäcker der Bauherren auch sind: die Optik des eigenen Hauses sollte man sich wahrlich gut überlegen. Ein Haus steht Jahrzehnte. Das ist eine halbe Ewigkeit.
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