Noch sechs Tage bis zum Bürgerentscheid Schlierseer Hof:
Schliersee – alles auf Anfang?

Die Hotelier-Familie de Alwis will den Schliersee wiederbeleben, doch hat die Marktgemeinde Schliersee und der Bauherr den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht? Der Genehmigungsprozess wirft Fragen auf.

Hier am Ufer darf nicht gebaut werden, wusste keiner. Der Freistaat schon. Foto: Redaktion

Wer von Hausham kommend in Richtung Schliersee fährt, sieht Leerstand, skurrile Bars und aus der Zeit gefallene Hotels. “Fehlt nur noch die Graf-Dracula-Kutsche”, rutscht es dem Herausgeber der Tegernseer Stimme raus, als wir kurz hinter dem “Alpenwirt im Zwitscherstüberl” die triste Außenansicht des Seehotels Schlierseer Hof erreichen.

Schliersee will es besser machen als der Tegernsee, doch wie sieht dieses Besser aus? Darüber entzweien sich die Bewohnerinnen und Bewohner; Martin Calsow hat gestern über diese Identitätskrise geschrieben. Hier soll es darum gehen, ob Gemeinde und Bauherren das Pferd von hinten aufzäumen.

Weiterlesen: Schliersee: Ort der Intrigen?

Martin Calsow analysiert, warum viele Schlierseer mit dem Neubau hadern und was das mit dem Tegernsee zu hat.

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#1 – Bauen im Überschwemmungsgebiet

Wer im Überschwemmungsgebiet bauen will, braucht Durchhaltevermögen; das Bauen ist mit zahlreichen Auflagen verknüpft. Doch der alte Schlierseer Hof liegt am Rande der Hochwasser-Gefahren-Karte (HQ-100-Zone / siehe Umwelt-Atlas); der Biergarten und ein Eck vom Parkplatz liegen mitten drin im Überschwemmungsgebiet.

Der Neubau rückt teilweise noch näher ans Ufer. Weil ein Neubau Flächen versiegelt, braucht es im ersten Schritt zu einer Baugenehmigung, sogenannte Retentionsflächen; eben Ausgleichsflächen. Das Bayerische Landesamt für Umwelt erklärt das auf einer Infoseite schön, geschmückt mit einem Foto des Schliersees.

Abfluss Tiefgarage?

Das Wasser muss ja irgendwo hin, wenn der See überschwappt. Weil der “Vorhabenträger trotz umfangreicher Bemühungen keine Flächen für einen Retentionsausgleich finden konnte”, so steht es im Gemeinderatsprotokoll, wurde “die Flutung eines Teilbereichs der Tiefgarage” vorgeschlagen. Das Wasserwirtschaftsamt Rosenheim stand dieser Lösung bereits im Juli 2023 ablehnend gegenüber.

Spricht man mit Menschen, die sich mit Bauten im Überschwemmungsgebieten auskennen, schütteln sie den Kopf über so eine Idee; gefährlich und schwierig zu planen, heißt es.

Scoping-Verfahren

Das Scoping-Verfahren ist eine Art vorgelagerte Abstimmung mit Trägern öffentlicher Belange (TöB), ein übliches Verfahren bei Großbauprojekten. Die offiziellen Stellungnahmen, etwa von Naturschutzbehörden, dem Straßenbauamt, Energieversorgern, dem Abfallwirtschaftsamt, sind im Baugenehmigungsprozess an zwei Stellen vorgesehen. Auch eine Bürgerbeteiligung, bzw. die Information über geplante Bauvorhaben – etwas das öffentliche Einsehen der Entwürfe – ist verpflichtend.

Doch in unserem Interview versichern uns Walter und Marcel de Alwis, dass das Problem mit den Behörden gelöst sei. Auf meine erneute Nachfrage, welche Lösungen dazu im Raums stehen, schreibt Marcel de Alwis, “wie erwähnt haben wir einen eigenen Retentionsausgleichsraum, der diese Fläche ausgleichen wird. Dies war ebenfalls Teil des Scoping-Verfahrens mit dem Architektenbüro des Gemeinderats, den Behörden und uns.”

Das Wasserwirtschaftsamt hat davon allerdings noch keine Kenntnis. Andreas Holderer, Baudirektor des Wasserwirtschaftsamts Rosenheim schreibt, dass in Sachen Retentionsraumausgleich keine neuen Erkenntnisse oder Vorschläge vorlägen und ergänzt, “nach wie vor sehen wir die Lösung Tiefgarage kritisch.”

#2 – Bauland, Dienstbarkeit, Bayerische Verfassung

Die Marktgemeinde Schliersee, die das Vorhaben von Anfang an begleitet hat, hat im vergangenen November die Schlösser- und Seenverwaltung um eine Löschung eines “eingetragenen Bauverbots” (Quelle: Pressestelle Schlösserverwaltung) gebeten. Hintergrund?

Ein Uferstreifen, gleich um die Ecke vom Biergarten. Der ist in den Planungen schon überbaut worden, wie der Parkplatz nebendran auch. Doch beide sind genehmigungspflichtig. Der Uferabschnitt ist verfassungsrechtlich geschützt, also kein Bauland. An Seeufern in Bayern gilt grundsätzlich ein Bauverbot, um den “freien und ungehinderten Zugang zu öffentlichen Seeanlagen” (Quelle: Bayerische Verfassung) zu erhalten.

Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung legt Veto ein

Deswegen erteilte die Bayerische Schlösserverwaltung der Forderung der Gemeinde Schliersee vor einigen Wochen eine Absage. Die Architekten der Familie de Alwis passten den Entwurf entsprechend an, ohne den Grund groß zu thematisieren.

Auch der Parkplatz, der in der Planung der Bauherren bereits eingerechnet wurde, ist kein Bauland. Die Argumentation der Hotel-Planer, dass der Parkplatz “mit eingetragener Dienstbarkeit” an sie gebunden sei und “somit nutzlos für die Gemeinde”, ist etwas verkürzt.

Ein offener Brief eines Wirtschaftsprüfers, der der Redaktion vorliegt, erklärt dazu: Aus einer Grunddienstbarkeit könne man gar kein Baurecht ableiten. Sprich: Der Parkplatz ist aktuell “kein Bauland” und vor der Beplanung müsse die Gemeinde einen Erbpachtvertrag mit dem Bauherrn schließen und stellt die Reihenfolge klar; “Die logische und erforderliche Reihenfolge lautet ‘erst Bauland’ und dann ‘Baugenehmigung’.”

Randnotiz

Es sind vor allem baufachliche Fragen, die stutzig machen. Doch weil es hier um grundlegende Fragen geht, die einer Baugenehmigung entgegenstehen, wirkt der Prozess stellenweise übereilt, nahezu amateurhaft. Klar, Schliersee kann ein modernes Hotel gebrauchen. Und: Lieber eine engagierte Familie als eine unsichtbare Investorentruppe. Aber dann in der richtigen Reihenfolge.

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