Unwetter haben eine unheimliche Anziehung auf den Menschen. Wenn eine solche Naturgewalt über das Tal zieht, richten sich ehrfürchtige Blicke gen Himmel. Einer, der diese Faszination nicht nur teilt, sondern den Unwettern sogar nachjagt, ist Michael Hutter.
Der Ende 20-Jährige ist ein sogenannter „Sturmjäger“. Jemand, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Unwetter auszumachen, zu verfolgen, zu beobachten und schließlich per Schnappschuss festzuhalten. Im Gespräch mit der TS spricht er über die Aufgaben der „Unwetter-Freaks“, warum der Landkreis Miesbach für Sturmjäger deutschlandweit so interessant ist und vieles mehr.
Im Auge des Sturms
Zu Beginn erklärt Hutter, wer die Unwetter Freaks eigentlich sind: „Wir sind ein Kollektiv aus Sturmjägern und haben uns ab etwa 2016 organisiert. Das war davor ein relativ loser, zusammengewürfelter Haufen.“ Das Ziel der Gruppe sei letztendlich, das gesammelte Wissen zu nutzen, um die schwersten Wetterereignisse in Europa zu dokumentieren und:
Das Wissen dann einerseits für sich selbst zu nutzen und andererseits eben zum Beispiel den Behörden – also Wetterbehörden oder Meteorologen – zur Verfügung zu stellen.
Die 13-köpfige Truppe ist dabei nicht nur in Bayern unterwegs. „Unsere Gruppe hat im Grunde gar keine Grenzen“, bemerkt Hutter. Ihre Hauptaktivitäten würden jedoch in Bayern, Baden-Württemberg, Frankreich, Österreich, Norditalien und Tschechien stattfinden. Manchmal verschlage es die Sturmjäger auch nach Ungarn, Kroatien oder Polen. Hutter sagt aber weiter:
Teilweise sind wir dann auch tatsächlich in den USA unterwegs. Also in der Tornado Alley, wo es eben die schwersten Unwetter der Welt gibt.
Dieser Bereich im mittleren Westen der USA habe eine starke Faszination bei Hutter und seinen Kollegen ausgelöst. „Weil, ich sage es mal so: Die Unwetter in Europa sind sehr ordentlich, aber nicht vergleichbar mit der Intensität, die man in den USA beobachten kann“, so Hutter – „Quasi die Creme de la Creme auf dem Planeten.“
Die Faszination für Naturgewalten erklärt Hutter im Laufe des Gesprächs sehr schnell. „Das ist so einer der einzigen Aspekte im Leben von einem Menschen, der niemals kontrollierbar sein wird“, sagt der Sturmjäger. „Da wirkt schon eine gewisse Faszination, dass man einfach diese unkontrollierbare Naturgewalt vor sich hat.“
So entstehen unvergleichbare Eindrücke. Hutter erzählt von dem Wunder einer dynamischen Wetterlage bei einer rotierenden Gewitterwolke. „Da spielen dann Punkte wie Farbe, Wolken, Struktur eine große Rolle.“ Man könne das Erlebte gar nicht so beschreiben, dass man es verstehe.
Vorbereitung ist alles
Angesichts der Unkontrollierbarkeit und zerstörerischen Kraft eines Sturms, drängt sich natürlich die Frage auf, ob das Sturmjagen nicht eine große Gefahr für den Fotografen birgt. Laut Hutter habe das viel mit Erfahrung zu tun: „Wenn man als unerfahrener Sturmjäger sofort meint, man muss jetzt in die Vollen gehen, muss jetzt wirklich gleich voll drauflosfahren – dann ja, dann kann es gefährlich werden.“
Besonders Tornados seien nicht zu unterschätzen. Hutter erzählt in diesem Zusammenhang von einem Tornado an der österreichisch-tschechischen Grenze. Der habe vergangenes Jahr Todesopfer gefordert. „Wenn man sich da überlegt, dass da möglicherweise ein unerfahrener Sturmjäger dabei ist, der noch nicht einschätzen kann, wie sich ein Tornado verhält …“, malt sich der Unwetter-Freak aus.
Das Essenziellste am Sturmjagen sei die Vorbereitung, erklärt er – “man kann nicht einfach rausfahren und meinen, man erwischt dann sofort etwas Fotogenes.” Außerdem sollte man am besten nie alleine unterwegs sein. Das wichtigste Instrument für das Hobby sei übrigens das Smartphone. “Weil man so das Wetterradar im Auge behalten kann.”
Keine Tornados, dafür Fallböen
In unseren Breitengraden sind Tornados zwar die Ausnahme, aufpassen sollte man trotzdem. Hutter warnt: „Bei uns gibt es sogenannte Down Bursts. Das sind starke Gewitter-Fallböen“, d ie auch Tornado-Stärke erreichen können. Gleichzusetzen mit den Pirouetten-drehenden Stürmen sind sie jedoch nicht, sagt Hutter. Fallböen seien herabstürzende Luft, die sich am Boden ausbreitet – und keine Seltenheit im Landkreis Miesbach. Hutter weiß:
Das ist in Bayern sehr, sehr häufig und vor allem dann, wenn wieder mal eine Superzelle bei uns durchzieht.
Superzellen, die Königinnen der Gewitterwolken, zeichnen sich oft durch einen rotierenden Wirbel in der Wolke aus und sorgen für die gefährlichsten Gewitter. Laut den Unwetter Freaks seien die auch keine Seltenheit in unserer Region:
Ja, der Landkreis Miesbach gehört im Grunde für uns zu einem der interessantesten im ganzen Land. Im Grunde gibt es ganz wenig Landkreise im Land, die derart anfällig für extreme Unwetter sind, wie Miesbach.
Besonders in den letzten Jahren zogen vermehrt heftige Stürme über den Landkreis, so auch im Sommer 2021. Für die damaligen Unwetter sei eine Superzelle verantwortlich gewesen. „Die meisten Straßen waren überflutet und Scheiben wurden vom Hagel eingeschlagen“, berichtet Hutter und macht deutlich: „Also der Landkreis ist auf jeden Fall kein allzu sicheres Pflaster, was Gewitter-Sicherheit angeht.“
Gebirge: Katalysator für Stürme
Die vielen Gewitter entstehen vor allem aufgrund der Nähe zu den Alpen. Man müsse sich das so vorstellen: „Wenn der Wind aus Süden über die Alpen kommt, bildet sich auf der gegenüberliegenden Seite im Lee ein Tiefdruckgebiet.“ Das seien dann richtige Gewitter-Tiefs. Damit eine Superzelle daraus wachsen kann, sind zwei Umstände wichtig: einerseits die explosive Windmasse und andererseits die Windscherung.
„Bei uns sind eigentlich die Alpen die einzige Region im kompletten Land, wo sich das so intensiv ausbilden kann, dass sich dann der Wind am Boden anders verhält als in der Höhe. Das heißt, man hat einen richtigen Wirbeleffekt, die Gewitterwolken beginnen zu rotieren und es entsteht eine Superzelle“, führt Hutter aus.
Diese Superzellen haben daraufhin gar nicht so viele Optionen. Sie können entweder den Alpenrand entlangziehen, dann wird es unseren Landkreis treffen, oder sie ziehen ein bisschen weiter nördlich. Dann treffe es laut Hutter eher die Region um Holzkirchen, Sauerlach oder Weilheim – manchmal sogar München.
Die größte Gefahr
Auf die Frage hin, welcher Sturm sein bisheriges Highlight war, gibt er zu: „Das ist schwierig, zu beantworten.“ Letztes Jahr habe es viele Highlights gegeben. „2021 war das extremste, was wir in knapp 15 Jahren erlebt haben.” Kurz danach erzählt er von einem Sturm in Tschechien, den er verfolgte:
Das hat so eine unglaubliche Wolkenstruktur gehabt, das kann man sich gar nicht vorstellen. Das Ganze hat auch am Boden geschliffen, also war es kurz davor, dass sich wieder ein starker Tornado bildet.
Hutter und sein Team standen dort knapp 15 Kilometer außerhalb dieser Superzelle. Eine waghalsige Aktion. Denn Superzellen sind nicht wie andere Gewitter. Diese Gewitter spucken Blitze auch außerhalb der Gewitterwolke. Hutter erzählt: „Das heißt, man steht komplett im Trockenen, nichts passiert, man hört ab und an mal ein bisschen Grollen und plötzlich schlägt 50 Meter neben dir ein Blitz ein.“
Genau das passierte Hutter 2021. Im Nachhinein sagt er: „Das war dann sehr überraschend – und auch sehr gefährlich.“ Seit diesem Erlebnis stellte sich eine gewisse Vorsicht bei Hutter ein. Das verfolge ihn bis heute, er sei mittlerweile viel vorsichtiger geworden. Vom Sturmjagen hält ihn dieses Erlebnis aber nicht ab.
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