Schreiben ist gefährlich

Wer Pilot oder Fluglotse werden will, der muss sich umfangreichen Tests stellen. 90 Prozent der Bewerber sollen bei den Eignungstests der Lufthansa durchfallen. Und bei tausend Bewerbern, die sich im Gesundheitscheck einem Gehirnscreening unterziehen, sollen zwei dabei sein, bei denen man einen Gehirntumor feststellt – ist zumindest von Insidern zu erfahren.

Das ist hart, denn wer will schon vor der Zeit in seine Zukunft blicken. Doch die Sicherheit von Menschen fordert diesen Tribut von den Bewerbern.

Es gibt auch Studiengänge, die mit frustrierenden Selektionstests beginnen, deren Motivation unklar ist. Physikstudenten treten im ersten Semester voller Hoffnung an und erfahren von den Dozenten zur Begrüßung, dass ohnehin mehr als die Hälfte der Studenten die Tests im ersten Semester nicht bestehen. Warum die Hürden so hoch sind, versteht niemand, denn immerhin braucht das Land der Dichter und Denker Naturwissenschaftler.

Chefs oder andere Herausforderungen

Für Dichter oder besser, die Berufsgruppe der Schriftsteller, gibt es keine Eignungstests – abgesehen davon, dass es nicht mal eine Ausbildung gibt. Man könnte sagen, dass dieser Berufsstand völlig sich selbst und den Gesetzen des freien Marktes überlassen ist, auch wenn Gesetzestexte und Verbandsempfehlungen anderes suggerieren.

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Auf die tatsächlichen Herausforderungen, die Schriftsteller im Berufsleben erwarten, bereitet einen keiner mit Eignungstests vor. Die ergeben sich aus dem Berufsleben selbst. Das erfuhr ich, als mich ein Programmdirektor, da er Interesse an meinem Romanmanuskript hatte, in sein Büro einlud und mich mit einer kleinen Einführung in die Härten des Berufes empfing: Er machte mich darauf aufmerksam, dass heute sowieso kaum noch einer lese. Nur noch Frauen würden lesen, Männer eigentlich gar nicht mehr.

Das Berufsleben sei so herausfordernd, da bliebe keine Zeit zum Lesen. Als Beweis dafür wies er auf die vielen Buchläden hin, die, wenn nicht gerade ein neuer „Harry Potter“ auf den Ladentisch kommt, aufgeben müssen. Wie viele Buchläden gibt es eigentlich im Tegernseer Tal? Doch damit nicht genug. Das Bildungsniveau sinke immer weiter ab, sodass nur noch Romane mit klarem Aufbau gelesen würden.

Der Lesemarkt verändert sich

Ich hörte staunend zu. Nicht weil diese Informationen mich überraschten. Solches ist seit Jahrzehnten aus den Verlagshäusern, die ebenfalls immer weniger werden, zu hören. Und auf jedes Statement hätte ich mit einem Gegenargument antworten können, in der Richtung, dass die Vertriebswege für Geschriebenes sich ändern, dass ich auf meinen Lesereisen viele Menschen, unter ihnen Buchhändler und Bibliothekare kennengelernt habe, die von ihren Kunden als leidenschaftliche Leser berichten.

Ich hätte ihm von Bibliotheken erzählen können, die besonders unter den männlichen Lesern in mittleren Jahren Zuwächse verzeichnen. Und ich hätte berichten können, wie gierig in Krankenhäusern und Pflegeheimen Menschen, die selbst nicht mehr lesen können, darauf warten, dass ihnen jemand vorliest und vieles mehr. Kurz und gut: Der Markt verändert sich, aber er verschwindet nicht einfach und die Menschen lieben gute, unterhaltsame Geschichten mit Anspruch und wenn sie als Filmen in den Kinos daherkommen.

All das, war ich im Moment des Gesprächs nicht in der Lage zu sagen. Immerhin erklärte mir gerade jemand, der Interesse an meinem Manuskript bekundete, dass Schriftsteller komplett überflüssig seien. Ich verstand die Welt nicht mehr, auch wenn ich es gewöhnt war, mich mit meine Figuren auf Reisen in Erlebniswelten zu begeben, die mir selbst bizarr erschienen.

Eignungstests und Bewältigungsstrategien

Sollte man nicht angesichts solcher Erlebnisse, die wohl viele Schriftsteller irgendwann im Laufe ihres Berufslebens unvorbereitet treffen, Eignungstests für diese Berufsgruppe einführen und ihre Frustrationstoleranz sowie Stressresistenz prüfen?

Sie darauf hinweisen, dass sie in solchen Situationen die Kopfhörer ihres Smartphones ins Ohr stöpseln oder besser, noch mindestens drei Berufe im Hintergrund haben sollten? Bevor ich über weiteren Gedanken verrückt wurde, rezensierte ich anschließend in einem Café bei einem Espresso seine kleine Rede und kam zu dem Schluss: Vermutlich meinte er nicht, was er sagte. Vermutlich sagte er all das nur, weil er etwas anderes meinte.

Ich eignete mich offensichtlich für den Beruf des Schriftstellers, hatte ich doch eine Bewältigungsstrategie gefunden. Erleichtert bestellte ich mir noch einen Espresso und notierte mir Ideen für einen Krimi in dem der Leiter eines Verlages unter mysteriösen Umständen verschwindet …

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