Scheitern der Energieträume - in einer Sitzung
‘Seegut’-Spezialisten können nicht überzeugen

Seethermie – Energie aus den Tiefen des Tegernsees. Klingt verlockend. Will das Hotel ‘Seegut’ für sich nutzen. Geht das auch für Bad Wiessee? Eher nicht. Über einen symptomatisch enttäuschenden Abend …

Die Pläne für das Seegut. / Quelle: Seegut am Tegernsee Holding GmbH

Einer ist Professor an der TU, der andere Ingenieur. Gemeinsam stellten sie vor zwei Wochen im Wiesseer Gemeinderat ihre Ideen zur Seethermie vor. Werner Schenk von der FH in München und Wolfgang Spiegl wollten die Ratsvertreter von einer innovativen Energieversorgung überzeugen, welches aktuell nur das Hotelprojekt ‘Seegut’ angedacht ist. Der Abend lief wenig erfolgreich.

Spätestens seit dem Überfall der Russen auf die Ukraine ist selbst dem Dümmsten klar: Wir dürfen keine Energie-Geisel autoritärer Staaten sein. Da kommt das Hotel-Projekt ‘Seegut’ des Milliardärs Strüngmann und seiner Firma Athos in Bad Wiessee gerade recht. Der will seine Häuser und Wellness-Bereiche mit einem einfachen, aber spektakuläre modernen Energie-Verfahren versorgen: Seethermie. Funktioniert so: Das Prinzip der Seethermie basiert auf der Entnahme von Wärmeenergie aus dem Seewasser aus einer Tiefe von 20 bis 40 Metern. Eine Wärmepumpe erhöht die Temperatur des Wassers auf 40 bis 65 Grad Celsius, bevor die Wärme über einen separaten Kreislauf in die Häuser gelangt. So ist es im Winter, im Sommer kann es mit dem gleichen Verfahren die Gebäude kühlen. Läuft bereits in der Schweiz und versuchsweise auch am Bodensee.

Alle waren begeistert, als diese Energiegewinnung vor gut einem Jahr, noch vor ‘Seegut’-Baubeginn, in Bad Wiessee vom Münchner Ingenieurbüro Spiegl vorgestellt wurde. 25 Häuser aufgeteilt mit aktuell bis zu 85 Zimmern sollen mit modernster Technik energetisch versorgt werden: durch Tegernsee-Wasser, das thermisch genutzt wird. Der Strom für die Gewinnung hole man sich aus den Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern der Anlage. 2500 Tonnen CO-2 können so eingespart werden, warb man zuversichtlich. Und mehr noch: Wie in der Schweiz könne man womöglich alle Gemeinden um den See herum mit sauberer Energie versorgen. Man müsse nur die Kraft des Tegernsees richtig nutzen. Was die Schweiz kann, dürften wir doch mit Leichtigkeit hinbekommen.

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Dann fragte man beim örtlichen E-Werk in Tegernsee nach und erntete nur ein lakonisches Schulterzucken. Ihre Fragen waren eher spaßbremsig: Wie groß ist der Stromeinsatz für die Wärmepumpe? Über welche Leitungen gelangt das Wasser zu privaten Haushalten? Wer bezahlt das? Kurz: Beim Versorger man weniger begeistert. War das nur Angst vor einem potenziellen Versorger-Konkurrenten? Die Begeisterung der beiden Experten sprang im Gemeinderat nicht so richtig über. 18 Megawatt Leistung könne man aus dem Tegernsee ziehen, so Spiegl. Vielleicht etwas mehr. Spiegl schätzte es auf bis 32, das müsse man aber noch einmal genauer berechnen. Hoppala?

Der Energiebedarf des Hotelprojekts liegt wohl bei 2,5 Megawatt. Theoretisch könne das Rest-Potenzial dann in die Gemeinde an private Haushalte gehen. Aber wenn schon das Hotelprojekt so viel Energie benötige, was bleibt denn dann für die Restbürger übrig? Jetzt wurde klar: Von einer talweiten Versorgung war keine Rede mehr. Der See gibt das wohl einfach nicht her. Selbst für die Gemeinde Bad Wiessee wird es eng. Und die dazu benötigten Wärmepumpen, sowie die Energie für den Transport, benötigen Strom. Auch das wurde nicht thematisiert. Hier schüttelten schon die ersten Ratsmitglieder den Kopf.

Und die dafür aufzubauende Infrastruktur? Straßen müssen aufgerissen werden. Bürgermeister Robert Kühn winkte ab. “Das ist definitiv kein Projekt für die Kommune.” Wer sich daran beteiligen wolle, könne das eigenverantwortlich tun. Dezentral – bitte gern – aber nicht eine neue Energie-Infrastruktur für den ohnehin baustellengeplagten Ort. Und hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Ein kommunales Versorgungsprojekt braucht viele Abnehmer, damit sich Millioneninvestitionen auch rechnen. Sonst ist es Liebhaberei. Einen Lichtblick gab es: Wenn dann einmal die Entscheidung über das interkommunale Hallenbad für den Tegernsee getroffen wird, könnte es vielleicht mitversorgt werden, erklärte Bürgermeister Robert Kühn. Das will man andernorts auch. So wie man es auch am deutlich größeren Bodensee vorsieht: In Bregenz sollen bereits ab 2025 das Hallenbad und das Festspielhaus mit Seewasser beheizt werden.

Am Ende brachte es ein Ratsmitglied etwas spitz auf den Punkt: Hier schafft sich ein Milliardär seine saubere Energie aus dem Tegernsee, weil er es finanziell kann. Für den Normalbürger ist das nicht zu machen. Grundsätzlich kann zwar jedermann seinen “Rüssel” in den See stecken und einen Antrag auf die Nutzung des Seewassers zur Energiegewinnung stellen. Praktisch wird es wohl eine Spielerei eines Hotelbesitzers bleiben. Aber auch der kämpft aktuell mit Genehmigungsverfahren auf allen Ebenen. Das Projekt war als Adler gestartet und als Suppenhuhn im kalten Wasser der Realität an diesem Abend gelandet.

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