Social Media spielt längst in vielen Redaktionen eine herausragende Rolle – bei Blogs und Internetzeitungen sowieso. In vielen Kommunen sträubt man sich allerdings noch und vergibt gute Chancen, um für die Gemeinde zu werben und mit den Bürgern im Kontakt zu stehen.
Zahlreiche Städte und Gemeinden in Baden-Württemberg betreiben eine eigene Facebook-Fanseite. Auch die Stadt Weinheim. Da es in der Vergangenheit zu “Zensurvorwürfen” auf der Facebook-Seite kam, haben die Kollegen unseres istlokal.de-Partners Weinheimblog mit dem Pressesprecher der Stadt, Roland Kern, über das Konzept sowie die Ziele und Richtlinien des FB-Auftritts gesprochen. Ein freundlicher Hinweis an Verwaltungen, wie man erfolgreich mit sozialen Medien umgeht.
“Die Kanäle bespielen, die sich mir bieten”
Herr Kern, die Stadt Weinheim betreibt seit einiger Zeit eine Facebook-Präsenz. Wann fiel die Entscheidung dafür und nach welchen Kriterien fiel der Aufbau der Seite aus?
Roland Kern: Die Entscheidung fiel vor etwa drei Jahren. Als Journalist und Pressesprecher beschäftigte ich mich naturgemäß mit dem Medienverhalten der Gesellschaft. Und in der täglichen Pressearbeit spürte ich immer mehr, dass ich über die klassische Pressearbeit, die sich überwiegend an Zeitungen richtet, immer mehr Menschen nicht mehr erreichen kann, weil diese traditionellen Medien dort nicht gegenwärtig sind.
Es gibt Altersgruppen, die lesen keine oder nur wenig Zeitung. Als Pressesprecher muss man heute die Kanäle bespielen, die sich einem bieten. Ich hatte das Glück, mich in Weinheim von Anfang an auf einen professionellen Social Media-Berater, Marco Ripanti, verlassen zu können.
Er hatte die Seite schon lange bevor Pressestellen auf den Trichter kamen, gegründet. Er hat sie uns übergeben, aber er steht nach wie vor an meiner Seite – und macht das ehrenamtlich, ich sage immer „als bekennender Weinheimer“. Ein Glücksfall.
Der Betrieb einer solchen Seite braucht sicherlich Ressourcen. Wer arbeitet gegenwärtig an der Seite mit oder verfügt die Stadt sogar über einen Social Media Redakteur?
Kern: Nein, die Stadt bewältigt das mit eigenen „Bordmitteln“. Wir haben ein Facebook-Team gegründet, in dem ich große Unterstützung vom Kulturbüro und vom Stadt- und Tourismusmarketing finde. Aber natürlich ist der Aufwand groß. Mein Facebook-Admin-Tag beginnt morgens um 7 Uhr und endet, wenn ich ins Bett gehe – auch am Wochenende. Eine kommunale Facebook-Seite darf nie lange unmoderiert bleiben, sonst kann was schiefgehen.
“Es geht um die direkte Kommunikation mit den Bürgern”
Welches Konzept steckt hinter dem Angebot? Welche Ziele hat man sich gesteckt?
Kern: Das Konzept war anfangs sehr stark auf Stadt- und Veranstaltungsmarketing ausgerichtet. Wir wollen immer noch Menschen auf Weinheim und seine Attraktionen aufmerksam machen und dafür begeistern. Das ist ein Schwerpunkt geblieben. Mit mittlerweile rund 5300 Fans hat sich die Aufgabe allerdings erweitert; es geht jetzt noch mehr um die direkte Kommunikation mit den Bürgern der Stadt.
Sie melden sich eifrig, um Beschwerden, Tipps und Anregungen loszuwerden. Das erhöht den Reiz – aber auch den Aufwand. Aber wir leisten ihn gerne. Eine unkompliziertere Bürgerbeteiligung gibt es im Moment nicht. Wir versuchen, die Seite täglich zu erneuern, auch um möglichst viel Interaktion zu generieren. Unsere Seite wird mit Leben erweckt unter im Wesentlichen drei Aspekten: Interaktivität, Originalität und Aktualität. Bis jetzt klappt das gut. Im neuesten Pluragraph-Ranking liegen wir in Baden-Württemberg ziemlich weit vorne. Siehe: https://pluragraph.de/categories/baden-wuerttemberg
Im Zuge des jüngsten Zensurvorwurfs stellt sich die Frage, nach welchen inhaltlichen Kriterien auf der Seite gearbeitet wird. Gibt es redaktionelle Richtlinien? Wann wird ein Beitrag beispielsweise nicht freigeschaltet? Welche Links sind erlaubt?
Kern: Die „Zensurvorwürfe“ haben sich schon am nächsten Tag in Wohlgefallen aufgelöst, das wissen Sie. Es gibt redaktionelle Richtlinien, die für jeden transparent in einem Impressum erläutert sind. Die Posts und Kommentare müssen den Regeln des anständigen Miteinanders entsprechen und in Form, Länge und Niveau für die Community zumutbar sein. Wir löschen so gut wie nie Kommentare, außer wenn einer gar nicht zumutbar ist. Die meisten unserer „Fans“ pflegen im Allgemeinen eine Kommunikation auf einem erfreulich hohen Niveau. Flegeleien, Frechheiten oder andere niveaulose Auslassungen haben da definitiv nichts zu suchen.
Ich fühle mich da gegenüber der Community auch verpflichtet. Ein Facebook-Administrator ist nach meiner Erfahrung als Moderator mit Fingerspitzengefühl gefragt. Aber ich kann Sie beruhigen, in jetzt fast drei Jahren Facebook mussten wir bislang etwa ein halbes Dutzen Kommentare löschen, mehr nicht.
Eine Kommunikationsplattform, keine Einbahnstraße!
Wie sieht das Selbstverständnis beim Betrieb der Seite aus. Ist es ein Sprachorgan der Stadtverwaltung oder des Gemeinderats?
Kern: Aus den Antworten zum Konzept – Stadtmarketing und direkte Bürgerkommunikation – sehen Sie, dass sich die Seite im Wesentlichen auf die Aktivitäten der Stadtverwaltung und ihrer Partner konzentriert – und das in möglichst direkter Interaktion mit den Bürgern. Aber wir klammern die Kommunalpolitik nicht aus; schließlich betrifft sie viele Menschen sehr direkt. Ich poste ja auch neueste Nachrichten aus Gemeinderatssitzungen. Einige Mitglieder des Gemeinderates sind Fans unserer Seite; sie sind als Mitglieder der Community herzlich eingeladen, die Kommunikation zu bereichern.
Meistens tun sie das auch. Allerdings sind sie gleichberechtigt zu allen anderen Community-Mitgliedern und an die Regeln gebunden. Wie das Admin-Team übrigens auch. Allerdings habe ich ein Problem mit dem Wort „Sprachorgan“. Das ist eine Facebook-Seite mitnichten. Im Web 2.0 gibt es kein Sprachorgan! Wir sind eine Kommunikationsplattform, ein Soziales Netzwerk – keine Einbahnstraße!
Facebook-Fanseiten sind ein Mittel zum Dialog. Aber gerade deshalb eben nicht immer gern gesehen, weil sich die Kommunikation schwerlich kontrollieren lässt und die Stadt oder ihre Mitarbeiter auch verbal attackiert werden können. Wie stehen die städtischen Mitarbeiter zum Angebot? Gibt es Vorbehalte?
Kern: Die gibt es sicher, und die respektiere ich auch. Aber eine moderne Kommune, die modern kommunizieren will, kommt an dem Medium eben nicht mehr vorbei. Wir wollen auch nicht kontrollieren, sondern moderieren, das entspricht dem Medium viel eher.
Und das Gegenteil stimmt: Wenn unsere Mitarbeiter verbal attackiert werden, können wir sie schützen. Wenn wir nicht bei Facebook aktiv wären, könnten wir es nicht. Ich könnte eine Vielzahl von Beispielen nennen, bei der wir „Attacken“ auf die Stadtverwaltung mit Argumenten und Sachlichkeit umdrehen konnten.
Wie sehen Sie selbst den Aufwand: Spart der Betrieb Zeit & Geld für die Stadt und bietet Vorteile? Oder ist es nur ein nebenher laufendes Projekt? Welcher Zeitaufwand steckt für Sie dahinter?
Kern: Die Vorteile liegen auf der Hand – ich habe sie erläutert. Geld spart Facebook nicht, aber es kostet auch keines – und das bei einer deutlich verbesserten Kommunikation. Der Zeitaufwand ist beträchtlich, wenn man es gut machen will. Meine reguläre Arbeitszeit reicht dafür schon eine Weile nicht mehr aus.
“Es wird zu Recht erwartet, dass eine Gemeinde bei Social Media mitmacht.”
Natürlich sehen auch die Bürger die Seite. Wie sieht das Feedback hier aus? Betrachten es diese als zusätzliches Informationsangebot oder eher als “Sprachorgan der Gemeinde”?
Kern: Zum Begriff „Sprachorgan“ habe ich mich ja schon geäußert. Die Bürger schätzen die Seite außerordentlich, was sich ja schon an der außergewöhnlich hohen Zahl der „Likes“ festmachen lässt. Es wird zu Recht erwartet, dass eine Gemeinde mitmacht.
Wir können das Rad nicht zurückdrehen. Neulich hatte ein Bürger eine Anfrage, ich hab’ sie abends um 22 Uhr noch gesehen, kannte mich in dem Thema aus und habe gleich geantwortet. Am nächsten Morgen kam die Rückmeldung: „Sensationell!“ Das tut gut.
Dürfen Gemeinderäte auch außerhalb der normalen Richtlinien Beiträge kommentieren, oder werden diese ebenso moderiert?
Kern: Gemeinderäte sind auch ganz normale Menschen und Bürger dieser Stadt. Sie dürfen genau das Gleiche wie alle anderen auch. Ich würde sagen, eher ein bisschen mehr.
Wie sieht die Zukunft der Facebook-Fanseite der Stadt Weinheim aus? Planen Sie Veränderungen für die Zukunft?
Kern: Im Moment sind wir ganz gut aufgestellt, und Facebook selbst stellt uns immer neue Aufgaben, die wir zu lösen versuchen. Das ist spannend genug. Wir beobachten natürlich auch mit Interesse andere Soziale Medien. Spannend wird es auch, Seiten von Partnern aus der Stadt sinnvoll einzubinden, so dass alles etwas davon haben.
“Wir gehen voran”
Stichwort Zukunft: Wie stehen andere Städte und Gemeinden zu der doch sehr erfolgreichen Fanpage der Stadt Weinheim. Sucht man hier den Erfahrungsaustausch oder steht man dem kritisch gegenüber?
Kern: Nein, das ist sehr kollegial. Wir sind stolz darauf, in der Region als „Best practice“ zu gelten. Die Kollegen aus Bensheim waren schon früh da, um uns über die Schulter zu schauen. Wir sind gleich Mitglied geworden in der AG Soziale Medien des Städtetages Baden-Württemberg, und wir haben jetzt erst bei der Tagung der Presseamtsleiter bei dem Thema mitgeredet. Der Austausch ist immer sehr befruchtend. Die Kommunen machen sich auf, Weinheim gehört zu denen, die vorausgehen.
Interview: Christian Mühlbauer
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