Eigentlich geht man am Ostufer – in der Hagn-Ära – höflich miteinander um. Ärger gibt es kaum. Doch dann? Marcus Staudacher (Grüne) kündigt am Freitag seinen Job als Radfahrbeauftragter. Per Mail. Seine Begründung?
Vielleicht nur eine Kleinigkeit. Aber doch zeigt es den lang angestauten Frust eines Tegernseer Stadtratsmitglied. Staudacher fühlt sich ausgeschlossen, nicht ernst genommen in seiner Bemühung, Tegernsee den Weg zu einem “echten” Radweg zu weisen. Zum Hintergrund: Die Stadt hat ein Ingenieursbüro aus München damit beauftragt, die Situation vor Ort zu analysieren. Dann soll sie Vorschläge erarbeiten, die im Gemeinderat diskutiert und entschieden werden können. So geschah es. Oder etwa nicht?
Marcus Staudacher, grünes Mitglied im Stadtrat, schmeißt jetzt hin. Er schickt eine Kündigungsemail an Johannes Hagn, Bürgermeister von Tegernsee: “Ich wollte euch nur mitteilen, dass ich als ‚Radverkehrsbeauftragter der Stadt Tegernsee‘ zurücktrete, …”
Er sei, so Staudacher, bei einer Ortsbegehung mit dem Ingenieurbüro nicht eingeladen worden. Dort hätten die Planer aber neue Vorgaben bekommen. Er zählt auf: “Beidseitiger Schutzstreifen, Priorisierung bergseitig, tunlichster Erhalt der Parkplätze, Seitenraum möglichst unangetastet lassen. Alles Vorgaben, die einem ‚echten‘, baulich abgetrennten Radweg seeseitig entgegenstehen.”
Die fragliche E-Mail:
Servus Hans, servus Michael,
ich wollte euch nur mitteilen, dass ich als ‚Radverkehrsbeauftragter der Stadt Tegernsee‘ zurücktrete, weil Thomas Mandl und ich in die letzten Planungen nicht mehr eingebunden wurden. Bei einem Telefonat mit Herrn Ignatow berichtete mir dieser, dass es eine weitere Ortsbegehung geben würde und ich gerne mitkommen solle. Dies war von eurer Seite offensichtlich nicht erwünscht und so wurde ich nicht eingeladen. Bei dieser Ortsbesichtigung wurden dann offensichtlich die neuen Vorgaben an den Planer gemacht: Beidseitiger Schutzstreifen, Priorisierung bergseitig, tunlichster Erhalt derParkplätze, Seitenraum mögl. unangetastet lassen.
Alles Vorgaben, die einem ‚echten‘, baulich abgetrennten Radweg seeseitig entgegenstehen. Daraus ergeben sich dann die gewundenen Begründungen des ‚Vorentwurfs Radverkehrsanlage OD Tegernsee‘, wie zB: „Eine Reduzierung der Gehwegbreiten auf Kosten der Radverkehrsanlage oder ein möglicher Entfall der Parkplätze werden aufgrund der erforderlichen Bewegungsflächen im Geschäftsbereich nicht empfohlen.“ Weiter heißt es: „Da auf die Längsparkplätze….aufgrund der anliegenden Geschäfte nicht verzichtet werden kann, …“ Wer sagt das? Wessen Meinung ist das? Das sind keine allgemein gültigen Weisheiten! Gebummelt wird gerne in Fußgängerzonen, je höher die Aufenthaltsqualität, desto mehr Publikumsverkehr … an reinen Durchfahrtsstraßen hält sich niemand gerne auf, Kofferraumkunden erhöhen die Attraktivität nicht!
Auch die Aussage vom zweiten Bürgermeister Bourjau, dass noch mehr Parkplätze entfallen, wenn das Horngrundstück bebaut wird, spiegelt nur seine Vorstellungen: Die Fraktion der Grünen will dort ein zweistöckiges Parkhaus mit Wohnungen on top, womit die entfallenen Längsparkplätze kompensiert wären. Offensichtlich gibt es auch keine Bereitschaft, Geld zur Verbesserung des Radverkehrs in die Hand zu nehmen: „… Allerdings würden dafür enorme Umbauten an den aufwendig hergestellten Oberflächen anfallen und zudem Längsparkplätze entfallen.“ Die Stadt Tegernsee kauft ein Haus nach dem anderen, aber der Umbau ‚hochwertiger Oberflächen‘ zugunsten einer Stärkung
des Radverkehrs kommt nicht infrage!
Irritierend auch die Aussage: “Durch die zusätzlichen Ortsbegehungen, der Rücksprache mit der Verwaltung und den Anregungen des Stadtrats wurde … angeregt, eine Radwegführung von Süden nach Norden zu priorisieren.” Das heißt, Herr Hagn, Frau Koch (Verwaltung) und Herr Bourjau (Stadtrat) haben dem Planer diese Vorgaben mit auf den Weg gegeben! Herr Ignatow hat auf Nachfrage von Thomas Mandl selbst zugegeben, dass er ohne diese Maßgaben die Längsparkplätze aufgegeben hätte und einen seeseitigen Radweg bevorzugt hätte! Eine ‚Anregung des Stadtrats‘ wäre auch gewesen, einen abgesetzten Radweg seeseitig zu planen … nur halt aus der falschen Fraktion. Ich akzeptiere natürlich den Mehrheitsbeschluss, möchte aber keinen Alibi-Posten ausfüllen und stehe von daher nicht mehr zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Marcus Staudacher
(die Grünen)
Erst am vergangenen Dienstag hatte der Stadtrat das Thema Radwege behandelt. Es wurden diverse Aspekte ausgetauscht. Am Ende war die Mehrheit des Gremiums von einer eher kleinen, aber einheitlichen Lösung überzeugt. Radschutzstreifen mit Piktogrammen, wie man sie aus Bad Wiessee kennt, sollen auf beiden Seiten der Bundesstraße installiert werden. Mit zwölf zu drei Gegenstimmen wurde der Beschluss dazu gefasst. Das war für Staudacher wohl der Tropfen, der sein Fass zum Überlaufen brachte. Staudacher hat schon im März, als das Planungsbüro das erste Mal im Rat erschien, seine Idee von einem “echten” Radweg erklärt. Nur so, sei ein richtiger Ringschluss der Radwege um den See zu erreichen, sei das Fahren für Menschen mit Zweirad sicherer. Allein – er und seine beiden Mitstreiter, Barbara Staudacher (Grüne) und Thomas Mandl (SPD) kamen mit ihren Ideen im Gremium nicht durch.
Staudachers Mail lässt vermuten, dass Hagn und seine Verwaltung hintenrum gemauschelt hätten. Gab es veränderte Vorgaben bei einer Begehung? Was sagt der Bürgermeister dazu? “Es hat keine Begehungen mit Michael Bourjau und mir gegeben. Es gab eine Besprechung mit Frau Koch, Herrn Ignatow (Anmerkung: Planer vom Ingenieurbüro) und mir zur Vorbereitung der Stadtratssitzung. Es gab auch, zumindest von unserer Seite, keine Vorfestlegung auf eine Variante. Die diesbezüglichen Behauptungen entsprechen daher nicht den Tatsachen.” Aber warum bindet man den Radfahrbeauftragten nicht stärker in die Vorbereitung ein?
“Wir haben die Diskussion der letzten Sitzungen vom 5. April 2022 und 7. März 2023 (siehe Protokolle im Bürgerinfosystem) aufgenommen und eine Alternativplanung mit einer von einigen Räten geforderten Lösung (Nord-Süd und Süd-Nord) prüfen lassen. Es ist guter Brauch in unserem Stadtrat, dass alle Argumente seitens der Verwaltung unvoreingenommen dargelegt werden. Nachdem sich Herr Staudacher bereits öffentlich auf eine Variante festgelegt hatte, halte ich es nach wie vor nicht für erforderlich, ihn bei der Vorbereitung der Stadtratssitzung zu beteiligen. Die von ihm favorisierte Variante wurde ja bereits öffentlich vorgestellt.”
Kann man schon so schreiben, ganz nachvollziehbar ist es nicht, dass der Radverkehrsbeauftragte da nicht mit hereingenommen wurde. Und auch nicht ganz die feine Art. Marcus Staudacher, selbst passionierter Mountainbiker, scheint die Diskussion schon am Dienstag mächtig an die Nieren gegangen zu sein. Viele Radler, auch jene, die nicht aus Tegernsee stammen, haben sich vom Rat eine radikalere Lösung gewünscht. Das kann man auch den Kommentaren auf Facebook entnehmen. Warum es die Stadt Tegernsee nicht wie am Gardasee machen, schreiben einige. Da ginge es doch auch.
Am Dienstag in der Sitzung ging es auch um andere Argumente: Tegernsee ist verkehrstechnisch ein schwer zu planendes Terrain. Da laufen zahlreiche, zum Teil gegenläufige Interessen ein und müssen gegeneinander abgewogen werden. Das ist sicher enervierend. Und das Festhalten am Parkraum für SUV vor dem Laden wirkt – in der Tat – rückständig. Nur: Das ist Kommunalpolitik. Marcus Staudacher resigniert: “Ich akzeptiere natürlich den Mehrheitsbeschluss, möchte aber keinen Alibi-Posten ausfüllen.” In einem Stadtrat, der sonst lange, aber meist harmonisch auch komplexe Themen diskutiert, ist so ein Hinwerfen ungewöhnlich.
Vermutlich versteht Johannes Hagn deswegen die Entscheidung des Ratskollegen nicht: “Wenn man den Stadtrat mit seiner Argumentation nicht überzeugen kann, muss man an seinen Argumenten arbeiten.” Er fügt scharf hinzu: “Alternativ wäre es für einen Beauftragten der Stadt nun geboten, seinen Sachverstand einzubringen und für einen möglichst guten Kompromiss zu sorgen. Das Amt aber aufzugeben halte ich zum jetzigen Zeitpunkt, insbesondere aufgrund der guten Diskussion in der letzten Sitzung, weder für richtig noch wäre es notwendig gewesen.”
Bis September 2023 macht der Stadtrat eine Pause. Es bleibt Zeit genug, sich vielleicht noch einmal die ein oder andere Entscheidung durch den Kopf gehen zu lassen. Sich vielleicht nochmal aufeinander zuzubewegen, die Sache aus der Distanz anzusehen. Oder miteinander auf eine Radrunde um den Tegernsee aufzubrechen.
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