Tag der Deutschen Einheit:
Tegernseer Wendekind: “Der Begriff ‘neue Bundesländer’ ist überfällig

Wir haben mit dem 44-jährigen David gesprochen. Er kommt aus Berlin und wohnt seit sieben Jahren am Tegernsee.

David Krug

David Krug lebt seit 2016 mit seiner Familie am Tegernsee. Foto: David Krug

“Ich weiß, wo ich herkomme und das würde ich nicht leugnen,” sagt David, der mit seiner Frau 2014 nach Oberbayern gezogen ist; östlich von München. Ihr eigentlicher Wunsch war immer, dass sie sich am Tegernsee niederlassen, was sie 2016 verwirklichen konnten:  „Wir sind da sehr happy.”

Ich bin ein Berliner

David verbrachte seine Kindheit und Jugend in Berlin. „Ich bin 1978 geboren in der ehemaligen DDR, hatte das Glück in der Hauptstadt Berlin geboren zu sein. Was da immer früher so erzählt wurde, von wegen Mangelwirtschaft, und dass es das nicht gab oder so, da muss, ich ganz ehrlich sagen, das hat sich für mich nicht so dargestellt. Berlin war immer ein Sonderfall, da ging es einem eigentlich ganz gut. Ich bin aber auch von meinem Elternhaus schon immer sehr liberal erzogen worden, meine Schwester und ich“, schildert David sein Leben in der DDR. David hatte auch Westverwandtschaft und seine Familie war regelmäßig zu Besuch im Westen und somit auch in Westberlin unterwegs. David fühlte sich in der DDR an sich „gut behütet“ und möchte auch gar nicht alles „schönreden, doch dann kam die Wende.“ 

Kindheit und Jugend

„So im Nachgang war es dann tatsächlich für mich kompliziert, ich war elf Jahre alt, als die Mauer gefallen ist, und bin 1984 eingeschult worden. Da war ich in der 6. Klasse, das heißt mein Weltbild wurde ja schon geformt ….“.

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David berichtet, dass die Pubertät für ihn eine Herausforderung war. Trotz seiner liberalen Erziehung und seines Wissens, “dass es andere Länder gibt, meine Eltern sind halt gereist und das wusste ich alles, aber es war irgendwie dann komisch.“ Der Mauerfall markierte die magische Wende in seiner Vita: nicht nur baulich.

Ganz spurlos ging die Schulsystemumstellung an David nicht vorbei. Laut seiner Schilderung waren alle überfordert: sowohl die Lehrer als auch die Schülerinnen und Schüler. Das ganze Schulsystem musste von heute auf morgen „komplett geändert“ werden, erklärt er uns. Nach dem Mauerfall im November 1989 herrschte daher in der Schule eine Woche lang „Schockstarre“. Und auch die Lehrer wussten nicht, wie es denn in der Schule weitergehen sollte. Das war für ihn eine schwierige Zeit. 1990 gab es einen Angleich des Schulsystems und David besuchte die 7. Klasse. Für ihn fühlte sich diese Zeit im Rückblick schwer an, denn ich bin ein „Wendekind“, betont er. Diesen Begriff „Wendekind“ gibt es tatsächlich, das ist ihm besonders wichtig und er sagt, dass es sogar ein „Wendekind-Syndrom“ gibt: Alles Kinder, die nicht wussten, wie es weitergeht. 

Nach der Reform wurde die ehemals polytechnische Oberschule zum Gymnasium, sodass David bis zum Abitur auf die gleiche Schule ging. Das neue Staatssystem ist auch für die Lehrer schwierig gewesen. Seine Eltern waren bestrebt, sich in das neue System zu integrieren.  Sein Vater hatte sich selbständig gemacht, seine Mutter war Architektin und beide hatten nach der Wende “schnell gute Jobs gefunden”. Aus heutiger Sicht war es unabdingbar, seinen eigenen Weg zu finden. Das hatten die Wendekinder schnell gelernt.

Wendekind oder Wendekind-Syndrom

Der Begriff Wendekind bezieht sich auf die Jahrgänge 1975-1985, die eine ideologische 180-Grad-Wende in ihrem Leben erfahren haben. Dies bezieht sich vor allem auf das Schulsystem, weil die gleichen Lehrer weiter unterrichteten. Die Wendekinder wuchsen zwischen zwei komplett unterschiedlichen Weltbildern auf.

Der Tag der Deutschen Einheit 

Für David ist der Tag der Deutschen Einheit ein freier Tag bzw. ein freier Arbeitstag. Er erinnert sich zurück an diesen Tag, als er mit seinem Vater “nachts in Berlin zum Platz der Republik” gefahren ist und an die Feierlichkeiten und das Feuerwerk am Brandenburger Tor. “Das weiß ich noch, dass ich da war, aber ansonsten ist der Tag der Deutschen Einheit nur ein freier Tag. Is halt nur ein Datum, jetzt heißt es Bundesrepublik Deutschland und ich sag mal, von der Geografie hat sich wenig verändert, auch das Denken nicht“, führt David aus.

Seiner Meinung nach besteht die Abgrenzung noch in den Köpfen. Der Begriff “neue Bundesländer” ist längst überfällig, denn da sollte man keine Unterschiede mehr machen. Und auf die Frage, was denn typisch DDR ist, antwortet er: „Nicht den Kopf in den Sand stecken, … das ist schon typisch DDR“. 

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