Taskins Liebe am Tegernsee

In unserer Reihe „Originale am See“ sprechen wir mit den unterschiedlichsten Persönlichkeiten vom Tegernseer Tal. Zu diesen Originalen gehört auch Taskin Sarier. Ein Mann, der unter kleinen und großen Fischen grau geworden ist …

Taskin Sarier ist ein “bunter Hund” am Tegernsee / Foto: Bommi Schwierz

Im Tegernseer Bräustüberl sitzen sie alle an einem Tisch: Alt und jung, arm und reich, bekannt und weniger bekannt. Die Faszination der Gegensätze ist es, die wir zusammen mit einer Tegernseer Fotografin in unserer neuen Reihe “Originale am See” festhalten wollen. Heute: Taskin Sarier.

Zur Fotografin des Schwarz-Weiß-Fotos:
Die Tegernseerin Bommi Schwierz ist Juristin und Fotografin. In ihrem Buch “Der Tegernsee und seine Gesichter” hat sie die Menschen im Tal mit ihrer Kamera festgehalten, denen sie ein Denkmal setzen wollte.

Vermutlich gibt es nichts Schöneres für einen Mann, als mit 77 Jahren auf eine Insel mitten im Tegernsee zu blicken, die genau das verkörpert, was ein Gigolo beherrscht: Verführung. Verfügbar, aber auf Distanz. Überwältigend, aber nicht einzufangen. Versehen mit einem solchen Sex-Drive, ohne den es wahrscheinlich 80 Prozent der Menschen rund um den Tegernsee nicht geben würde. Die Rede ist von: der Liebesinsel.

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Taskin Sarier sitzt in der Umkleidekabine der 100 Jahre alten Holzhütte am Ufer des Wiesseer Seerosenstrandes und blickt auf das inzwischen abgeschirmte und zur Schutzzone erklärte Stück Land. Regentropfen fallen auf die Wasseroberfläche. Ununterbrochen schwappen die schäumenden Wellen über die für sie unsichtbare Barriere hinweg. So als würden sie sagen wollen: Liebe kennt keine Grenzen.

Die Gischt schlägt ins Gesicht

Hier, wo sich Einheimische und Gäste seit 30 Jahren treffen, hat auch der 77-jährige Taskin sein Ruderboot liegen – und sein Herz verschenkt. „Wenn ich rasiert bin, schaue ich besser aus“, sagt er lächelnd und rückt seine Brille zurecht. Zwei Zahnreihen blinken auf. Für einen Moment ist man gewillt zu glauben, sie seien weißer als die Schirmmütze, die er auf dem Kopf trägt.

Taskin Sarier an seinem Lieblingsplatz: In der Holzhütte am Seerosenstrand in Bad Wiessee.

Hinter ihm plätschert Welle für Welle unablässsig ans Ufer, während Wort für Wort ununterbrochen aus seinem Mund prasselt. Durch seinen Redefluss hat sich die Gischt wie ein kleiner Film auf seine Lippen gelegt. Nur mit dem Unterschied, dass das weißliche Gemisch an seinem Mund trocken ist.

Für zwei Euro hätte man sich hier früher ein Boot mieten können, erzählt der in Istanbul geborene 77-Jährige. Mit einem Korb voller Wurst und Käse sei man dann zur Liebesinsel hinübergefahren, um den damals streng katholischen Gepflogenheiten davonzuschippern.

Ein Türke in Tegernsee

„80 Prozent der Tegernseer sind auf dieser Insel gezeugt worden“, erinnert sich Taskin und fügt schmunzelnd hinzu: „Deshalb heißt auch jeder zweite Sepp.“ Leider habe man die Insel irgendwann zur Schutzzone erklärt. Seitdem ist das Betreten verboten. „Heutzutage gibt’s keinen Sepp mehr.“

Die Schwingungen der Insel muss der Wind ans Ufer getragen haben. Taskin kam mit 22 Jahren an den Tegernsee. Zunächst besuchte er die einstige Hotelfachschule D. Speiser in der Perronstraße in Tegernsee. Sein zweites Semester verbrachte er in Bad Wiessee.

Die Liebesinsel im Tegernsee.

Hier lernte er seine erste Frau kennen, ebenfalls eine Türkin. Sie arbeitete als Aushilfe in einem Wiesseer Hotel und wurde beim Kartoffelschälen von ihrem Chef beschimpft. Weil sie nichts verstand, fungierte Taskin als Dolmetscher – ein Job, den er auch später bei der Polizei, der AOK und bei Gericht ausübte. Es funkte, verhinderte aber nicht, dass der Hotelchef die Fleischgabel schmiss und den Oberschenkel von Taskins späterer Frau traf.

Zehn Jahre lang wohnte er mit ihr in einer kleinen Hütte am Ringsee. Eine Anstellung hatte er im Hotel Bachmair gefunden. Eines Tages lernte er im Strandbad eine gut situierte Berlinerin kennen. Nichtsahnend lud seine Frau die neue Bekannte zu einem Urlaub in die Türkei ein. Taskin versprach, drei Tage später nachzukommen, da sein Chef ihm nicht freigab. „Auf einmal parkte die Berlinerin mit ihrem Audi quattro vor der Hoteltür“, erzählt der 77-Jährige.

Anstatt mit Frau und Bruder mitzufahren, hatte sie auf ihn gewartet. Also fuhren die beiden gemeinsam den anderen hinterher. „Das ging genau drei Stationen gut“, lacht er heute. An jedem Haltepunkt hatte man sich ein getrenntes Zimmer genommen. Nur am vierten waren keine Einzelzimmer mehr frei. Also stiegen die beiden in ein Doppelzimmer ab. Von wem die Initiative ausging? „Von mir, nehme ich an“, sagt Taskin rückblickend.

Ich hatte gut gegessen und getrunken.

Zurück in Deutschland, zog seine Frau aus der gemeinsamen Hütte am Ringsee aus. Drei Monate später folgte die Scheidung. „Wegen seelischer Grausamkeit“, so lautete die Begründung. Am Anfang sei er traurig gewesen, sagt Taskin, aber dann „habe er sich daran gewöhnt.“

Taskins Ex-Frau wohnt inzwischen wieder in der Türkei und hat erneut geheiratet. Er selbst blieb mit der Berlinerin dreißig Jahre lang zusammen. Vor ein paar Tagen jährte sich ihr fünfter Todestag. Aus seiner Jackentasche zückt Taskin eine kleine, zusammengefaltete Trauerkarte. „Der Glaube tröstet, wo die Liebe weint“, ist darin in schwarzer Schrift zu lesen.

Lieber Zypern statt Asche am Finger

Seine verstorbene Frau hieß nicht nur Liebe mit Nachnamen, sondern sie sei es auch gewesen, sagt er. Mit seiner jetzigen Madame habe er kürzlich erst das Urnengrab besucht und eine Bronzestatue hingestellt. Gedanken über den Tod hat sich seine neue Lebensgefährtin auch schon gemacht. Sie habe vor, ihre Asche in die Atmosphäre zu streuen und sich in der Schweiz nach diversen Möglichkeiten erkundigt.

Für 5.000 Euro bekämen Angehörige aus der Asche der Verstorbenen sogar einen Diamantring, sagt Taskin. Anziehen würde er ihn sogar, aber da seine Frau, einst Atheistin, in einer Urlaubslaune heraus zum Islam wechselte, der Islam aber Verbrennungen verbietet, habe er zu ihr gesagt: „Spar’ Dir das Geld – wir nehmen es für Zypern.“

Taskin schießt den Vogel ab

Vögel abschießen gehört zum Freizeitvergnügen des 77-Jährigen. Wenn er mit Stammgästen und Einheimischen vor der Holzhütte am Seerosenstrand sitzt, beobachtet er die Möwen, die sich auf den Fahnenmasten der umliegenden Boote breitgemacht haben. Für sie hat Taskin sich extra eine Zwille gekauft. Schließlich lagert – versteckt unter einer Plane – ein gekühlter Schatz in einem der Segelboote: Ein Kasten Bier.

Jedes Opfer ist dem Durstigen recht. Selbst der kniehohe, mindestens fünf Meter lange Marsch durch den See wird dafür in Kauf genommen. Um seine Rente aufzubessern, hilft der in die Jahre gekommene (Schürzen-) Jäger noch immer zwei Tage im Hotel Bachmair aus. „Die polnische Dame, für die ich da bin, muss ja auch irgendwann einmal frei machen.“ An den anderen Tagen kümmert er sich um den Seerosenstrand. Dann macht mit den Gästen eine Segeltour oder stellt den älteren Herrschaften, die an Krücken gestützt vom Medical Park kommen, Liegestühle auf.

Ohne Tisch kein TamTam mehr

Nur die Sitzecke – ein Holztisch samt Bank – die von den regelmäßig kommenden Besuchern vor der Hütte als Gegenlohn für ein Bier aufgestellt wurden, ist inzwischen verschwunden. Auch die 60 Steinplatten, auf dem sie einst stand, sind weg. Erst kürzlich hatte der Bürgermeister alles entfernen lassen. „Seit zwei Jahren schon habe er die Hütte und den Strand auf dem Kieker“, sagt Taskin.

Früher und heute: Die Sitzecke und der Steinboden sind verschwunden.

Der 77-Jährige hat es sich nun nicht nehmen lassen, elf Euro in Postkarten zu investieren. Damit seine Stammgäste gegen diese „Schikane“ schriftlich vorgehen können. „Mit den besten Grüßen“ an den Bürgermeister Peter Höß, der in den Sommermonaten sein tägliches Bad am Seerosenstrand nimmt.

Am Stammtisch: Große und kleine Fische

Wie kleine Fische, die ab und zu an der Wasseroberfläche nach Luft schnappen, springen Taskins Hände beim Erzählen immer wieder nach oben. Ein zufällig vorbeikommender Besucher verwickelt den 77-Jährigen in ein Gespräch. „Ein Stück Jugend sei die alte Hütte für ihn“, erzählt der Besucher. Ein Bier und ein Kümmerling habe es hier früher immer bei Ernstl gegeben. Hier trafen sich große und kleine Fische am Stammtisch.

Etwas wehmütig blickt Taskin auf den abgesperrten, leeren Bereich, auf dem einst die Sitzecke stand. Plötzlich lacht er: „Jetzt wissen wir nicht, wo wir das Sparschwein mit dem Geld für die Segeltouren hinstellen sollen.“ Er dreht sich um und geht den schmalen Weg zu seinem Auto entlang. Die Sitze sind bis unter das Dach mit Zeug vollgestopft. Taskin hebt eine der Wolldecken an. Zum Vorschein kommen Liege- und Klappstühle. Liebe kennt eben keine Grenzen.

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