Todesangst und Hungersnot

Hitlers Selbstmord am Nachmittag des 30. April im Führerbunker war noch nicht gemeldet, das eingekesselte Berlin hatte noch nicht kapituliert, München, die Hauptstadt der Bewegung, war aber bereits eingenommen, da wurde auch am Tegernsee die kampflose Übergabe des Tals vorbereitet. Dessen ungeachtet gingen die Kampfhandlungen weiter. Die US-Armee war auf dem Vormarsch.

Die KZ-Häftlinge treffen in Waakirchen ein.
Die US-Armee rettet in Waakirchen die KZ-Häftlinge.

Am Montag, den 30. April, schrieb der Pfarrer von Waakirchen, Georg Hunklinger, seinem Kardinal in München: „Früh halb 10 Uhr Tieffliegerangriff auf Waakirchen. Bordwaffenbeschuss und zwei Splitterbomben treffen auch den Pfarrhof.“ Dann zählte er die Schäden auf: „13 deutsche Soldaten und zwei Frauen wurden tödlich getroffen. 5 Leichen verbrannten im Stallgebäude. Beerdigt im neuen Friedhof. Massengrab.“

An diesem Tag wusste Hunklinger noch nicht, dass sein Ort in vielen historischen Schriften über das letzte Nazi-Kapitel „Todesmärsche“ eine finale Bedeutung haben würde, und er ahnte schon gar nicht, dass er einen Tag später schon Tausende von KZ-Häftlingen mit Speise und Trank, Unterkunft und Krankenpflege versorgen würde.

Vorwiegend jüdische Menschen, die nach jahrelanger Zwangsarbeit noch auf einen mörderischen „Evakuierungsmarsch“ geschickt wurden. Am 27. April begann der Todesmarsch vom KZ Dachau und endete am 2. Mai in Waakirchen-Schopfloch. Ein Mahnmal an der Straße Tölz–Waakirchen erinnert an jene Zeit.

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Drei Talbürgermeister beweisen Mut

Am 30. April ermächtigte der stellvertretende Bürgermeister von Rottach, Josef Engelsberger, zugleich im Namen der Gemeinden Tegernsee (Bürgermeister: Karl Müller) und Bad Wiessee (Bürgermeister: Mathias Sareiter), den im Malerwinkel residierenden Schweizer Vizekonsul Dr. Paul Frei, den anrückenden US-Truppen die kampflose Übergabe der drei genannten Gemeinden anzubieten.

Frei berichtete seiner Frau über diesen Tag, der Brief liegt der Tegernseer Stimme vor:

Ich habe den Auftrag (der drei Bürgermeister) angenommen. Schon eine Woche zuvor hatte das Generalkommando West verfügt, dass diese drei Gemeinden als Lazarettorte nicht verteidigt würden. Überall waren Tafeln mit der Aufschrift ‚Schutzzone‘ aufgestellt worden und die Bevölkerung war überzeugt, dass nun nichts passieren würde.

Die drei Bürgermeister wussten, welches Risiko sie mit dem Angebot der kampflosen Übergabe ihrer Gemeinden unter geltendem Kriegsrecht eingingen. Denn noch kontrollierten Wehrmacht, Waffen-SS und Gestapo das Oberland, noch stand die US-Armee nördlich von Holzkirchen. In Penzberg wurden am Tag zuvor ohne Standgericht 16 Bürger erschossen. Sie hatten sich den Anordnungen der Nazi-Führung widersetzt und „umstürzlerisch“ gehandelt.

Rottachs Bürgermeister Mayr erschießt sich

Frei notierte am 30. April in sein Tagebuch: „Wir sind abgeschnitten. Die Spannung wächst ins Unerträgliche. Und es geschieht nichts. Niemand kann sagen, wo die Amerikaner stehen. Nur das ferne Krachen der Geschütze und in Abständen schwere Detonationen erinnern an die Nähe der Front. Großer Widerstand scheint sich den Amerikanern jedoch nicht entgegenzustellen.

Es gibt kaum mehr Lebensmittel. Die Menschen hungern. Soldaten betteln um Zivilkleidung, um untertauchen zu können. Die Wege sind von zurückflutenden Truppen überfüllt. Alles zieht sich gegen Kreuth und Glashütte zurück und es macht den Anschein, als ob sich einzelne SS-Formationen in den Bergen verschanzen.“

Rottachs Bürgermeister Max Mayr und seine Frau, beide überzeugte Nationalsozialisten, „haben sich heute erschossen“, so Frei. Wiessees Pfarrer Johann Gansler dokumentierte an diesem Tag: „Vom 30. April an sucht eine ununterbrochene Kette von Lastwagen mit Mannschaften, Geschützen und Kriegsmaterial sowie mit Personenwägen mit Offizieren, über die Grenze das Inntal in Tirol zu erreichen.“

„Todesmarsch“ erreicht Waakirchen

Dienstag, 1. Mai 1945: Etwa 2.700 KZ-Häftlinge erreichten auf ihrem „Todesmarsch“ Waakirchen, wo sie sich im Waldstück Schopfloch bei Kälte und Schnee verkrochen. Die SS-Wachmannschaften hatten sich bereits aus dem Staub gemacht. Zurück blieben etwa 30 ältere SS-Männer und Wehrmachtsangehörige zur Bewachung.

Rupert Schmidt, ein Überlebender, berichtete: „Gegen drei Uhr nachmittags hörten wir einen großen Lärm auf der Straße. Dann wurden Rufe laut, die Amerikaner kommen. Jeder, der noch gehen und stehen konnte, lief auf die Straße und winkte den Amerikanern zu, die uns Zigaretten und Zwieback herunterwarfen, um die wir uns dann rauften.“

Waffen-SS verschanzt sich in Kreuth

Am gleichen Tag erfuhr Generalkonsul Frei vom Bürgermeister aus Holzkirchen, die Panzer der Amerikaner seien bis in die Ortsmitte vorgedrungen. Mit der Ermächtigung zur bedingungslosen Kapitulation der Talgemeinden fuhr Frei bei Schneetreiben den Befreiern bis zum Gasthof an der Kreuzstraße entgegen. „Wir harrten vergebens von 17 bis 21:30 Uhr aus, sie kamen nicht, wiewohl das Artilleriefeuer ihre Nähe anzeigte.“

München, die Hauptstadt der Bewegung, ist bereits eingenommen.
München, die Hauptstadt der Bewegung, ist bereits eingenommen.

Bevor Frei umkehrte, sah er „das trostlose Bild einer zurückflutenden Armee. Abgerissen, in kleine Trupps aufgelöst, vielfach ohne Waffen. Unglaublich, wie die einst stolze Armee auf den Hund kommen konnte.“ Doch von Tölz kommend, flüchteten große Teile deutscher Einheiten und der SS-Panzerdivision ‚Götz von Berlichingen‘ über Kaltenbrunn und Holz Richtung Kreuth. Man sagte dem letzten Aufgebot, vielfach waren es 16-Jährige, das Tal müsse verteidigt werden bis zum letzten Mann.

SS- und Wehrmachtseinheiten besetzten Rottach und richteten Verteidigungsstellungen ein. In Gmund wurde die Sprengung sämtlicher Mangfallbrücken vorbereitet, das Kommando aber noch nicht gegeben. Die US-Streitkräfte verharrten in der Nacht südlich von Holzkirchen. Der nächste Tag würde die Entscheidung für das Tegernseer Tal bringen, davon war Frei überzeugt.

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