TTIP als Angriff auf bayerische Lebensart?

TTIP und kein Ende – das Gefühl konnte man am Freitag nach einer Diskussion im Hotel “Das Tegernsee” bekommen. Dabei waren hochranginge Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Forschung auf der Bühne. Das Thema: Chancen und Risiken des Freihandelsabkommens. Dabei stach besonders ein Grüner als Bewahrer bayerischer Lebensart hervor.

Sie diskutierten über das Freihandelsabkommen TTIP (v. li.): Dr. Jörg Allgäuer, Klaus-Dieter Graf von Moltke, Wolfgang Rzehak, Ilse Aigner, Frank Dollendorf, Ulrich Mössner und Eugen Köhler / Foto: Bronisch
Sie diskutierten über das Freihandelsabkommen TTIP (v. li.): Dr. Jörg Allgäuer, Klaus-Dieter Graf von Moltke, Wolfgang Rzehak, Ilse Aigner, Frank Dollendorf, Ulrich Mössner und Eugen Köhler / Foto: Bronisch

“Je tiefer ich mich eingearbeitet habe, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass ich gar nichts weiß”, bekannte Jörg Allgäuer von Sky Deutschland, der den Abend am Freitag im “Das Tegernsee” moderierte. Eingeladen hatten ins Hotel Das Tegernsee der Wirtschaftsbeirat Oberland, die CSU und die Freien Wähler. Und bereits bei der Begrüßung begann das Publikum zu ahnen, worauf es sich an diesem Abend eingelassen hatte.

Professor Heiko Seif von der “Munich Business School” stellte zunächst die Fakten dar. Das Handelsvolumen zwischen Asien und Nordamerika sei mit 1.000 Milliarden Dollar das größte der Welt. TTIP könnte demgegenüber als das größte Interkontinentale Wirtschaftsabkommen zu einer Stärkung der europäischen Wirtschaft führen. Zu erwarten seien eine Steigerung des Handels, zusätzliche Arbeitsplätze, zusätzlicher Wettbewerb und Innovationen.

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Überwiegen die Vorteile oder die Nachteile?

Andererseits sei aber auch mit einer Zunahme der Wettbewerbsintensität zu rechnen. Große Unterschiede zwischen Europa und den USA bestünden im Schutz des geistigen Eigentums. Die Angleichung der Standards sei der schwierigste Punkt bei den Verhandlungen. Die Einrichtung privater Schiedsgerichte, über die verhandelt werde, sei angesichts eines gesetzlich bereits bestehenden Investorenschutzes gar nicht nötig.

Das Fazit, das Heiko Seif zog, lautete: Scheitert TTIP, dann weicht der Handel auf andere Regionen, insbesondere nach Asien, aus. Kommt TTIP, wird es für Länder schwieriger, die nicht so konkurrenzfähig sind.

Wird der Export in die USA durch TTIP erleichtert?

Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner legte dar, dass jeder vierte Arbeitsplatz in Bayern am Export hänge. Vor allem der Mittelstand profitiere von TTIP, weil es die Schwierigkeiten der Zertifizierung von Waren in den USA dann nicht mehr gebe. Das sei für jeden einzelnen der US-Bundesstaaten erforderlich. Die großen Firmen haben dafür ihre Rechtsabteilungen. Doch viele kleine Firmen verzichten bislang wegen der Schwierigkeiten auf den Export.

Es sei gut, erläuterte Aigner, dass CETA – das Handelsabkommen mit Kanada – schon vorliegt, und zwar in deutscher Sprache. So könne man reinschauen und mit den Verhandlungen über TTIP vergleichen. Sie betonte, dass alles Bisherige lediglich Verhandlungspositionen seien, mehr nicht.

Wer setzt die Normen: China oder wir?

Es geht bei den Verhandlungen nicht um die Absenkung von Standards etwa bei Hormonfleisch, Gentechnik im Lebensmittelbereich oder beim Arbeitsrecht, erklärte Aigner. Standards sollen vergleichbar werden, damit man nicht neu zertifizieren muss. Die entscheidende Frage sei: Wer setzt in der Zukunft die Normen, zum Beispiel bei Steckern in Elektroautos? China oder besser die USA und Europa gemeinsam?

Schiedsgerichte findet Aigner dagegen “nicht besonders toll”. “Wir haben gute Gerichtsbarkeiten in der EU und in den USA, wir brauchen keine Schiedsgerichte, bestenfalls neue hochqualifizierte Spezialgerichte, die von den Staaten eingesetzt sind.” So laute auch ein Ergebnis von CETA. Im übrigen gebe es auch Bereiche, in denen die Zölle nicht abgeschafft würden, sensible Agrarprodukte gehörten dazu.

Entscheiden könne man aber erst, wenn alles ausverhandelt ist. Das gilt jetzt für CETA und später auch für TTIP. Den Gegner von TTIP hielt Ilse Aigner entgegen: “Dass wir gar nicht mehr verhandeln, halte ich für eine falsche Kommunikationsstrategie.”

Ist TTIP ein Angriff auf unsere gewachsenen Strukturen?

Eine radikale Gegenposition vertrat der Landrat Wolfgang Rzehak. “Für den Landkreis Miesbach sehe ich eher ein großes Risiko.” Die Region sei von kleinen Bauernhöfen geprägt. Er habe Sorge um die Bäuerinnen und Bauern. TTIP würde ihnen schaden. Es sei ein Angriff auf unsere gewachsenen Strukturen und auf die bayerische Lebensart.

Rzehak legte dar, dass es längst schon Konkurrenz mit Agrarfabriken gebe. Jetzt sollen wir mit den Riesenfarmen in den USA konkurrieren, größer als ganze Gemeinden bei uns.

Glauben Sie wirklich, dass die Naturkäserei nach Kansas exportieren wird?

Das “Chlorhendl” sei für viele ein Schreckensszenario. 90 Prozent der Lebensmittel in den USA seien bereits gentechnisch verändert. Der Kreistag aber habe beschlossen, dass Miesbach ein gentechnikfreier Landkreis ist. Und Verbraucherschützer fürchten die Aufweichung der Standards.

Das Gegenmodell, so Rzehak, besteht in der Stärkung regionaler Kreisläufe. Die Wertschöpfung solle hier vor Ort stattfinden. Die Öko-Modellregion sei der richtige Weg. Rzehak schloss mit der Einschätzung, dass man TTIP so schlecht angegangen habe, dass es ist nicht mehr möglich sei, diesen Vertrag umzusetzen. „Es ist kein Vertrauen mehr da, es muss neu verhandelt werden.”

Sind die großen Vorteile von TTIP Mythen?

Ulrich Mössner kommt aus der Wirtschaft und hat eigene Erfahrungen mit dem Export in die USA gesammelt. Globalisierte Märkte, offene Grenzen und grenzüberschreitenden Handel sei schon längst Realität. Der Handel mit den USA wachse kontinuierlich, die Zölle lägen im Schnitt bei unter vier Prozent. Wesentliche Handelsbarrieren gebe es nicht mehr, alles ohne Investorenschutz.

Die großen Vorteile von TTIP seien im Wesentlichen Mythen, die Nachteile hingegen nicht. So exportierten weniger als drei Prozent der deutschen Firmen in die USA. Der Rest leidet unter der Konkurrenz durch internationale Konzerne. Besonders kritisch sieht Mössner, dass deutsche Standards zur Verhandlungsmasse werden. Aufgabe der Politik sei es, Wirtschaft zu regulieren. Dieses Recht müsse man sich dann zukünftig erstreiten.

Das ganze Verhandlungsverfahren und der Entscheidungsweg sei „von Grund auf undemokratisch und höhlt die Demokratie aus“, denn: Völkerrechtsverträge brechen Landesrecht. Dabei klagt Mössner vor allem über die Unverständlichkeit der Vertragstexte.

Professor Heiko Seif von der Munich Business School erläutert TTIP / Foto: Bronisch
Professor Heiko Seif von der Munich Business School erläutert TTIP / Foto: Bronisch

Investorenschutz sei ein Schutzinstrument für den Handel mit Diktaturen, erläuterte Mössner weiter. Eine Klage bei Schmälerung von Gewinnerwartung gegen demokratisch entstandene Gesetze sei „kein Pappenstiel“, wie die Klage von Vattenfall um rund fünf Milliarden Euro wegen des Atomausstiegs zeige.

Auch für die Landwirtschaft sieht Mössner schwarz. Ohne Zölle und Importbegrenzung werden uns die USA überrollen, sagte er und stellte die Frage: “Wollen wir das wirklich?” Mössners Votum war eindeutig: TTIP ist ein völlig verkehrter Ansatz. Vorteile gebe es nur für einige wenige, gravierende Nachteile für die Mehrheit.

TTIP als Spiegel unserer Gesellschaft?

In der anschließenden Podiumsdiskussion hatte der Vorsitzende des Miesbacher Unternehmerverbands Klaus-Dieter Graf von Moltke das erste Wort. Er sprach manchem im Raum aus der Seele, als er erklärte:

Ich war vorher schlauer als jetzt.

Im übrigen halte er schon die Fragestellung der Veranstaltung für verfehlt. Denn es gebe keine Chance ohne Risiko und umgekehrt berge jedes Risiko auch eine Chance. Als Unternehmer habe er ohnehin ein Problem damit, dass immer nur darüber geredet wird, dass etwas nicht funktionieren kann.

In seinem Schlusswort schilderte der Bundestagsabgeordnete Alexander Radwan die Diskussion um TTIP als Spiegel unserer Gesellschaft. Die Meinungen seien gefühlsmäßig aufgeladen und gingen quer durch die Familien. Er plädierte für eine Entemotionalisierung und kritisierte jene, „die noch nicht wissen, was drinsteht, aber schon wissen, was am Ende dabei rauskommt“.

Das Fazit eines langen Abends: Wer mit einer vorgefertigten Meinung gekommen war, ging wahrscheinlich mit dieser Meinung wieder nach Hause. Wer ohne Vorwissen gekommen war, musste die Fülle der Fakten und widerstreitenden Meinungen erst einmal verarbeiten. Wer gehofft hatte, nun endlich Klarheit für sein eigenes Urteil zu gewinnen, blieb vermutlich ratlos wie zuvor.

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