Bauernproteste: die Hetzer
Umsturz-Zombies im Oberland: Statisten des Bauernaufstands?

Ausgerechnet im Dezember den Landwirten Kürzungen vorzusetzen, um das Milliardenloch der Ampel-Koalition zu stopfen, mag nicht als hellste Idee in die Geschichte eingehen. Deutschlandweit springen Schwurbel-Verdächtige dem Wut-Bauern-Protest bei. Auch hier im Oberland.

Kurz vor Weihnachten beschließt die Regierung, bei den Bauern Subventionen zu streichen. Bisher zahlten die keine Kfz-Steuern für ihre Traktoren und Maschinen. Und auch den Diesel gab es für Landwirte günstiger, weil die Gefährte mehrheitlich jenseits der Straßen eingesetzt werden. Steuermäßigung auf Agrardiesel eben. 450 Millionen Euro sollen so eingespart werden. Im Schnitt hätten diese Maßnahmen Landwirten bis zu 3000 Euro gekostet.

Die Wut ist groß, auch weil sowohl die Kommunikation, als auch der Zeitpunkt extrem unprofessionell daherkommt. Nun, drei Wochen nach dem Beschluss, rudert Berlin zurück, verspricht weniger Kürzungen. Aber der Geist ist aus der Flasche. Der Kompromiss reicht den Landwirt-Lobbygruppen nicht. Alles fokussiert sich auf einen Tag im Januar: Der 8. Januar 2024 soll ihr bundesweiter Aktionstag werden. An diesen, eigentlich von Bauern für Bauern gedachten Tag, wanzen sich jetzt andere Gruppen an.

Aus dem Agrar-Anliegen wird auch bei uns im Oberland ein obskurer Gegen-die-da-oben-Aufstand. Schauen wir genau hin. Da finden sich alte Bekannte aus der Hetzer- und Empörungstruppe.

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Treffende Bildersprache – so wichtig … Quelle: Redaktion

Die WhatsApp-oder Telegram-Gruppen heißen “Tegernseer Tal im Widerstand” oder “Ampel abschalten”. Es sind nicht wenige Menschen aus unserem Landkreis, die sich da hineinwählen: Mal sind es fast 900 ‘Mitglieder’, mal liegt die Zahl deutlich unter 500.

Es sind Kanäle, die den Protest der Bauern zum Anlass nehmen, eine Generalabrechnung gegen die Berliner Regierung herbeizuschwurbeln. Einige werden von Handwerkern aus dem Nachbar-Landkreis geführt, andere von Zugezogenen aus Ost-Deutschland, die getrost zur Pegida-Strömung gezählt werden können. Namen tauchen auf, die uns schon in der Pandemie mit radikalen Aufrufen auffielen.

Es geht natürlich in diesen und ähnlichen Kanälen immer um den Aufstand “gegen das System im Berlin”. Gern wird immer wieder das Bild eines “Sturms, der aufzieht”, in Sprachnachrichten und Texten beschworen.

Eines ist klar: Es ist nicht das grüne Band der Sympathie … Quelle: Redaktion

Hinzu kommen Menschen aus der Reichsbürger-Szene. Ein Immobilienmakler mit Geltungsdrang ist auch ein falscher Großherzog aus Mecklenburg, der dort schon polizei-auffällig war und jetzt den “Bauernaufstand” in einer hiesigen WhatsApp-Gruppe unterstützt.

Aus historischer Sicht ist das putzig, aber interessant ist die rasend schnelle Geschwindigkeit mit der dieses politisch-kommunikative Desaster geschieht. Nun ist das abseitig-obskure Auftreten einzelner Personen gerade im Oberland keine Neuigkeit. Politiker auf allen Ebenen, vom Bürgermeister bis zum Bundesabgeordneten hatten in den vergangenen Jahren mit diesen Truppen zu tun. Seit dem Ende der Pandemie war es für Wochen ruhig geworden.  Es ist eine schwer greifbare Protestszene. Sie greift fast reflexartig jedes Thema auf, das auch nur im Ansatz Empörungspotenzial besitzt.

Schon länger werden im Landkreis obskure Plakate mit zum Teil mindestens verstörenden Aussagen gesichtet. Mal wird mit dem DDR-Emblem eine neue Diktatur suggeriert, mal werden Karikaturen von Grünen-Politikerinnen gezeigt, immer haarscharf am Tatbestand der Beleidigung vorbeischrammend oder halt auch direkt rein in die Menschenverachtung.

Sind das alles abseitige Gestalten, die heimlich in der Doppelhaushälfte zwischen Fischbachau und Waakirchen vom kommenden Aufstand träumen? Klar ist: Biedermänner sind auch dabei. Es ist die bürgerliche, scheinbare Mitte: Kaminbauer, Fliesenleger, Fischhändler, vermögende Milchbauern und engagierte Feuerwehrler.

Ein Troll-Trupp an Unzufriedenen, die den etablierten Parteien wie der CSU schon in der Pandemie das Leben schwer machten. Die Regierungspartei hatte diese Menschen lange eingefriedet, mit diversen Bierzeltauftritten und finanziellen Zuwendungen bei Laune gehalten. Aber irgendwann kam der Bruch mit den Mainstream-Konservativen. Mit der AfD ist eine Empörungspartei erwachsen, die jenen Dauerunzufriedenen eine Heimat bildet. Das ist insofern kurios, als dass gerade diese Partei sich in ihrem Grundsatzprogramm sich gegen mehr Unterstützung für Bauern ausspricht (“Landwirtschaft: Mehr Wettbewerb, weniger Subventionen”).   

Die Digital-Agitatoren wollen im Oberland den Widerstand ausfächern, in die Breite bringen. Größte Angst: bloß nicht als wirres Grüppchen dastehen. Somit werden Ärzte aufgefordert, mitzumachen, weil “ja der Lauterbach” sie alle um die Existenz bringen wolle. Handwerker sollen auch mitmachen. Der schlimmen Steuer wegen. Auch der Dauerbrenner der Hausbesitzer im Oberland ist dabei: Erbschaftsteuer.

Hauptsache Empörung

Oft wird die Leserschaft mit sogenannten Memes angesprochen. Zuerst sind es witzige Bildchen mit kurzen, gern zynischen Texten. Später werden in den Gruppen dann auch martialische Bilder ausgewählt, schwurbelig, pathetische Sätze draufgeklebt, Nazi-Dichterinnen zitiert: “Noch sitzt ihr da oben, ihr feigen Gestalten. Vom Feinde bezahlt, dem Volke zum Spott. Doch einst wird wieder Gerechtigkeit walten …”

Auffällig: Einige Videos und Memes sind mit künstlicher Intelligenz entstanden, wenige sehr professionell. Verfolgt man den Weg dieser Videos, gelangt man in AfD-Kreise, später auch einmal zu offensichtlichen Konten und Seiten aus Russland. Der Kriegstreiber aus dem Osten hat ein großes Interesse daran, unser System im Westen zu destabilisieren. Troll-Armeen aus z. B. St. Petersburg bemühen sich seit Jahren, radikale Kräfte in Deutschland mit Fake News und aggressiven Memes zu befüttern.

Überraschend auf den radikalen WhatApp-Kanälen: Es tummeln sich diverse Kommunalpolitiker, äußern sich, unterstützen. Ein Gemeinderat aus dem Landkreis (sitzt auch im Kreistag) tut sich besonders hervor, vermittelt Pressekontakte, gibt gute Tipps zum richtigen Auftreten. Ist ja sein gutes, demokratisches Recht. Nur: Es geschieht in einem demokratisch zweifelhaften Umfeld. Denn es wird dort auch mäßig verbrämt zu einem Generalstreik aufgerufen. Selbst als Kommunalpolitiker sollte man wissen, dass ein Generalstreik ein politisch motivierter Boykott der Arbeit ist, der mit politischen Forderungen einhergeht. In Deutschland ist er verboten.

Es wird sich also am Montag in der Früh eine sehr unterschiedliche Truppe auf den Weg machen. Bauern, die sich drangsaliert fühlen, Handwerker, die glauben, zu viel Steuern zahlen zu müssen und Menschen, die schlicht mit der Gesamtsituation nicht zufrieden sind. Mit dabei unter anderem in München, der stellvertretende Ministerpräsident Hubert Aiwanger. Er hatte im vergangenen Jahr bei einer Demo in Erding schon den ersten Ton der Radikalität gesetzt. “Jetzt ist der Punkt erreicht, wo endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss und denen in Berlin sagen: Ihr habt’s wohl den Arsch offen da oben.”

Was so als Bierzelt-Prosa verniedlicht wird, könnte bei bestimmten Wut-Bürgern als der offizielle Pöbel-Freifahrtschein eines Berufspolitikers gewertet werden. Sprache kann enthemmen, radikalisieren. Wir haben das in den letzten Jahrzehnten in allen radikalen Bewegungen erlebt. Die Hetze der BILD-Zeitung gegen Rudi Dutschke führte zu einem Attentat. Die entmenschlichte Sprache der RAF (“Natürlich darf geschossen werden“).

Der Protest gegen sehr ungeschickte Politik muss möglich sein. Bauern sind keine homogene Gruppe. Auch unter ihnen gibt es Entsetzen über das, was dem Vizekanzler in Schleswig-Holstein passiert ist. Das Phänomen der Unterwanderung durch Radikale, durch Schwurbler, kennen viele andere Protestbewegungen. Jüngst traf es die Klima-Truppe von Fridays for Future mit einem berechtigten Vorwurf, Antisemiten in den Reihen zu dulden.

Es wird für die Lobbygruppen der Landwirte in den nächsten Wochen wichtig sein, sich von den Schwurblern aus dem WhatsApp-Kosmos möglichst weit zu entfernen. Wenn sie für ihre Belange die breite Unterstützung der Bevölkerung haben wollen, müssen sie auf Auftritt und Ansprache besonders achten.

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