US-Truppen besetzen das Tegernseer Tal

Ungeachtet der vielen Lazarette in Wiessee, Tegernsee und Rottach, mit ihren Tausenden von Verletzten, hatte sich am 3. Mai die SS zum letzten Gefecht im Tal eingenistet. Die Amerikaner drohten mit einer Bombardierung, wenn die deutschen Truppen die Waffen nicht niederlegten. Die sollten bis zur „Selbstaufopferung“ im Sinne des Führers kämpfen. München hatte Tage davor schon kapituliert.

Ein US-Soldat inspiziert ein zerstörtes Sturmgeschütz der 17.SS-Panzergrenadier Division "Goetz von Berlichingen," (Frankreich 1944)
Ein US-Soldat inspiziert ein zerstörtes Sturmgeschütz der 17. SS-Panzergrenadier-Division „Götz von Berlichingen“, (Frankreich 1944).

In der Nacht auf den 4. Mai 1945, einem Freitag, überschlugen sich die Gerüchte über Abzug und Verbleib deutscher Einheiten. In dieser widersprüchlichen Situation nahm ein Kriegsverwundeter das Heft in die Hand: Ritterkreuzträger Major Hannibal von Lüttichau.

Der Kommandeur eines Panzerregiments 2 lag mit einer Kopfverletzung im Reservelazarett Tegernsee. Er erfuhr von den diplomatischen Bemühungen des Schweizer Vizekonsuls Dr. Paul Frei, der mit dem SS-Kommandeur Georg Bochmann in Kreuth den Rückzug seiner Truppen aus der Lazarettschutzzone Tegernseer Tal aushandeln konnte.

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Was Lüttichau nicht wusste, war, ob diese Vereinbarung auch die Amerikaner erreichte. Lüttichau suchte Frei in Rottach auf. Dieser informierte ihn, dass aus Wiessee die drei Parlamentäre Scheid, Winter und Heiß auf dem Weg zu den Amerikanern seien. Ob die Mission glückte, war Frei zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt.

Weiße Fahnen werden gesetzt

Zwei Tage zuvor hatte Frei bereits den Talbürgermeistern die Kapitulationsbedingungen des US-Kommandanten William Evans überbracht: „Entwaffnung des Volkssturms, weiße Fahnen an den Häusern beim Herannahen amerikanischer Truppen, keine Feindseligkeiten während und nach der Besatzung.“

Am frühen Freitagmorgen bedrängte Lüttichau den Tegernseer Bürgermeister Karl Müller, mit ihm gemeinsam den Amerikanern die Zustimmung des SS-Offiziers Bochmann zum Rückzug seiner Division zu überbringen. Müller zögerte, denn dies vereinbarte sich nicht mit seiner Einstellung als Nazi, außerdem würde ihn der Werwolf daraufhin aufhängen.

Lüttichau in seinen Notizen: „Müller ermannte sich endlich notgedrungen, mich zu begleiten. Der Gemeindewache gab er den Befehl, um 5 Uhr von Haus zu Haus zu gehen und die weißen Fahnen setzen zu lassen.“

Erfolgreiche Verhandlungsmissionen

Auf der Straße Richtung St. Quirin mussten sie deutsche Linie passieren und mehrere Baumsperren überklettern. Gegen 4:00 Uhr morgens konnte Lüttichau dem befehlshabenden US-Offizier erklären, dass die deutschen Truppen die Kampfhandlungen einstellten. Doch die Amerikaner trauten dem Frieden noch nicht. Sie behielten Lüttichau, „bis sich die Wahrheit meiner Behauptungen erwiesen hätte“. Um 6:15 Uhr kehrte er mit seinen Begleitern zurück nach Tegernsee „und traf hier mit den ersten Amerikanern ein“, endet Lüttichaus Bericht.

Das 141th Infantry Regiment der III. US-Armee erreichte an diesem Morgen ohne Feindberührung Tegernsee, dann Rottach-Egern und Bad Wiessee. Ihren Einmarsch in Tegernsee schilderte damals Ludwig Höfele, Minderjähriger beim Volkssturm:

Die Hauptstraße war schwarz von Menschen. Sie zogen ein, die Befreier. Zu beiden Seiten der Straße marschierten sie lautlos auf ihren Gummisohlen. In der Straßenmitte Fahrzeuge, unübersehbar. Die Amerikaner beeindruckten uns durch ihr legeres Gehabe. Als die Kolonne zum Stehen kam, sprangen einige Männer zum Alpbach hinunter und begannen, sich ungeniert zu waschen und zu rasieren.

Vizekonsul Frei schrieb in seinem Tagebuch über den Einzug der US-Einheiten: „9 Uhr früh – Die Amis kommen. Wir stürzen ins Freie. Hurra! Tatsächlich rollen die ersten amerikanischen Tanks, Lastwagen und Jeeps am gegenüberliegenden Seeufer auf Rottach zu. Fieberhafte Erwartung. Alles, was laufen kann in den Lazaretten, steht auf der Straße. Die Menschenmenge steht Spalier. Zivilisten, Soldaten, Kriegsgefangene usw.“

In einem Brief an seine Frau („Frauli“) schrieb Frei über diesen 4. Mai: „Die SS-Verbände halten noch die Valepp und die Achenseestraße ab Kreuth. Die weiteren Kampfhandlungen werden Rottach nicht mehr berühren. Ich bin heute der gefeierte Held von Rottach und werde mit Dankesbezeugungen überschüttet. Der amerikanische Kommandant will mir morgen seine Aufwartung machen.“

Ende des tausendjährigen Reichs

Blieb die Ungewissheit, was macht die weitgehend intakte 17. SS-Panzergrenadierdivision Götz von Berlichingen? Bei ihrem Rückzug morgens um 6:30 Uhr nach Kreuth und Glashütte sprengte sie vorher noch die Weißachbrücke. Kommandeur Bochmann rühmte in seinem „Divisions-Tagesbefehl“ vom 4. Mai nochmals seine Einheit, die „ohne Rücksicht auf Verluste dem Feind härtesten Widerstand geleistet und sich bis zur Selbstaufopferung dem Gegner stets entgegen geworfen hat“.

Bochmann endete mit dem Ausblick: „Unser Vorbild sei uns für alle Zeit Adolf Hitler“, der zu dieser Zeit nach seinem Selbstmord am 30. April im Führerbunker schon längst ein Häuflein Asche war. Das tausendjährige Reich hatte aufgehört zu existieren. Jetzt ging es nur noch um einen geordneten Rückzug.

Ähnlich wie im Tegernseer Tal, Einzug der US-Armee in Garmisch
Ähnlich wie im Tegernseer Tal: Einzug der US-Armee in Garmisch

Am Samstag, den 5. Mai, notierte Wilhelm Engelmann, der Pfarrer von Kreuth: „Die Amerikaner fuhren, längst erwartet, endlich in vorsichtig langsamer Fahrt ins Dorf Kreuth ein.“ In der Chronik der Hanns-Seidel-Stiftung über ihren Tagungsort Wildbad-Kreuth steht zu den letzten Kriegstagen:

„In der Nacht vom 4. auf 5. Mai 1945 schossen die Amerikaner das herzogliche Sudhaus in Brand, zerstörten es mit der ganzen Habe seines Jägers Carl Vögele, Kriegsgesinde raubte und plünderte im Bad, was nicht niet- und nagelfest war.“ Nach Informationen der Tegernseer Stimme soll aber aus SS-Stellungen zuerst das Feuer eröffnet worden sein.

Herzogin berichtet von Deportation ihrer Familie

Herzogin Helene in Bayern erklärte der Tegernseer Stimme, dass es dazu in den herzoglichen Archiven keine eigenen Aufzeichnungen gebe: „Die ganze herzogliche Familie war interniert. Mein Großonkel, Herzog Ludwig Wilhelm von Bayern, war mit seiner Frau in Kanada untergekommen und kehrte erst 1946 zurück.“ Sein Vater, Albrecht Herzog von Bayern, wurde im Oktober 1944 von der Gestapo verhaftet und zusammen mit seiner Familie in den Konzentrationslagern Sachsenhausen, Flossenbürg und Dachau gefangen gehalten.

Die Funktion des Sudhauses konnte Herzogin Helene in Bayern nicht näher beschreiben, nur die Lage: „Es stand zwischen dem sogenannten Post- und Königshaus. Aus Erzählungen meiner Familie weiß ich, dass in dem Sudhaus auch persönliche Gegenstände meines Großvaters waren. Was es genau war, lässt sich nicht mehr feststellen.“

Vom Tegernsee, Bad Tölz und dem Inntal zogen die US-Truppen Richtung Kreuth zum letzten deutschen Kampfverband, eingekesselt zwischen den Bergen. Würde SS-Kommandeur Bochmann die Waffen strecken?

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