Viele Zweifel führten zum Freispruch

Unter der IP-Adresse eines Wiesseers wurden im Internet kinderpornografische Inhalte gefunden. Die Kripo sucht vergeblich nach Beweisen. Freispruch. Das Pikante: der Beruf des Angeklagten.

Gestern wurde im Amtsgericht Miesbach ein Fall von “Kinderpornografie” verhandelt. / Archivbild

Zur Überraschung von Richter Walter Leitner war der 41-jährige angeklagte Wiesseer gestern vor dem Miesbacher Amtsgericht ohne seinen Anwalt erschienen. Diesem hatte er zuvor das Mandat gekündigt, wie er dem Richter auf dessen Nachfrage hin erklärt.

Als die Staatsanwältin die Anklage verliest, richtet der Wiesseer seine Augen auf seinen Schoß. Am 12. Juli und 1. September 2016 soll der Fachinformatiker auf der Internet-Plattform „Gigatribe“ insgesamt 169 Bilddateien verschickt haben, auf denen teilweise unbekleidete Kinder – im Alter zwischen sechs und dreizehn Jahren – in sexuell aufreizenden Posen und Handlungen zu sehen waren.

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Der Angeklagte bestreitet die Vorwürfe

Vom Richter aufgefordert, etwas zu den Vorwürfen zu sagen, spricht der Angeklagte mit leiser Stimme. Blick und Kopf hält er dabei weiter gesenkt: „Das Einzige, was ich zu sagen habe, ist, dass ich die Taten nicht begangen habe“.

Auf die kinderpornografischen Inhalte aufmerksam geworden war die Kripo Freiburg im Juli 2016. Unter dem Gigatribe-Benutzerkonto „Kinky-Cheeka“ fand sie nicht nur „große strafrechtliche Dateien“, sondern auch die IP-Adresse des Wiesseers. Schweizer Kollegen fiel der Account im September auf, woraufhin zahlreiche Bilddateien sichergestellt wurden.

Hausdurchsuchung „negativ“

Im Dezember 2016 wird die Polizei Miesbach aktiv. Bei einer Hausdurchsuchung in der Wohnung des Angeklagten werden ein Laptop, ein großer Rechner, ein Smartphone und mehrere Festplatten sichergestellt. Auch eine Spielekonsole nahmen die Beamten mit. „Jeder Datenträger wurde beschlagnahmt“, sagt der zuständige Sachverständige, Jens Ricke von der Firma Forensik IT aus. Aber weder hätte man Hinweise auf Kinderpornografie gefunden noch auf das Programm Gigatribe.

Ob der Angeklagte von der Hausdurchsuchung gewusst haben könnte, will die Staatsanwältin wissen. Ricke verneint: „Die Durchsuchung verlief verdeckt“. Richter Leitner ist an der Funktionsweise von Gigatribe interessiert. Hierbei handele es sich um eine „geschlossene Tauschbörse“, beantwortet Ricke dessen Frage. Bei der Anmeldung sei man zuerst allein und könne dann Kontakt zu anderen aufnehmen.

Wurden Daten gelöscht?

Neben der Möglichkeit zu chatten könnten Benutzer des Programms Bilder und Dateien mit anderen tauschen. Weil es sich um ein privates Netzwerk handelt, habe sich die Polizei über das Benutzerkonto des Angeklagten einloggen müssen. Wenn der Angeklagte das Programm benutzt hätte, so der Sachverständige, hätte es auf seinem Rechner gefunden werden müssen.

Selbst bei einer Deinstallation wäre es im Windowssystem erkennbar gewesen. Dies war aber nicht der Fall. „Dann hätte auch Windows gelöscht werden müssen“, ergänzt Ricke. „Das heißt, Windows wurde nicht gelöscht?“ hakt Richter Leitner nach. Und fügt hinzu: „Sie dürfen nicht vergessen, wir haben es hier mit einem Fachinformatiker zu tun“.

Bei dieser Frage gerät der Sachverständige kurz ins Stocken und muss in der „Registry“, der Windows-Registrierungsdatenbank nachschauen. Er kramt in seiner Tasche, um Maus und Kabel für seinen Computer zu holen. Dann tippt er ein paarmal auf dem Rechner herum und sagt schließlich: „Ich komme nicht in die Registry rein“. Er räumt ein, dass es grundsätzlich möglich wäre, die Gigatribe-Software spurlos zu löschen.

Zweifel bleiben

Ricke vermutet stattdessen, dass der Rechner des Angeklagten „relativ neu“ gewesen sei. Höchstens ein Jahr. Genau sagen könne er das allerdings nicht. In diesem Zusammenhang erklärt er dem Richter, dass auch ein Dritter auf die IP-Adresse des Angeklagten hätte zugreifen können. Beispielsweise die Lebensgefährtin des Angeklagten, mit der er in der gemeinsamen Wohnung lebte. Dies sei mit ungeschütztem WLAN möglich, so der Sachverständige, oder mit Zugang zum Rooter.

Die Staatsanwältin ist nach der Beweisaufnahme „hin und her gerissen“. Es sei zwar klar geworden, sagt sie, dass es für eine Verurteilung nicht reicht, aber sie sehe auch, dass man es mit einem Fachinformatiker zu tun habe. Zweifel habe sie deshalb, weil es keinen Grund gegeben hätte, dass der Angeklagte das komplette Programm entfernt. Die Dateien zu löschen hätte ja gereicht. Ein „ungutes Gefühl” bliebe, da es schon komisch sei, dass in zwei Fällen die IP-Adresse des Angeklagten auftauchte. Sie beantragt Freispruch.

Freispruch aus Mangel an Beweisen

Der Angeklagte, der die ganze Zeit geschwiegen hatte, ergreift zum zweiten Mal das Wort für sich: „Ich beantrage Freispruch“. Auch das Gericht ist letzten Endes nicht davon überzeugt, dass der Angeklagte schuldig ist. Es spricht den Angeklagten frei.

„In der Summe bleiben so viele Zweifel“, sagt Richter Walter Leitner abschließend. Durch die Beweisaufnahme habe sich der dringende Verdacht der Kinderpornografie nicht bestätigt. Genauso schweigend, wie er sich die ganze Zeit verhalten hatte, nimmt der Angeklagte das Urteil zur Kenntnis, bevor er – fast genauso still – durch die Tür des Sitzungssaals verschwindet.

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