Wegen Strafvereitelung im Amt stand gestern ein 57-jähriger Beamter der Polizeiinspektion Holzkirchen vor dem Miesbacher Amtsgericht. Für dieses Vergehen drohte dem Polizeihauptkommissar eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Im Gerichtssaal saßen knapp 20 Zuschauer, unter ihnen auch viele Kollegen des Angeklagten, die die über fünfstündige Verhandlung bis zum Schluss mitverfolgten. Als Richter Walter Leitner den Freispruch verkündete, gab es Applaus von den Anwesenden.
Was war passiert?
Am 28. Januar 2015 liefert der ehemalige Bürgermeister von Holzkirchen bei der dortigen Polizeiinspektion eine halbautomatische Kurzwaffe – Kaliber 635 – samt 31 Patronen ab, die er auf seinem Dachboden „gefunden“ hatte. Was er nicht wußte: Allein durch den Transport der Waffe hatte er sich strafbar gemacht. Ganz abgesehen davon, dass er eigentlich keine besitzen durfte.
Der Angeklagte, damals Stellvertretender Dienststellenleiter, nimmt die Waffe entgegen und den Fall auf. Er weist den Ex-Bürgermeister darauf hin, dass es ein Fehler sei, die Waffe abzugeben, weil er sich dadurch strafbar mache. Sein Verhältnis zum Ex-Bürgermeister schildert der Angeklagte so: „Man kennt sich flüchtig, ist per „Du“.
“Blinde Übereinkunft”
Dann nimmt der Angeklagte den Vorfall als Erstmeldung auf, so wie bei jedem anderen gemeldeten Vorgang üblich. Er leitet ihn zur Bearbeitung an seinen Waffensachbearbeiter (49) weiter. Doch anstatt das Ermittlungsverfahren einzuleiten, wird die Sache als „Fundsache“ behandelt. Später gibt der Sachbearbeiter als Begründung zu Protokoll:
Ich habe die Waffe ja nicht vom Bürgermeister, sondern von meinem Vorgesetzten (dem Angeklagten) erhalten. Und mit dem hatte ich eine „Art blinde Übereinkunft“, die Anzeige zu unterlassen.
„Alles erstunken und erlogen“, behauptete dagegen der Angeklagte. Warum er denn keine Kontrolle gemacht habe, ob der Sachbearbeiter tatsächlich Strafanzeige gestellt hat, wollte Richter Leitner wissen. „Ich bin davon ausgegangen, er macht seine Sache richtig“, antwortete dieser. Deshalb habe er auch dessen anschließende Kurzmeldung „überlesen“ und unterschrieben, auf der die Sache vom Sachbearbeiter als „Fundsache“ eingestuft worden war.
Im August stand dann das Landeskriminalamt (LKA) vor der Tür der Polizeidienststelle. Aufmerksam wurde es durch ein Telefonat, das heimlich (aufgrund eines anderen Tatverdachts) abgehört worden war, und das zwischen dem Waffensachbearbeiter und der Frau des Ex-Bürgermeisters stattfand.
Deshalb stand zunächst auch nur der Waffensachbearbeiter im Fokus der Ermittlungsbeamten. Als aber der überraschte Angeklagte die LKA-Beamten darauf hinwies, dass er ja derjenige gewesen sei, der die Waffe vom ehemaligen Bürgermeister entgegengenommen habe, stand plötzlich auch er unter Tatverdacht.
Erinnerungslücken bei den Zeugen
Beim Abhören des Telefongesprächs kam heraus, dass der Waffensachbearbeiter nach der Waffenabgabe des Ex-Bürgermeisters mit dessen Frau telefoniert hatte. Im Gespräch wies er sie darauf hin, dass ihr Mann gerade eine „strafbare Handlung“ durchgeführt hätte. Sie könne ihm aber ausrichten, „es“ hätte sich erledigt.
„Wie passt das zusammen?“ wollte Staatsanwalt Dr. Alexander Strafner von der Zeugin wissen. Das habe sie auf das Gespräch bezogen, ist ihre Antwort. Der Staatsanwalt ließ nicht locker: „Wie hat ihr Mann darauf reagiert?“ Daran könne sie sich nicht mehr erinnern.
„Warum bietet ein Waffensachbearbeiter wohl von sich aus Ihrem Mann einen Gefallen an?“, hakte Staatsanwalt Strafner nach. „Schuldet er ihm etwas? Setzt Ihr Mann ihn unter Druck? Wieso riskiert er dafür seinen Job?“
Die Staatsanwaltschaft wollte das aufgezeichnete Telefonat für die Verhandlung verwerten, scheiterte aber an der fehlenden Zustimmung des Waffensachbearbeiters. Dieser erschien als einziger der fünf Zeugen mit Anwalt. Im Zeugenstand macht er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch und lehnt die Verwertung des Telefonats ab.
20 Jahre Waffenbesitz
Der als Zeuge geladene Ex-Bürgermeister gab an, er sei sich zunächst keiner Straftat bewusst gewesen, bis ihn der Angeklagte darauf hingewiesen habe. Die Waffe, ein Erbstück, hätte er seit 1996 auf dem Dachboden gelagert und „völlig vergessen“.
Auch der inzwischen pensionierte Vorgesetzte des Angeklagten aus Rottach-Egern wurde in den Zeugenstand gerufen und beschrieb den Polizisten als einen erfahrenen Ermittlungsbeamten, der sehr zuverlässig gewesen sei. Zur Vorgehensweise des Angeklagten erklärte er:
Man nimmt die Erstmeldung auf, leitet sie an den Fachbereich weiter, setzt seinen Haken dahinter, ohne zwangsläufig den Inhalt zu prüfen. Täglich kommen zehn bis zwanzig solcher Meldungen rein. Es ist eine reine Übersicht der aktuellen Fälle samt Aktenzeichen.
Verwundert zeigte sich der Staatsanwalt über den auf der Erstmeldung per Hand notierten Vermerk: „Bitte austragen“. Aber weder der Angeklagte noch der Zeuge konnten ihm sagen, wessen Handschrift dies war. Zuletzt trat der Polizeibeamte Daniel S. (35) als Zeuge auf. Durch das abgehörte Telefonat hatte man beim LKA die Information bekommen, so der Polizist, dass die Waffe vom Waffensachbearbeiter aus der Wohnung des Bürgermeisters geholt worden sei.
Der Sachbearbeiter hätte bei der ersten Vernehmung angegeben, der Angeklagte hätte ihm aufgetragen, die Waffe als Fundsache zu behandeln. Bei der zweiten Vernehmung sei diese Aussage reduziert worden auf: „Es gab keine konkrete Absprache.“
Staatsanwalt wollte neun Monate Gefängnis auf Bewährung
Es sei kein Vergehen, wenn Menschen guten Willens eine Waffe bei der Polizei abgeben, so Staatsanwalt Dr. Alexander Strafner in seinem Schluss-Plädoyer. Strafrechtlich relevant sei der Fall wegen des 20-jährigen Waffenbesitzes. Und genau das werfe er dem Angeklagten vor: Dass er dem Waffensachbearbeiter niemals die Information gegeben habe, wie lange der Bürgermeister im Besitz seiner Waffe gewesen sei, obwohl ihm dies mitgeteilt worden sei.
Für Dr. Strafner war es eine reine Schutzbehauptung des Angeklagten, dass er nicht interessiert daran gewesen sei, wie es im Falle einer prominenten Person wie der des Bürgermeisters weitergehe. „Wenn er das weitere Verfahren nicht kontrolliert und in die richtigen Bahnen lenkt – wer dann?“ so Strafner. Er forderte neun Monate auf Bewährung und 4.000 Euro Geldstrafe. Für den Verteidiger des Angeklagten, Walter Lechner, dagegen waren die Fakten klar:
Hier geht`s nicht um Geldstrafe oder Haft, hier geht`s allein um Freispruch.
Das Fazit der Staatsanwaltschaft konnte er nicht teilen: „Wenn sich mein Mandant allein durch das Wissen um den 20-jährigen Waffenbesitz strafbar gemacht hätte, würde das bedeuten: Jeder Sachbearbeiter macht sich strafbar, wenn er keine Löcher in den Bauch fragt.“ Die Aufgabe eines Sachbearbeiters sei es doch, zu ermitteln, begann er leicht erregt zu argumentieren: „Sie aber legen den Beamten Fesseln an, die es so gar nicht gibt.“
Wo ist das Motiv?
Zudem wäre überhaupt kein Motiv erkennbar und niemand könne widerlegen, dass der Ex-Bürgermeister auf seine strafbare Handlung hingewiesen worden sei. Aufgrund dessen Prominenz zu schlußfolgern, der Angeklagte würde in Absprache kriminelle Handlungen vertuschen, sei kein „greifbares juristisches Argument.“
„Wenn er versucht hätte, etwas zu vereiteln, dann hätte er sich zumindest erkundigt, ob es „richtig“ läuft. Vielmehr sollte man darüber nachdenken, ob sein Mandant nicht einfach vom Waffensachbearbeiter mit ins Boot geholt worden ist. Nach dem Motto:
Geteiltes Leid, ist halbe Strafe
So lautete das Urteil von Richter Leitner: Freispruch. Weil die Staatsanwaltschaft nicht mehr von einer Absprache ausginge, so Leitner, bliebe nur der Vorwurf der „Fundsache“. Er glaube dem Angeklagten, dass er die Erstmeldung wirklich nur „quergelesen“ habe.
Es sei nicht nachvollziehbar, so der Richter, dass ein erfahrener Polizist so etwas abzeichnet, wenn er es hätte vertuschen wollen. Auch nach einem Motiv müsse er händeringend suchen. „Ich sehe es genau wie die Verteidigung: Der Angeklagte hat nichts davon. Im Gegenteil. Er hat die Hölle.“
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