Vom Tegernsee in den Himalaya

Was heute pauschal als Trekkingtour zu buchen ist, war vor 150 Jahren noch eine abenteuerliche Expedition: Reisen zu den höchsten Bergen der Welt. Drei geborene Münchner packte damals die Neugier, in bislang unbekannte Welten aufzubrechen: Hermann, Adolph und Robert Schlagintweit. Ihre Tagebuchaufzeichnungen und Aquarelle hütete deren Nachfahre und Wiesseer Arzt Dr. Stefan Schlagintweit.

Vom Tegernsee in den Himalaya - Die Gebrüder Schlaginweit
Vom Tegernsee in den Himalaya – die Gebrüder Schlagintweit.

Wenn morgen im Rottacher Seeforum die Herrligkoffer Stiftung um 19 Uhr zu einem Dia-Vortrag einlädt, wird das breite Betätigungsfeld der Schlagintweits aufgefächert. Sie waren Mitte des 19. Jahrhunderts als Physiker, Geologen, Glaziologen, Kartographen, Pflanzensammler, Landschaftsmaler, Himalaja- und Hochasien-Reisende unterwegs und brachten nach einer dreijährigen Expedition einen wahren Schatz mit: in 510 Kisten stapelten sich zahllose Aufzeichnungen, präzise Vermessungsdaten und 750 grandiose Aquarelle.

Teile davon bekam der Deutsche Alpenverein (DAV) 2013 als Schenkung der Erbengemeinschaft Familie Schlagintweit. Hüter des Wissenschaftsschatzes der Menschheit war Stefan Schlagintweit, lange Jahre Gemeinderat in Wiessee und Kirchenvorstand. Er verstarb im November 2006 im Alter von 84 Jahren. Bis dahin bewahrte er das, was vor 150 Jahren hier am Tegernsee begann: das Interesse der Gebrüder an den Bergen. Hermann und Adolph kamen 1842 zu Fuß über Seeshaupt und Bad Tölz ins Tal. Die Eindrücke damals manifestieren sich in Versen des sechzehnjährigen Hermann aus dem Tegernseer Tal:

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Wo das Eis sich Berge türmt,
wo die Sonne milder scheint,
dahin sich mein Herz bestürmt,
als des Schönsten steter Freund.

Die Neugier der Brüder war geweckt, sie bestimmte den weiteren Höhenweg ihres Lebens. Zunächst mit Reisen in die Berge Österreichs und der Schweiz. Doch eine Erstbesteigung der Dufourspitze (4,634 m) von Adolph und Hermann Schlagintweit scheiterte. Wenig später ging es in unbekannte Bereiche Indiens. Alexander von Humboldt, der die Gebrüder schätzte, verschaffte ihnen einen Auftrag des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV und der britischen Ostindienkompanie: die Vermessung der Berge und Gletscher im Himalaya ab April 1855.

Ihr mutiger Erstbesteigungsversuch des 7.355 Meter hohen Ibi Gamin endete in 6.785 Metern Höhe – damals ein Weltrekord. Adolph malte sogar den Nanga Parbat und nahm an einem Pferderennen teil. Die Messdaten der Schlagintweits sind genauer als die von Humboldt. Ihre Forschungsergebnisse waren teilweise bahnbrechend.

Pass Kiungar an der Grenze gegen Tibet
Pass Kiungar an der Grenze zu Tibet

Im November 1856 trafen alle drei Brüder in Rawalpindi im heutigen Pakistan zusammen. Ein letztes Mal. Das Ende der Expedition nahte. Im Juni 1857 waren Hermann und Robert wieder in Berlin – samt ihrer gigantischen Kisten-Sammlung. Ihr Bruder Adolph blieb in Asien, er wollte weiter nach Turkestan. Aber er wurde von Reitern aufgegriffen. Ein Stammesführer hielt ihn für einen chinesischen Spion – und ließ ihn erst erstechen, dann enthaupten.

Der hochtalentierte Forscher starb mit 28 Jahren. „Humboldt hat ihn für den besten der drei gehalten“, hörte man später. Die anderen beiden Brüder wurden bei ihrer Heimkehr zu Berühmtheiten. Zeitungen feierten die Expeditionshelden. Aber schon bald gerieten sie als Personen des öffentlichen Lebens in Vergessenheit. Dennoch: In einem Brief schrieb Robert: „Das ist unser Lebenswerk gewesen.“

Die Schlagintweits – eine Wiesseer Familie

Teile des Lebenswerks zeigt auch das Gulbransson Museum vom 22. März bis 21. Juni in der Ausstellung „Reisebilder vom Himalaya“, eine Kooperation mit dem Alpinen Museum des DAV. 45 Aquarelle aus dem Bestand der Staatlichen Graphischen Sammlung München werden damit erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Sie stellen einen Querschnitt der lange vergessenen und neu zu bewertenden Asienreise der Brüder Schlagintweit dar. Manches davon ist ganz wesentlich dem verstorbenen Wiesseer Arzt Stefan Schlagintweit zu verdanken.

Er ordnete, dokumentierte und erforschte seit den 1980er-Jahren die Sammlung der Familie und sorgte auch dafür, dass der Familiennachlass in das Alpine Museum auf der Praterinsel in München kam. Das Vermächtnis der Gebrüder Schlagintweit setzt sich bis heute fort. Die Witwe des Wiesseer Arztes, Ursel Schlagintweit, ist Mitglied der Edmund-Hillary-Stiftung Deutschland, mit Sitz in Bad Wiessee. Hillary war 1953 der erste Mensch auf dem Mount Everest. Hundert Jahre früher, 1854, malte Hermann Schlagintweit ein Aquarell des höchsten Berges der Welt. Der Kreis schließt sich.

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