Was es bedeutet, ein Kind aufzunehmen

Auch in diesem Jahr geben wir wieder einen Rückblick auf die drei meistgelesenen TS-Beiträge der vergangenen zwölf Monate. Hier die Nummer Drei mit einem aktuellen Thema, das offensichtlich nicht nur Familien interessiert hat, die ein Kind bei sich aufnehmen möchten.

14 Kinder im Landkreis suchen ein Zuhause – es werden Bereitschaftsfamilien gesucht

14 Jungen und Mädchen aus dem Landkreis Miesbach können dieses Weihnachten nicht mit ihrer Familie verbringen. Vom Säugling bis hin zum Jugendlichen, die Zahl der Inobhutnahmen steigt auch bei uns immer weiter an, weiß Leiter des Jugendamtes Miesbach Robert Wein.

Seine Aufgabe ist es das Wohl aller Kinder und Jugendlicher im Landkreis sicherzustellen. Dringend werden im Moment Familien gesucht, die zeitweise Kinder bei sich aufnehmen. “Wir hoffen sehr, dass sich noch Familien bei uns melden”, betont er. Wir haben bei Robert Wein nachgefragt, was auf Menschen zukommt, die sich für eine sogenannte Bereitschaftspflege entscheiden, woher die Kinder kommen, die aktuell Hilfe brauchen und wie sie Weihnachten verbringen.

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Herr Wein, aus welchen Gründen, werden Kinder vom Jugendamt in Obhut genommen? Welche Gründe haben die aktuellen Fälle?

Robert Wein: Es ist immer ein schwerer Eingriff, wenn sich ein Jugendamt dazu entschließt, ein Kind aus einer Familie in Obhut zu nehmen. Am besten sind Kinder immer in ihrer eigenen Familie aufgehoben, selbst wenn nur noch ein Elternteil oder die Großeltern Verantwortung übernehmen können. Falls wir uns entscheiden, die Verantwortung für ein Kind zu übernehmen, müssen schon schwerwiegende Gründe vorliegen: Eine Vernachlässigung, starke Überforderung der Eltern, Drogenmissbrauch oder psychische Erkrankungen.

Werden auch die leiblichen Eltern oder die Familien der Kinder betreut oder begleitet? Bietet das Jugendamt Therapien an?

Robert Wein: Die Begleitung der Eltern oder eines Elternteils ist immer Voraussetzung für eine Rückführung der Kinder. Sobald die eigene Familie wieder funktional ist, versuchen wir eine Rückführung der Kinder. Bei Suchtkrankheiten der Eltern werden Therapien als Auflagen vom Jugendamt oder Familiengericht formuliert.

Wenn Kinder vom Jugendamt in Obhut genommen werden, wo kommen sie dann zunächst unter? Gibt es im Landkreis eine Art Heim?

Robert Wein: Wir suchen momentan weitere Bereitschaftspflegefamilien, in denen Kinder untergebracht werden können. Hier sollen sie wieder so etwas wie ein normales Familienleben erfahren, mit Liebe und Aufmerksamkeit. Über eine Einrichtung zur Inobhutnahme – wie ein Heim – verfügt der Landkreis Miesbach nicht. Wir halten die Unterbringung in einer Familie auch in der Regel für besser. Aber hier kommt es auf den Einzelfall an. Wonach wir suchen, sind Familien, die uns helfen können als Bereitschaftspflegefamilie. Davon zu unterscheiden sind Pflegefamilien im Rahmen der Vollzeitpflege.

Was kommt auf eine Familie zu, die sich entscheidet, ein Kind zur Bereitschaftspflege aufzunehmen?

Robert Wein: Auf diese Familien kommt immer eine gewisse Herausforderung zu, denn eine Ungewissheit bleibt immer. Der Zeitpunkt, wann ein Kind in die Familie kommt, ist nicht abzusehen. Und natürlich auch nicht welches Kind. Also wie alt das Kind ist, Junge oder Mädchen – das können wir gar nicht bestimmen. Viele Kinder haben Schlimmes erlebt. Allerdings sagen uns viele Bereitschaftspflegefamilien, dass sie die Tätigkeit auch als Bereicherung empfunden haben, auch wenn es nicht immer leicht ist.

Welche Kriterien müssen erfüllt werden?

Robert Wein: Die Bereitschaftsfamilien nehmen ein fremdes Kind in ihrer eigenen Familie auf. Sie müssen bereit sein, dieses Kind mit seiner gesamten Geschichte, mit seinen Besonderheiten zu akzeptieren. Sie müssen begreifen: Das Kind hat große Belastungen erlebt. Auch das neue Leben in einer anderen Familie ist für alle nicht einfach. Es ist Flexibilität notwendig. Sowohl – wie schon beschrieben – wenn es um die Aufnahme geht. Auch der Familienalltag benötigt Flexibilität, mit einem zusätzlichen Kind. Die Bereitschaftseltern brauchen Offenheit für das Kind und die Bereitschaft, sich möglicherweise auch selbst etwas anzupassen.

Sie müssen die Herausforderung annehmen, einerseits eine Beziehung zum Kind aufzubauen, andererseits es dann auch wieder loszulassen. Ein Abschied kann auch schwer werden. Selbstverständlich müssen die Familien bereit sein, eng mit dem Jugendamt zusammen zu arbeiten.

Muss die Familie dieses Kind dann zwangsläufig wieder abgeben, oder gibt es die Möglichkeit, dass das Kind in dieser Familie bleibt?

Robert Wein: In Bereitschaftspflegefamilien ist im Grundsatz ein Verbleib auf Dauer eigentlich nicht vorgesehen. Aber Ausnahmen wird es immer geben. Zur Zeit haben wir zwei kleine Kinder schon seit September in Bereitschaftspflegefamilie untergebracht, da eine Rückführung ungewiss ist.

Wann verlässt ein Pflegekind die Pflegefamilie grundsätzlich wieder?

Robert Wein: Das Kind verlässt die Pflegefamilie wieder, wenn das Jugendamt die Inobhutnahme beendigt. Dies ist der Fall, wenn sich die Rahmenbedingungen verlässlich geändert haben. Sobald ein Kind volljährig wird, sollte es in der Regel auch eine normale Pflegefamilie verlassen.

Wie und wo verbringen die Kinder, die im Moment eine Familie suchen, Weihnachten?

Robert Wein: Wir haben die Kinder im Rahmen der Inobhutnahme in den Bereitschaftspflegefamilien untergebracht, hier verbringen sie auch die Weihnachtsfeiertage. Je nach Fall organisieren wir zum Teil Umgangskontakte und Besuchskontakte mit den leiblichen Eltern. Wir können die Intensität variieren, zum Beispiel die Anzahl der Besuchstage oder die Länge der Besuchszeit.

Gibt es die Möglichkeit diesen Kindern, zum Beispiel in Form eines Weihnachtsgeschenks, eine Freude zu machen?

Robert Wein: Die Eltern können gerne Geschenke im Jugendamt abgeben, wir leiten diese dann weiter. Ansonsten verfügen wir über ein Spendenkonto, um zum Teil in besonderen Fällen unterstützen zu können. Hier können auch die Bürgerinnen und Bürger helfen, die nicht die Möglichkeiten haben, als Bereitschaftspflegefamilie tätig zu werden. Die Konto Daten sind Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee IBAN DE 22 7115 2570 0000 0000 75.

Herr Wein, herzlichen Dank für das Gespräch.

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