Wenn Baustellen ausarten

Wer das Kräfteverhältnis zwischen Politik und Bauträger verstehen möchte, der gehe in eine Bauausschuss-Sitzung einer Gemeinde. Die Frage gestern in Wiessee: Ist es in Ordnung, dass immer häufiger öffentliche Straßen gesperrt und blockiert werden – für private Bauprojekte?

Die Baustelle an der Wallbergstraße in Wiessee ist nur ein Beispiel / Martin Calsow

Gestern in Bad Wiessee. Auf dem Tagesordnungspunkt steht die „Zulässigkeit der Inanspruchnahme von öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen durch Baufirmen.“ Sperriger Titel, aber ärgerlich, wenn man davon betroffen ist. Jeder kennt das mittlerweile im Tal. Es wird gebaut. Und das braucht Platz: Da steht der Kran auf dem Gehweg, da ist die Straße nur noch einspurig oder gar für Monate gesperrt.

Warum? Für derlei Gerätschaften hat der Bauträger keinen Platz mehr auf der Baustelle. Denn die neuen Besitzer haben jede Fläche, die die bayerische Bauordnung zulässt, bebaut. Was macht er? Er beantragt z.B. beim Klaus Schuschke vom Straßenordnungsamt Bad Wiessee eine Sondergenehmigung. Kostet den Unternehmer pro Quadratmeter 50 Cent, und am Ende vielleicht, je nach Nutzungsgröße 2000 Euro. Ein Griff in die Portokasse reicht da aus.

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Dafür dürfen Bürger über Monate die Straße nicht mehr passieren, müssen Familien Schwerlastern ausweichen, die die Baustelle anfahren und gern im Weg stehen. Schuschke gestern dazu: „Das ist sicher ärgerlich, aber wir hatten einen immensen Anstieg solcher Sondergenehmigungen in den letzten Jahren nur für Bad Wiessee. Waren es 2008 nur 52 Genehmigungen, sind es heuer schon 140.“

Kreuth und Gmund verlangen nichts

Das sind natürlich nicht alles Anträge von Bauherrn, auch Telekom, Straßenausbesserungen und Kanalarbeiten gehören dazu. Dennoch ärgert es den stellvertretenden Bürgermeister Robert Huber (SPD): „Früher hatten die ihre gesamten Fahrzeuge auf der Baustelle. Da war genug Platz. Aber jetzt muss ja jeder Zentimeter ausgenutzt werden. Da weichen sie dann auf den öffentlichen Grund aus. Müssen wir jedem Baulöwen den Grund geben, damit er maximal bauen kann?“ Schuschke gestern dazu: „Nun ja, wir könnten die Genehmigung auch nicht erteilen. Es gibt da keinen Anspruch auf die Sondernutzung.“

Für einen kurzen Moment sehen die Mitglieder einen Streif am Horizont. Wäre das nicht ein Hebel gegen ungehemmte Bauwut? Aber der Gedanke versickert in der allgemeinen Empörung. Geht bestimmt nicht. Lieber nimmt man die Gebühr mit. Und damit liegt man talweit noch im vorderen Bereich: Kreuth und Gmund verlangen nichts. Da beantragt man rechtzeitig und steht dann über Monate mit seinen Zäunen und Kränen auf öffentlichen Straßen. In Tegernsee kostet es den armen Bauträger nur etwas, wenn er öffentliche Parkplätze nutzt. Gut, dafür schraubt man dort später an der Zweitwohnungsteuer…

Randnotiz:

An diesem Abend entschied der Bauausschuss mehr als fünfzehntausend Quadratmeter neue Baugrundstücke. Fünfzehntausend Quadratmeter mehr Versiegelung. „Ich weiß, dass die Leute mir angesichts dieser Projekte aufs Dach steigen werden“, monierte Markus Trinkl. „Aber mir ist das egal. Das ist die Schuld der Staatsregierung. Die wollte in unseren Gemeinden verdichten. Sollen die Kritiker sich an die wenden. Wir können hier da nur das Schlimmste verhindern.“ So viel zum Kräfteverhältnis.

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