Gewalt gegen Frauen im Landkreis Miesbach:
Wenn der Horror im eigenen Zuhause beginnt

Weihnachten – das Fest der Liebe. Was aber, wenn genau da der Horror unter dem Weihnachtsbaum lauert? Beim Miesbacher Notruftelefon für Mädchen und Frauen leider zu oft die traurige Realität.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen – auch bei uns im Landkreis Miesbach. / Quelle: Ute Grabowsky/picture alliance

Jeder Mensch sollte in einer friedlichen, gerechten und liebevollen Umgebung leben. Respektiert, frei und doch Teil einer Gesellschaft sein, die ihn achtet und beschützt. Soweit die Theorie. Selbst in unserem so ach behüteten Landkreis brauchen wir nicht bis Afghanistan oder zu den Kriegsschauplätzen der Welt zu schauen, um zu erkennen, wie weit auch in unserer Gesellschaft Menschen an den Rand gedrängt werden. In sieben Jahren war das Tegernseer Tal zweimal der Tatort von Femiziden. Prozentual zu den gesamten Tötungsdelikten am See in den letzten Jahren gesehen kein geringer Anteil.

Nicht wenige werden jetzt den Kopf schütteln und sich fragen “Femizid – was ist das schon wieder?” Die von privaten und öffentlichen Akteuren begangene oder tolerierte Tötung von Frauen und Mädchen wegen ihres Geschlechts. Gerne auch mal als “Familiendrama” deklariert oder “Ehedrama” oder “Verbrechen aus Leidenschaft” in völliger Verkennung der Umstände. In über 80 Prozent dieser “partnerschaftlichen Gewalt” sind Frauen die Opfer von gewalttätigen Männern. Nix Drama – nix Leidenschaft – Männer töten Frauen in Beziehungen oder auch beim Stalken. Das nennt man Femizid, wenn auch der Begriff in der Gesellschaft kaum angekommen ist.

Partnerschaftliche Gewalt, die in den bayerischen Kriminalstatistiken endlich auch unter der Häuslichen Gewalt gesondert erfasst wird, kann sich in vielen Formen zeigen. Gudrun Gallin, Diplom Sozialpädagogin und Traumaberaterin der Miesbacher Beratungsstelle des Frauen- und Mädchennotrufs in Miesbach kennt die Mechanismen. Gallin und ihre Kolleginnen hören immer wieder die Geschichten der Mädchen und Frauen, die von Gewalt, Abhängigkeit und Terror handeln. Von Ausweglosigkeit, Selbstverleugnung und Suizidgedanken. Die Anruferinnen leben, so berichtet uns die Verantwortliche der Beratungsstelle, in kleinen Mietwohnungen genauso wie in den Luxus-Villen in den schicken Seeorten.

Anzeige

Die sogenannte “Dominanzgewalt” in deutschen Familien zieht sich durch alle Bevölkerungsschichten. Oft ist nur die hässliche Fratze der Gewalt eine andere. Gudrun Gallin, Beratungsstelle Frauen- und Mädchen Notruftelefon Miesbach

Besonders im bildungsnahen Umfeld werden Frau und Mädchen auch neben der körperlichen Gewalt, die Spuren hinterlasse, heftigster psychischer Gewalt ausgesetzt. Diese Form der Misshandlung sei, so Gallin, viel schwerer nachzuweisen für die Betroffenen. Oft auch einhergehend mit finanzieller Abhängigkeit und Tabuisierung im unmittelbaren Lebensumfeld der Opfer. Das erschwere den Ausbruch aus der Spirale der Gewalt für viel Frauen. “Wenn sie den Mut fassen, sich bei uns über das Notruftelefon zu melden, sind wir oft die ersten Menschen, die ihren Schilderungen Glauben schenken”. Deshalb auch sei die Arbeit der ausgebildeten Beraterinnen auch im Landkreis so wichtig, betont die Diplom-Pädagogin.

Der Frauen- und Mädchennotruf ist Mitglied beim Paritätischen Bayern. Das Beratungsangebot ist vom Frauen- und Mädchennotruf Rosenheim e.V. und finanziert sich über Spenden und andere Zuwendungen. Doch auch der Landkreis Miesbach hat die Notwendigkeit solcher Unterstützungsarbeit erkannt. Seit 2021 wurde der “Runden Tisch Häusliche Gewalt” etabliert. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk aller relevanten Akteure zur Unterstützung von von häuslicher Gewalt betroffenen Personen im Landkreis, wie eine Sprecherin des Landratsamtes erklärt.

Vertreten sind neben Beamten der Polizeidienststellen unter anderem Vertreter des Familiengerichts, Verwaltungsvertreter und Träger der freien Wohlfahrtspflege, z.B. der Frauen- und Mädchennotruf Rosenheim. Die Treffen finden zwei- bis dreimal jährlich statt. Erste Erfolge zeigen sich auch im Kreis-Haushalt 2023. Der etwa durch die deutliche Erhöhung der Förderbeiträge, die Zahl der monatlichen Beratungsstunden deutlich aufstocken wird.

Der Mädchen- und Frauennotruf erhält 49.337 Euro (deutliche Steigerung im Vergleich zum Vorjahr (2022): 19.248,10 Euro). Hintergrund ist, dass die staatliche Förderung nur 10 Stunden pro Woche abdecken würde, inzwischen aber 30 h pro Woche nötig seien. Pressestelle des Landratsamtes Miesbach

Über die geplante Aufstockung der Förderung freut man sich in der Beratungsstelle in Miesbach sehr. Das solle aber auch der Aufklärung für die Frauen und Mädchen im Landkreis zugute kommen. “Viele wissen gar nicht, dass sie auf Unterstützung zählen können”, klärt Gallin auf.

Leider ist die Welt nicht friedlich – gerade an Weihnachten erleben viele Frauen und Mädchen die Schattenseiten des heimischen Familienlebens / Quelle: Redaktion

Besonders Aktionen wie die während der UN-Frauenwoche haben in diesem Zusammenhang auch für den Landkreis große Bedeutung. Zusammen mit der Bäckerei Perkmann aus Miesbach und Gritscher aus Schliersee wurden Bäckertüten produziert, auf dem der Slogan angedruckt war:

Gewalt kommt uns nicht in die Tüte. Slogan auf den Bäckertüten der Bäckerei Perkmann

Auf die Weihnachtstage freut sich Gallin schon seit Jahren nicht mehr wirklich. Das Familienfest bringe leider zu oft die schlechtesten Eigenschaften im Menschen hervor. Jedenfalls sei die Zahl der “Kriseninterventions-Einsätze” deutlich höher in der Weihnachtszeit. Zur Erklärung: Neben dem Frauen- und Mädchen Notruf Miesbach besetzen die Mitarbeiter auch die “Krisen-Interventionsstelle” im Landkreis.

Interventionsstelle: Bei einem polizeilichen Einsatz zu häuslicher Gewalt informieren die Polizeibeamt*innen die gewaltbetroffenen Frauen vor Ort zum Beratungsangebot der Interventionsstelle und holen deren Unterschriften zur Weitergabe der Kontaktdaten ein. Die Polizei übermittelt die Kontaktdaten an die Interventionsstelle. Innerhalb von drei Tagen melden sich die Mitarbeiterinnen proaktiv bei den gewaltbetroffenen Frauen. In einem ersten Gespräch wird die Gefährdungslage abgeklärt und das Beratungsangebot erörtert. Die Beratungen sind kostenlos.

Information der Redaktion:
Falls ihr das Frauen- und Mädchen Notruftelefon in Miesbach mit einer Spende bei ihrer wichtigen Arbeit unterstützen wollt, findet ihr hier auf der Internetseite der Beratungsstelle alle Informationen, die ihr dafür benötigt. Solltet ihr selbst von Gewalt in welcher Form auch immer betroffen sein oder Frauen und Mädchen kennt, die es sind, gebt ihnen bitte den Kontakt weiter. Hinschauen hilft. Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen: 0800-116016

SOCIAL MEDIA SEITEN

Anzeige
Aktuelles

Diskutieren Sie mit uns
Melden Sie sich an und teilen Sie
Ihre Meinung.
Wählen Sie dazu unten den Button
„Kommentare anzeigen“ aus

banner