Freitagabend. Weißblauer Himmel. Biergartenwetter. Die Linden in zartem Maigrün. An den langen Holztischen sitzen Einheimische jeden Alters in Lederhosen, die Frauen in Dirndlgewand. In der Ferne die noch schneebedeckten Berggipfel.
Unweit des Biergartens führt eine Reiterin ein Pferd über die Dorfstraße, ein Landwirt lenkt seinen Traktor auf die Wiese, der Maibaum ragt gen Himmel. Neben dem Dorfweiler brennt ein Lagerfeuer. Kinder sitzen dort und halten Stockbrot ins Feuer. Kälber lugen aus einem Stall.
„Sagt mal, habt ihr das alles für uns inszeniert, das Pferd, die Trachtler, die Kinder am Feuer, oder ist das bei euch immer so?“, fragt mein Gast aus nördlicheren Gefilden. „Es ist immer so hier, wenn die Sonne scheint und Biergartenwetter ist“, sagen die Einheimischen, die mit uns am Tisch sitzen, lachen, heben das Weißbierglas und stoßen an.
Bayerische Lebensart – ob Winter oder Sommer
So ist es. Ein Frevler, wer da an Kitsch oder Klischee denkt und meint, ein solches gäbe es nicht. Ein solches gibt es, und wir sind Teil davon. Sommers im Biergarten auf Wald- und Seefesten, beim Bergwandern auf der Almhütte oder unterm Gipfelkreuz und bei Trachtenumzügen.
Winters auf der Piste, in den Berghütten beim Jagertee und anschließend auf dem Schlitten hinab ins Tal. Man möchte glatt jodeln, die Goaßl schnalzen, sich auf die Schenkel schlagen, denkt man nur an all die Vergnügungen.
Das ist nicht inszeniert, sondern bayerische Lebensart. Die ist von besonderer Langlebigkeit gekennzeichnet, ist über Jahrhunderte nicht totzubekommen. Sie wird nicht konserviert – Gott bewahre –, sondern durchs Ausüben all der Tätigkeiten, die Freude bereiten, wie im Biergarten sitzen und ein oder mehrere Maß Weißbier stemmen, zum Gipfelkreuz bei Sonnenaufgang den Berg hochkraxeln, auf Tischen tanzen und die Goaßl schnalzen oder einfach nur auf einer Almwiesen in der Sonne liegen, am Leben erhalten.
Das ist wie mit einer Lederhosen, die mit jeder Generation, die sie trägt, nicht nur an G’schmack, sondern auch an Wert gewinnt. Nebenbei bemerkt: Die „Urlederhose“, die Hose des ersten offiziellen Trachtlers in Bayern, stammt aus dem Jahre 1883. Sie gehörte einem Kaspar Reiter aus Bayrischzell und ist heute im Fundus des Trachtenvereins Bayrischzell – des ersten Trachtenvereins der Welt – zu finden.
Übersiedler und Heilige
Warum die bayerische Lebensart sich über Jahrhunderte hält, heute Faszinosum für Millionen Menschen aus aller Welt ist und sich, rein betriebswirtschaftliche gesprochen, ungeheurer Nachfrage erfreut – denn auch mein Gast und seine Frau überlegten an diesem Abend, ob es nicht gut wäre, nach Bayern überzusiedeln –, das weiß allein der Herrgott oder die Jungfrau Maria oder auch der Heilige Leonhard oder gar der Boindl Kramer.
Wer weiß … Denn schließlich gehören auch diese wie viele andere Heilige seit Bayerngedenken zur bayerischen Lebensart dazu.
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