Zuagroaste, Bauwut und ein wenig Gier

Noch immer gebe es keine talweite Vorgehensweise, so TS-Kommentar Martin Calsow, um die letzten grünen Wiesen vor dem Bauboom zu retten. Ein Vorwurf, den Tegernsees Bürgermeister Johannes Hagn nicht auf sich sitzen lassen wollte. Im Interview erklärt Hagn, warum die Bauwut im Tal nicht einfach so gestoppt werden kann.

Bürgermeister Johannes Hagn spricht darüber, ob man die zunehmende Bauwut stoppen kann und warum er sich für eine gemeinsame Tal-Bauordnung nicht vor den Karren lassen spannen will.

Erstickt das Tal im Bauboom? Frisst der Beton die letzten Wiesen? Kaufen die Zuagroasten alles auf? Warum gibt es keinen Baustopp für dem Tegernsee? Und vor allem: Wo ist die talweite, einheitliche Bauordnung? Fragen, die wir dem Tegernseer Bürgermeister Johannes Hagn gestellt haben. Dabei wollte Hagn vor allem den Kommentar von TS-Redakteur Martin Calsow nicht unkommentiert stehen lassen.

Tegernseer Stimme: Was genau fanden Sie am Kommentar von Martin Calsow unpassend?

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Johannes Hagn: Herr Calsow erweckt darin den Eindruck, wir Bürgermeister seien untätig. Wir sollten nicht vergessen, dass wir uns nur in einem bestimmten Rahmen bewegen können. Und dass wir einen der schönsten Flecke Deutschlands haben, an dem der Platz begrenzt und teuer ist. Der Eindruck, dass wir hier nach Gusto agieren könnten, ist schlicht falsch.

Rottachs Bürgermeister Christian Köck sagte, das Problem des Baubooms sei, dass die „Zuagroasten“ alles aufkaufen im Tal. Stimmt das – haben Ihrer Meinung nach die Zuagroasten mehr Rechte als Einheimische?

Hagn: Klären wir doch zunächst einmal die Frage, was ein Einheimischer ist. Jemand, der eine bestimmte Anzahl an Jahren hier wohnt? Jemand, der sich hier sozial engagiert? Ich kann verstehen, wenn die Menschen hier am See unter sich bleiben wollen, nur – wer entscheidet, wer Einheimischer ist? Leute mit Geld sind schon immer da gewesen. Nach dem Krieg hat man sie sogar hierher gezogen, weil sie Arbeitsplätze geschaffen haben.

Die CSU bezeichnet sich doch als „Partei der Einheimischen“ – warum gibt es trotzdem so viele Zuagroaste, die im Tal bauen dürfen?

Hagn: Aha, ist sie das? Ich wüsste nicht, dass die CSU eine Geburtsurkunde verlangt. Die CSU ist eine Partei für alle. Wir sind weder eine Spezialpartei für Unternehmer noch haben wir ein rein ökologisches Ansinnen. Wir vertreten bestimmte Werte. Bauen darf in Deutschland derjenige, der das Recht und das Geld dafür hat. Die Herkunft spielt hier keinerlei Rolle. Aber gerade für die Einheimischen steuern wir gegen. Wobei jeder Ort seine Besonderheiten hat. Für Tegernsee machen Einheimischenmodelle wie in Gmund beispielsweise keinen Sinn.

Warum?

Hagn: Wenn wir jungen Familien einen finanzierbaren und kostengünstigen Baugrund zur Verfügung stellen und ihnen damit die Möglichkeit geben, kostengünstig zu bauen, haben wir aufgrund des gerade bei uns begrenzten Raumes für die folgenden Generationen keinen Baugrund mehr. Wir suchen hier also nach Alternativen, indem wir zum Beispiel Wohnraum in Erbpacht vergeben.

Und was kann die Stadt noch tun?

Hagn: Wir können jedes Mehrfamilienhaus, das zum Verkauf steht, zum marktüblichen Preis kaufen. So sichern wir uns langfristig Wohnraum. Das haben wir in Tegernsee in der Vergangenheit getan und tun dies auch weiterhin.

Wie kann man die zunehmende Bauwut Ihrer Meinung nach stoppen?

Hagn: Die stoppt sich auf lange Sicht von selbst. Wirklich stoppen können wir sie ad hoc nicht. Sie eindämmen und steuernd eingreifen können wir aber sehr wohl, indem wir die Bauleitplanung entsprechend anwenden und in den Außenbereichen keine ungezügelte Wohnbebauung zulassen.

Und warum machen Sie das nicht?

Hagn: Machen wir doch. Wir haben in Tegernsee in den letzten drei Jahren nur ein Wohnhaus in diesem sensiblen Bereich genehmigt. Nur, durch die zusätzliche Verknappung des Angebots erreichen wir wiederum steigende Immobilienpreise. Die Konsequenz: Plötzlich sind die Preise auch für weniger interessante Objekte überdurchschnittlich hoch.

Es gab doch aber mal einen Baustopp im Tegernseer Tal …

Hagn: Richtig, wir hatten eine Phase, in der konnte nur gebaut werden, wenn durch Abriss Einwohnergleichwerte frei wurden. Die Situation war dadurch für bauwillige Einheimische übrigens viel schwieriger, da durch den quasi Baustopp die Immobilienpreise anzogen und darüber hinaus die Bauzinsen ungleich höher waren als heute.

Kommen wir nochmal auf die Außenbebauung zurück. Sie genehmigen doch Bebauung im Außenbereich, so wie beispielsweise das Almdorf…

Hagn: Gut, dass Sie das ansprechen. Wir diskutieren hier ein anderes Thema mit derselben Konsequenz: dem Flächenverbrauch. Wir haben in Tegernsee einen massiven Bettenschwund zu verkraften. Dem müssen wir entgegenwirken. Daher hat man diesem Objekt im Außenbereich zugestimmt. Eine Wohnbebauung wäre an dieser Stelle keinesfalls durchgegangen.

Jeder versucht momentan, aus seinem Grundstück das Maximale herauszuholen. Wie können die Gemeinden am klügsten dagegen vorgehen?

Hagn: Das geht nur, indem man, wo möglich und sinnvoll, entsprechende Bebauungspläne aufstellt. Außerdem wenden wir konsequent das Einfügegebot an. Aktuell haben wir in der Perronstraße und in der Vergangenheit beim Dillisweg Bauvoranfragen abgelehnt. Wir haben also Instrumentarien, die im Rahmen der Gesetze genutzt werden. Leider wird das gerne ignoriert. Es gilt aber auch: „Gleiches Recht für alle“. Wenn also in der Vergangenheit eine bestimmte Bebauung zugelassen wurde, kann ich das den direkten Nachbarn nicht verwehren. Sie können dies in der Klosterwachtstraße beobachten. Hier war der Sündenfall, wenn ich das jetzt mal überspitzt darstelle, die Genehmigung der Tegernseer Höfe. Jetzt werden die Nachbargrundstücke ebenfalls größer bebaut. Ein Dominoeffekt.

Die in rot eingezeichneten Flächen im Tegernseer Flächennutzungsplan zeigen die Wohnflächen an.

Davon gibt es ja noch mehr. Eine Bausünde ist doch auch die „Schuhschachtel“ in Tegernsee Süd – oder das Hotel am Steinmetzplatz. Warum erlaubt man so etwas?

Hagn: Die Schuhschachtel ist ein Paradebeispiel dafür, warum wir heute so streng sind. Man hat die Baugenehmigung nicht wie beantragt umgesetzt und sich dann vor Gericht einen faulen Kompromiss erstritten. Die Bauherren besaßen damals viel Geld und haben sich über die Baugenehmigung hinweggesetzt. Darum greifen wir in Tegernsee jetzt auch konsequent durch. Die Bebauung am Steinmetzplatz ist den damaligen Umständen geschuldet.

Dann gibt es ja noch genehmigte Sonderformen wie die „Bohne“ oder „Amöbe“ auf dem ehemaligen Krankenhaus-Areal. Was ist damit?

Hagn: Das Hotelgebäude sollte sich absichtlich von der normalen Wohnbebauung abheben. Wir wollten eine Situation wie am Steinmetz bereits bei der Gestaltung verhindern. Dort wurde ja ein Hotel, nach Ablauf der gesetzlichen Bindungsfrist, in Wohneigentum umgewandelt. Das Hotelgebäude soll als Sondergebäude mit Sondernutzung erkennbar sein – so wie die Spielbank oder das Gulbransson-Museum. Darum ist dort auch kein Teileigentum erlaubt. Zum anderen ermöglicht diese Form, im Gegensatz zum ursprünglich im Bebauungsplan vorgesehenen Riegel, bessere Sichtachsen und weniger Verschattung für die Nachbarn.

Warum schließen sich die fünf Talgemeinden nicht zusammen und erlassen eine allgemeine, talweite Bauordnung?

Hagn: Eine Lex Tegernsee nach Gutsherrenart? Es gibt doch bereits eine talweite gemeinsame Vorgehensweise in vielen Bereichen. Wir haben in unseren Orten unterschiedliche Gegebenheiten, vergleichen Sie doch nur die räumlichen Gegebenheiten von Tegernsee und Gmund. Lassen Sie uns doch bitte die Möglichkeiten und deren Umsetzung diskutieren. Darüber zu lamentieren, ob und wie die Bürgermeister zusammenarbeiten, führt doch in eine Sackgasse und erschwert nur eine sachliche Diskussion. Das Problem ist ein anderes: Wir können auf der einen Seite keinen bezahlbaren Wohnraum neu schaffen, wenn wir auf der anderen Seite Flächen schützen wollen. Aber Sie dürfen versichert sein, dass wir alle Möglichkeiten prüfen und uns auch die Maßnahmen anderer Kommunen sehr genau ansehen.

Welche Möglichkeiten hat man denn schon ausgereizt?

Hagn: Die Zweitwohnungssteuer beispielsweise. Es wurden und werden Vorkaufsrechtssatzungen erlassen. Die Umnutzung von Wohnraum wird streng geprüft. Objekte werden angekauft oder wo möglich neu gebaut.

Aber warum versucht man denn nicht, als talweite Einheit aufzutreten?

Hagn: Sie meinen, wenn man uns gemeinsam vor den Karren spannt und in einen Käfig zwängt, bringt das mehr? Jede Gemeinde hat ihre eigenen Besonderheiten. Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es wäre, wenn es beispielsweise nur einen Gemeinderat gäbe, in dem 100 Leute sitzen. Ein Bürgermeister würde die Arbeit allein gar nicht schaffen und würde sich dann tatsächlich nur noch oberflächlich mit den Problemen befassen können.

Herr Hagn, vielen Dank für das Gespräch.

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