Wieso immer gegen die armen Oligarchen?

Die Grünen im Tal riefen zur Demo gegen Russlands Überfall auf die Ukraine in den Rottacher Kurgarten, und 300 Menschen kamen. Gefühlt 50 von ihnen waren Pressevertreter. Ein Erlebnisbericht.

Protestler und Kamerateams im Rottacher Kurgarten.

Das Tegernseer Tal ist kein Ort des Widerstands. Hier mag man es gemütlich, idyllisch und gern auch ruhig. Aber Krieg? Gleich um die Ecke? Da rafft sich selbst der schläfrigste Talbewohner auf und geht demonstrieren. Thomas Tomaschek, Kreisvorsitzender der Grünen hatte bei schönstem Wetter den Pavillon im Rottacher Kurgarten ausgesucht, um mit Reden gegen das Unrecht im Osten “ein Zeichen zu setzen”.

Ein Oligarch am Tegernsee: Deutschlandweites Medien-Echo

Kamerateams vom BR, RTL und SAT.1 suchten nach Interview-Opfern, einige Familien kamen mit ihren Kindern, deren Wangen mit den Farben der Ukraine bemalt waren. Hier und da waren auch sehr alte Menschen zu sehen. In den Stunden zuvor war es durch die nationalen Medien gelaufen: In Rottach-Egern wohnt ein Oligarch. Hat drei Villen dort. Geht mit Blondinen baden und hat Leibwächter.

Anzeige

Jetzt, wo der Krieg entbrannt ist, bemerkt man in dem kleinen Dorf am Südende des Tals, welchen Mann man dort Heimstatt gegeben hat und demonstriert. Von FAZ bis Handelsblatt – allen war es eine Meldung wert. Rottach-Egern demonstriert gegen einen Mega-Reichen. Was kommt als Nächstes? In Sylt demonstrieren sie gegen Tourismus, in Ischgl gegen holländische Skifahrer?

Landrat zeigt sich persönlich betroffen

Es ist still, ab und an begrüßen sich Lokalpolitiker. Hier ein Nicken, dort ein vorsichtiges Umarmen. Aus Waakirchen kommt die Grüne Gemeinderätin Cornelia Riepe. Aus Berlin ist der Bundestagsabgeordnete Alexander Radwan gekommen. Er fremdelt ein wenig, so wirkt es jedenfalls, mit der Situation. Viele Demos wird er als “Schwarzer” nicht erlebt haben.

Tegernsees Bürgermeister Hans Hagn, im Outfit eines englischen Landmannes (Barbour Jacke, Regenschirm) begrüßt den Landrat Olaf von Löwis. Der erzählt uns von seinen ganz persönlichen Erlebnissen mit der Ukraine. Seine Familie habe nach der Katastrophe von Tschernobyl einen Jungen aus der Ukraine aufgenommen. “Ich erinnere mich noch an sein Heimweh”, erzählt der Landrat. “Wenn ich mir vorstelle, dass der jetzt Ende Dreißig ist und dort in der Ukraine kämpfen muss, vielleicht schon getötet wurde…”

Demo gegen Putins Vertrauen und Verbündeten

Fünfzehn Minuten vor Veranstaltungsbeginn sieht es mit der Teilnehmerschaft noch recht überschaubar aus. Mehr Ordner, Polizisten und Presseleute als Demonstranten stehen vor dem Musikpavillon, wo im Sommer heimische Blasmusik für freudige Touristen aufgespielt wird. Heute wird es Gitarre und Bedächtiges wie “Imagine” geben.

Als Tomaschek seinen fünfzehn Minuten Medien-Ruhm mit seiner Rede einleitet, haben sich aber die Reihen (nein, nicht fest!) geschlossen. Der Rottacher Grüne hat dann auch gleich ein Ziel ausgemacht: Den Rottacher Zweitwohnler Alisher Usmanow. Der russische Oligarch usbekischer Herkunft residiert nicht weit vom Veranstaltungsort in Villen mit Seeblick.

Früher Touriattraktion, jetzt Feindbild

Vor dem Krieg war er und seine Anwesen bei Einheimischen so etwas wie eine inoffizielle Touri-Attraktion. “Schau da drüben im Aprikot-macht-Mutti-froh-Haus in Tegernsee-Süd wohnt der Scheich, und hier, wo der SS-Führer Karl Wolff wohnte, da residiert jetzt der Oligarch, der Usmanow”, erklärte man den staunenden Zugereisten. Das letztere hat einen hohen Ironiegrad: Karl Wolff saß u.a. auch im sogenannten “Freundeskreis Heinrich Himmler”. Illustre Wirtschaftslenker hatten sich dort von 1933 an zusammengetan, die Nazis mit sehr viel Geld unterstützt, und so das Terror-Regime erst möglich gemacht. Jetzt wohnt dort eben ein Freund Putins. Promis schmücken und treiben die Preise, was Handwerker, Gastronomen und Immobilienmakler freut und sehr still werden lässt. So war das vor dem Krieg in der Ukraine. Jetzt ist der Oligarch plötzlich das Problem. Tomaschek dazu:

Es ist nicht hinzunehmen, dass solche Leute, die an der Seite eines Kriegsverbrechers stehen, hier in Rottach-Egern entspannt Urlaub machen.

Das gefällt dem Publikum, man applaudiert. Ein älterer Mann schreit dazwischen, ist sichtlich aufgeregt, kaum zu bändigen. Erst das beherzte Einschreiten des Alt-Landrats Wolfgang Rzehak lässt ihn für einige Momente schweigen.

Tomaschek schickt Aufrufe an den nicht anwesenden Usmanow, der soll sich doch bitte bei Putin gegen den Krieg einsetzen. Hier wird es unfreiwillig komisch. Man hat das Gefühl, dass der Oligarch zum einen sich einen Dreck um Demonstranten schert und zudem eine Fokussierung auf einen Oligarchen irgendwie auch zu kurz gesprungen ist.

Nach Tomaschek folgt der ukrainisch-stämmige Radio-Journalist Anton Yermenko. Er nutzt seine Redezeit, um den ganz großen Geschichts- und Politikbogen zu spannen, und damit befolgt er nicht die Demo-Regel Nummer 1: Langweile nicht Dein Publikum. Nach gefühlten 20 Minuten Geschichtsseminar schalten die meisten geistig, so wirkt es jedenfalls, ab, bleiben aus Höflichkeit. Die TV-Teams packen ein.

Die Angst vor dem Krieg

Eine Teilnehmerin schaut hilflos. Auf die Frage, was sie erwartet habe, zuckt sie nur mit den Schultern. “Ich habe Angst vor einem Krieg”, sagt sie. Ratlosigkeit steht in ihren Augen. Viele scheinen heute hier hergekommen zu sein, weil sie eben Angst und Sorgen vor einer Ausweitung des Kriegs haben, wenige, weil sie dem Oligarchen an der Seeseite zeigen wollen, dass er hier nicht willkommen sei.

Da gibt es aber eben auch jene, die mit Usmanow als perfekten Sündenbock nicht klarkommen. Ein Kommunalpolitiker sagt es so: “Wir hatten in Deutschland schon einmal solche Zeiten, wo Menschen sich auf einzelne Bürger eingeschossen haben. Das führte ins Unglück.” Diese Unentschiedenheit, diese Zweifel zeigen sich bei vielen, mit denen wir sprachen. Viele sind hier, weil sie sich artikulieren wollen. 300 Menschen zählt die Polizei. Das ist für den Ort schon eine Menge, weil er doch auf Erholung und Idylle ausgerichtet ist, nicht auf Protest und Widerstand. Ob am Sonntag an der Friedensglocke, oder heute im Kurgarten: Die Veranstalter zeigen, dass Bürger sich in diesen Tagen artikulieren, sich mit anderen austauschen wollen. Der Rottacher Bürgermeister Christian Köck ist wieder nicht da. Er habe einen anderen Termin, sagt man im Rathaus.

Der Tag geht, die Kälte kriecht in die Menschen. Viele sind müde. Von den Bildern aus der Ukraine, den vielen Meinungen, der neuen Situation.

Am Abend verzeichnet unser Portal erneut digitale Angriffsversuche aus Russland und ein Flugtracker zeigt im Netz, dass ein Flugzeug, welches Usmanow zugeordnet wird, angeblich in Taschkent gelandet sei, wo der Oligarch ein Hotel besitzen soll. Am Abend um acht läuten die Glocken im Tal. Ein Zeichen von vielen – an diesem siebten Tag des Überfalls.

SOCIAL MEDIA SEITEN

Anzeige
Aktuelles Allgemein

Diskutieren Sie mit uns
Melden Sie sich an und teilen Sie
Ihre Meinung.
Wählen Sie dazu unten den Button
„Kommentare anzeigen“ aus

banner