Bauerntheater an der West Bank

„Prokrastinieren“ – so lautet der Fachbegriff. Man hat wichtige Dinge zu tun, aber kümmert sich um den letzten Mist. Die Heimstätte dieses Phänomens: der Wiesseer Gemeinderat. Statt sich mit den wirklich dringenden Fragen zu beschäftigen, befasst man sich lieber mit persönlichen Befindlichkeiten. Derzeitiger Lieblingsstreitpunkt: das Gehalt von Robert Huber.

Einigkeit im Wiesseer Gemeinderat ist die Ausnahme / Archvbild
Der Wiesseer Gemeinderat – eine Bühne für die ganz großen Themen / Archivbild

Ein Kommentar von Christopher Horn
Investoren für das 120-Millionen-Projekt am Jodbadareal müssen gefunden, 200 marode Gemeindewohnungen saniert und ein Schuldenberg von 28 Millionen Euro abgebaut werden. Es gibt viel zu tun, fangen wir mit dem Unwichtigen an. Das Motto des Wiesseer Gemeinderats dieser Tage nervt die Bürger. Doch worum geht es?

Mit 1.450 Euro im Monat ist Wiessees Zweiter Bürgermeister Robert Huber der Krösus unter seinen Amtskollegen im Tegernseer Tal. Das könnte man dem guten Huber gönnen, akzeptieren, dass „der Robert“ ab und zu die eine oder andere Überstunde im Dienste der Gemeinde macht. In Wiessee aber ist die „Causa Huber“ seit einem Dreivierteljahr der Aufreger schlechthin.

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Wenn einstimmige Beschlüsse nichts wert sind

Im Mai 2014 legt der Gemeinderat Hubers Gehalt fest. Zuhörer sind unerwünscht, obwohl das Landratsamt kurz zuvor dazu aufgerufen hatte, doch bitte öffentlich über die Gehälter der Bürgermeister zu debattieren. Egal, in Wiessee ist Öffentlichkeit ein dehnbarer Begriff. Immerhin wird die Höhe von Hubers Gehalt einstimmig beschlossen – auch das ein seltenes Phänomen im streitbaren Gremium.

Doch schon zwölf Stunden später wollen CSU und ranBW davon nichts mehr wissen: Man nörgelt öffentlich über die Höhe von 1.450 Euro. Eine Reihe von Dienstaufsichtsbeschwerden sind die Folge. Die Kommunalaufsicht wird eingeschaltet. Warum auch Kompromisse oder gar sachorientierte Lösungen, wenn es mit juristischen Spitzfindigkeiten ebenfalls geht. „Das Gehalt ist angemessen“, urteilen die Prüfer im Juli 2014.

Doch das Theater geht weiter. Eine erneute Debatte im Gemeinderat zu diesem Thema will Bürgermeister Peter Höß unbedingt verhindern. Er lässt einen entsprechenden Antrag der Opposition nicht zu. Souverän geht anders. Und wieder schaffen die Wiesseer Verantwortlichen es nicht, sich untereinander im Sinne der Gemeinde zu einigen. Es hagelt eine weitere Beschwerde. Diesmal dringt das Thema bis ins Bayerische Innenministerium vor.

Über Monate sind Hubers Gehalt und die Umstände, wie es zustande gekommen ist, das bestimmende Thema im Rathaus. Die Verwaltung erstickt im Papierkram.

Erneute Chance vertan

Erst auf Drängen des Landratsamtes hat der Wiesseer Gemeinderat am Donnerstag erneut über die Causa gesprochen. Diesmal immerhin öffentlich. Dass dies Bürgermeister Peter Höß unangenehm ist, wird schnell klar. Er stellt einen Antrag, nicht weiter über Hubers Gehalt zu diskutieren. Der Aufschrei im Gremium ist groß. Man gackert weiter über kleine Eier und streitet intensiv. Am Ende wird in einer Kampfabstimmung beschlossen, alles so zu lassen, wie es ist.

Ein Kompromiss, also eine moderate Absenkung von Hubers Gehalt auf 1.000 Euro im Monat, ist nicht im Sinne der Mehrheit. Und wieder bleibt alles auf Sandkasten-Niveau, wieder keine Einigkeit. Jede Wette: Das Wiesseer Bauerntheater geht weiter. Im nächsten Akt wird die Opposition, allen voran die CSU, Hubers „gigantisches“ Spitzengehalt erneut kritisieren. Und das, obwohl Kurt Sareiter in seiner Zeit als Zweiter Bürgermeister kaum weniger verdient hat. Bad Wiessee hat ja keine anderen Sorgen – außer 200 marode Wohnungen, fehlende Investoren und die höchsten Schulden einer bayerischen Gemeinde.

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