Die Stadt Tegernsee braucht neue Trinkwasserquellen: Das wird teuer. Um die 15 Millionen Euro schätzt Johannes Hagn, Bürgermeister in Tegernsee. Eine Spurensuche.
Sie stehen an der Tankstelle, füllen ihr Auto mit Benzin. Aber fast ein Viertel des teuren Kraftstoffes geht daneben. Doof? Das passiert in den Wasserleitungen der Stadt Tegernsee jeden Tag. Mit Wasser. Und das Wasser muss 3.900 Einwohnerinnen und Einwohner der Stadt Tegernsee versorgen.
Über 20 Prozent, des für unsere Existenz entscheidenden Stoffes, kommt aus Quellen in Enterrottach. Die liegen unterhalb des Wallbergs, gehen unterwegs auf den kilometerlangen Rohrverzweigungen verloren, Wasser versickert ohne in die Hähne der Bürgerinnen und Bürger zu gelangen. Grund: undichte Grauguss- und PE-Rohre: Einige davon liegen auf Kies, nicht auf Sand, werden porös, sorgen alle naselang für Wasserrohrbrüche. Das ist unnötig und kostet Geld wegen unnötigem Energieaufwand.
Zustand der Hochbehälter: Was der Wassermeister sagt
Dazu der Zustand einiger Hochbehälter. Tegernsee hat nicht das Glück der Nachbarn auf der Westseite. Dort sprudelt das Wasser aus den Bergen und ohne großen Einsatz von Pumpen hinab in die glückliche Gemeinde Bad Wiessee. Kaum Energiebedarf beim Schürfen des klaren Guts. Anders in Tegernsee: die bedienen sich beim Nachbarn Rottach-Egern, müssen das Wasser kostenträchtig hochpumpen lassen, in Behälter am Hang. Und diese Wasserspeicher sind nicht alle auf den neuesten Stand. “Einige Hochbehälter sind schon aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen renovierungsbedürftig”, erklärt der Tegernseer Wassermeister Sebastian Sprenger.
Mit dem Experten klettern wir in die Tiefe Enterrottachs, dort wo das Wasser aus 50 Meter Tiefe für die fast 3.700 Einwohnerinnen und Einwohner am Ostufer “geschürft” wird. Die Quelle wird sowohl von Tegernsee als auch vom Wasserversorgungsverein Egern (WVV) genutzt. Der junge Wassermeister hat sich nach seiner Installateur-Ausbildung intensiv weitergebildet. Wenn er mit seinem Truck den Autor von Hochbehälter zu Hochbehälter fährt, weiß er auf jede Frage eine Antwort. Sprenger ist die Zukunft, hat vom Bürgermeister zusätzliche Mitarbeiter zur Seite gestellt bekommen.
Neue Trinkwasserverordnung
Alles wirkt hier, in den Tiefen unterhalb des Wallbergs, in den Pumpräumen auf das Penibelste sauber und aufgeräumt. Man spürt auf eigentümliche Weise eine Idee von Ordnung der alten Bundesrepublik. Alles hat seinen Platz, sieht funktional und effizient aus. Aber das ist bald Vergangenheit. Denn der Teufel steckt nicht nur im Detail, sondern in alten Rohren, renovierungsbedürftigen Hochbehältern und neuen Gesetzen. Tegernsee steht vor der größten Infrastruktur-Maßnahme der letzten Jahrzehnte: Im März dieses Jahres trat eine neue Trinkwasserverordnung in Kraft. Sie sieht größere Schutzzonen vor, die Abstand halten zu alten Müllplätzen, Gewerbegebieten und extensiv landwirtschaftlich genutzten Wiesen.
Und genau das können die Quellen in Enterrottach nicht bieten. Im Westen liegt ein Gewerbegebiet, die Bauern odeln um die Quellen herum. Tegernsee braucht neue Wasserquellen. Vier Jahre hat die Kommune Zeit für die Suche. Und es wird teuer. Zurück im warmen Büro des Bürgermeisters. Dicke Aktenordner landen auf den Tisch. Johannes Hagn hat eine Studie mit den Risiken und Möglichkeiten der zukünftigen Wasserversorgung auf den Tisch gelegt – und er geht ins Detail.
Wasser wird teuer werden
Schon jetzt geht Hagn von einer Preiserhöhung für das Wasser aus. Derzeit zahlt der Bürger in Tegernsee bis zu 1,30 Euro pro Kubikmeter (Stand 2019). Bayernweit liegt er damit deutlich unter dem Durchschnitt (1,65 Euro). In einigen Regionen überschreitet der Preis die zwei Euro Grenze. Es wird also auch bei uns teurer: “Die Investitionen für die neue Infrastruktur inklusive der neuen Bohrungen – das wird über fünfzehn Millionen Euro kosten. Natürlich wird das über 20 Jahre verteilt werden. Aber so einfach wie bislang werden wir nicht mehr an das Wasser herankommen”, ist sich Hagn sicher.
Das Thema ist seltsamerweise kaum emotional besetzt. Millionen für einen Steg oder ein Rathaus-Neubau – da wird munter diskutiert. Aber Wasser? Ist ja doch da. Bürgerinnen nehmen die Wasserversorgung als etwas sehr Selbstverständliches wahr. Es regnet oft, der See ist voll, die Bäche selten ausgetrocknet: Was soll da schiefgehen?
Aber es reicht nur ein Blick in den Norden des Bundeslandes. Hier knapsen Gemeinden mit Wasser, werden Pools im Garten verboten, verzweifelt Tiefenwasser angebohrt. Und auch bei uns im Tal wird es hier und da mal trocken. Professionell und gemeindeübergreifend war das Thema Wasser nie. Die Wasserversorgung liegt oft in den Händen privater Vereine (allein 18 im Gesamttal). Und die Versorgung mit kommunalen Mitarbeitern läuft – mit viel Liebe zum Detail –, aber ohne zukunftssichere Regelungen. Oft kannten sich die einzelnen Verantwortlichen im Tal nicht, wurde sehr selten kooperiert oder ausgetauscht.
Anders sieht es beim Abwasser aus: Hier hat längst ein kommunal-übergreifender Verein übernommen. Doch beim Trinkwasser ist die Kirchturm-Politik der Tal-Gemeinden spürbar. Wenn Johannes Hagn im Tal nach neuen Wasserschüttungen suchen lässt, muss er z. B. beim Kollegen, Sepp Bierschneider, Bürgermeister in Kreuth, nachhaken. Im Sagenbachtal, nicht weit von der Schwaigeralm entfernt, soll ein neues Wassergebiet für Tegernsee erschlossen werden.
Vorteil: Es sind keine potenziellen Verunreinigungen im weiten Umkreis der Quelle auszumachen. Nachteil: Kilometerlange Leitungen müssen aus dem Süden nach Norden gelegt werden, um die bisherigen Quellen aus der Tuften zu ersetzen. Für seine Versorgung braucht es viel Energie, um die Wassermengen über die dreizehn Kilometer lange Distanz ans Ostufer zu bringen. Zudem bezieht auch Kreuth einen Teil seines Wassers aus dieser Quelle.
Hagn hat eine Menge Hausaufgaben
Als Erstes hat sich der Politiker um strittige Altfälle gekümmert, eine Satzungsänderung. Dann will er die unternehmerische Kraft des Ortes stärker nutzen und vernetzen. Die technische und kaufmännische Betriebsführung soll das E-Werk übernehmen. Liegt auch nahe, denn der Versorger aus Tegernsee kennt sich mit der Betreuung sowie der Abrechnungen von Energie aus. Warum also diese Expertise nicht nutzen? Wäre es nicht vernünftig, wenn andere Gemeinden ebenfalls diese Expertise nutzten?
Weg von Rentner-Wasserbetreuung, hin zu einer talweiten Zusammenfassung von technischer und betriebswirtschaftlicher Betreuung – hinzukommen professionelle Qualitätssicherung, sowie das Monitoring der Quellen selbst. Noch gibt es hier ein Kompetenzgerangel mit dem Wasserwirtschaftsamt. Aber das bayerische Umweltministerium hat schon längst erkannt, dass angesichts der neuen Herausforderungen wie dem Klimawandel, zunehmender Extremwetterlagen, die Kommunen ihre Expertise verbessern und vernetzen müssen. Das wird zudem gefördert.
Wasserarchitektur Bayern
Ein Verbund hat zudem den Vorteil, sich gegen Interessen von verschiedensten Stellen zu wappnen. Konkret: Angesichts des Wassermangels denkt die Politik in München schon über eine “bessere Verteilung der Ressourcen. Bayerns Umweltminister Thomas Glauber sagte dazu im Juli dieses Jahres: “Wir wollen die Wasserarchitektur Bayerns weiter ausbauen und ganz Bayern zusammenbringen. Neben dem weiteren Ausbau von regionalen Verbundleitungen und der damit verbundenen finanziellen Förderung ortsnaher Strukturen haben wir gemeinsam mit allen Fernwasserversorgern die Idee einer erweiterten Fernwasserstruktur entwickelt. Mit einer neuen Wasserspange sollen die einzelnen bestehenden Fernwassersysteme verbunden werden. Die derzeitigen Inseln werden damit zu einem großen bayernweiten Netz.“
Blackout Tegernsee: Szenario
Und dann ist da noch Hagns Lieblingsfeld: Was tun im Katastrophenfall? Der Bürgermeister will für Eventualitäten wie einen Blackout mit einer Notstromversorgung dafür sorgen, dass auch in der Krise etwas Trinkbares aus dem Wasserhahn der Bürger kommt. Auch das sind Investitionen, die Geld kosten werden. Nun ist Tegernsee, dank guter Steuereinnahmen, in den letzten Jahren mit einer gut gefüllten Kasse gesegnet. Erst jüngst stellte der Tegernseer Kämmerer, Jürgen Mienert, den Haushalt 2022 vor. Die Stadt hat trotz Einnahmen-Dellen während der Pandemie fast zwölf Millionen Euro Rücklagen bilden können. Das Geld für eine Modernisierung der maroden Infrastruktur ist also da. Und der Tegernseer Bürgermeister wird nicht müde, auf die Dringlichkeit hinzuweisen. “Wir sind nichts ohne Wasser.”
Ob andere Gemeinde Hagns Beispiel folgen werden, ist unklar. Aber ein überkommunales Bewusstsein für das Thema Wassergewinnung ist zwingend, wenn wir in unserer Idylle auch in den nächsten Jahrzehnten mit dem Grundstoff des Lebens versorgt sein wollen.
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